Forum / Verhilft Trump dem weißen christlichen Nationalismus zum Durchbruch?
Am 20. Februar 1939 füllten 20.000 amerikanische Nazis den Madison Square Garden in New York und schlugen einen jüdischen Mann brutal zusammen, der auf die Bühne stürmte, um gegen eine hasserfüllte antisemitische Rede zu protestieren.
Am 27. Oktober 2024 füllten 20.000 rechtsextreme Anhänger von Donald Trump den Madison Square Garden in New York für eine Kundgebung ihres Präsidentschaftskandidaten. Die Veranstaltung war von rassistischen Äußerungen und extrem gewalttätiger Sprache geprägt.
Zu Beginn der Veranstaltung machten radikale Trump-Anhänger frauenfeindliche und rassistische Äußerungen und sprachen gefährliche Drohungen gegen Einwanderer aus.
Als Trump die Bühne betrat, hatte er die Gelegenheit, sich von der menschenverachtenden Rhetorik seiner Vorredner zu distanzieren, aber er tat genau das Gegenteil. Er fuhr in der gleichen Weise fort und nannte beispielsweise die USA ein „besetztes Land“, besetzt von den „Feinden von innen“. Er versprach, dass der Wahltag ein Tag der Befreiung sein würde und sagte: „Am ersten Tag werde ich das größte Deportationsprogramm in der amerikanischen Geschichte starten.“
Für seine Äußerungen erhielt Trump stürmischen Applaus, ähnlich wie der Hauptredner auf der Nazikundgebung im Jahr 1939, als dieser von der „jüdisch kontrollierten Presse“ sprach und forderte, dass die amerikanische Regierung dem amerikanischen Volk, das sie gegründet hatte, zurückgegeben werden sollte. Und als er verlangte, dass Amerika wieder ein „weißes, nichtjüdisch regiertes Amerika“ sein sollte.1)
Damals waren die Juden die inneren Feinde, heute sind es offensichtlich die Eingewanderten – in einem Staat, den es ohne Einwanderung nicht geben würde.
Jesus in ein Modell kämpferischer Männlichkeit verwandelt
Seit 2015 haben die weißen protestantischen Evangelisten und Anhänger des so genannten Christlichen Nationalismus im eher unchristlichen Trump ihren neuen „Hohepriester“ gefunden. Und Trump hat in ihnen seine treuesten Anhänger gefunden. Mit der „Make America Great Again“-Bewegung (MAGA) gab er ihnen eine mittlerweile starke politische Identität. Diese politische Strömung dominiert nämlich heute den Grand Old Party (GOP), Lincolns republikanische Partei.
In den vergangenen 50 Jahren haben die Evangelisten den Jesus des Evangeliums, den friedfertigen Jesus der Bergpredigt, durch einen rachsüchtigen, kriegerischen Christus ersetzt. Mit anderen Worten: Sie haben sich einen „Heiland“ nach ihrem eigenen Bild geschaffen. Sie haben einen Boten des Friedens, der Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit in einen harten, starken Mann verwandelt, und Gewalt zu einer christlichen Tugend gemacht.
Um ihre politischen Ziele zu erreichen, suchen die Evangelisten bei jeder Präsidentschaftswahl nach einer starken Führungspersönlichkeit, die die Anforderungen einer kämpferischen Männlichkeit im Dienste des Willen Gottes erfüllt. Mit anderen Worten: jemanden, der konsequent für die traditionellen christlich-patriarchalischen Werte eintritt. Seit 2015 ist Trump dieser Mann, ungeachtet der Tatsache, dass er ein verurteilter Betrüger und Sexualstraftäter ist.
Wenn weiße MAGA-Christen im derzeitigen Wahlkampf gegen Kamala Harris und die Demokraten im Allgemeinen wettern, sind sie davon überzeugt, dass sie das Werk Gottes tun. Sie sehen Kamala Harris als den leibhaftigen Teufel, den Antichristen, und die Demokratische Partei als die Partei des Bösen, die Amerika in den Abgrund führen wird. Die Europäer mögen das alles für einen Scherz halten, aber es ist die traurige Realität in den USA im Jahr 2024.
Christlicher Nationalismus ein Faschismus?
Die Verfechter des christlichen Nationalismus – den man angesichts des extremen Personenkults um Trump inzwischen als „amerikanischen Faschismus“ bezeichnen kann – sind unwiderlegbar davon überzeugt, dass Amerika (USA) Gottes auserwählte Nation ist und um jeden Preis verteidigt werden muss. Und vor allem, dass die USA grundsätzlich eine weiße christliche Nation sind, die nach den biblischen Vorgaben des Patriarchats regiert werden muss. Frauen spielen dabei nur eine den Männern untergeordnete Rolle.
Dies erklärt auch den blinden Hass und die apokalyptischen Szenarien, die bereits im Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clinton, aber fast noch schlimmer in diesem Wahlkampf gegen Kamala Harris an die Wand gemalt werden. Weiße christliche Suprematisten haben Kamala Harris nicht nur im Visier, weil sie eine Frau ist, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe und weil sie die Rechte der Frau, insbesondere die sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechte, zu einem ihrer wichtigsten Wahlkampfthemen gemacht hat.
Diese religiösen Spinner scheren sich einen Deut um demokratische Werte und Institutionen. Für sie steht der Gott ihrer Vorstellung und das, was sie für Gottes Wort halten, die Bibel, so wie sie sie interpretieren, über allem, über dem Staat, über der Verfassung, über den Menschenrechten. Und Trump ist jetzt ihr absoluter Führer, der von ihrem Gott auserkoren wurde, um Amerika zu retten. Wenn sie noch einen Beweis für ihre irrsinnige Überzeugung brauchten, haben sie ihn in diesem Wahlkampf bekommen: Trump entkam zwei Attentatsversuchen!
Ziel mit demokratischen Mitteln unerreichbar
Als Obama gewählt wurde, waren die USA ein mehrheitlich weißes, christliches Land (54%). Bis 2014 war dieser Anteil auf 47% gesunken. In der Volkszählung von 2022 über die Religionszugehörigkeit in den USA (Census of American Religion) sank der Anteil weiter auf 42%.
Angesichts dieses anhaltenden demografischen Rückgangs der weißen christlichen Amerikaner wissen Trump und seine Ideologen, dass die Vision der MAGA-Bewegung, das „alte weiße christliche Amerika“ wiederherzustellen, nicht mehr mit demokratischen Mitteln erreicht werden kann. Deshalb ist diese Präsidentschaftswahl so entscheidend und von so historischer Bedeutung. Noch nie war die autokratische Versuchung, die Möglichkeit, dass die USA zu einer Diktatur werden, so groß.
Trump-Relativierer werden sagen: Ja, aber Trump war schon einmal Präsident und die USA sind immer noch eine Demokratie. Wir wissen aber, dass es ihm zumindest gelungen ist, die Mehrheit im Obersten Gerichtshof zu ändern, und dass der Gerichtshof dem Präsidenten kürzlich Immunität für alle Amtshandlungen während seiner Amtszeit gewährt hat. Dies würde dem rachsüchtigen, autoritär veranlagten Trump im Falle einer zweiten Amtszeit die Möglichkeit geben, ohne Leitplanken zu regieren.
Darüber hinaus haben christliche Nationalisten ein 900-seitiges Dokument mit dem Namen „Projekt 2025“ verfasst, das eigentlich die Blaupause für die Schaffung eines Staates ist, der vollständig von Gottes Gesetzen, wie sie sie definieren, regiert werden soll.
Da die christlichen Nationalisten der festen Überzeugung sind, dass die USA von gläubigen Christen gegründet wurden, dass alle Gründungsdokumente, einschließlich der Verfassung, aus einer christlichen Tradition stammen, können die USA für sie nichts anderes sein als eine christliche Nation und alle Gesetze müssen auf christlichen Werten beruhen. Sie möchten die amerikanische Verfassung dahingehend uminterpretieren, dass sie den Bürgern nicht das Recht garantiert, das zu tun, was jeder frei entscheidet, sondern das, was jeder tun sollte. Das bedeutet, dass die Bürger die Freiheit haben, die Gesetze Gottes zu befolgen, wie sie von einer wahrhaft christlichen US-Regierung definiert würden. In diesem Rahmen gäbe es keine reproduktiven Rechte, keine Rechte auf reproduktive Gesundheit. Es gäbe kein Recht auf Abtreibung. Auch LGBTQ-Rechte widersprechen Gottes Plan, so glauben sie. Also würden nur die Rechte, die mit ihrem Verständnis von Gottes Gesetz übereinstimmen, von der Verfassung garantiert und geschützt werden.
Kurz zusammengefasst, streben die christlichen Nationalisten nichts weniger als die Errichtung eines autoritären theokratischen Staates an.
Was in Europa nach der Mussolini- und Hitler-Katastrophe noch unvorstellbar ist, wird der Welt im aktuellen amerikanischen Wahlkampf tagtäglich vorgeführt: eine extreme Form des Personenkults. Verbunden mit der antidemokratischen und antihumanistischen Ideologie des Christlichen Nationalismus kann diese Entwicklung in der ältesten und mächtigsten modernen Demokratie der Welt zu einer Katastrophe führen. Die Frage ist berechtigt, wozu diese Fanatiker fähig sind, wenn ihr „Führer“ die Wahl verlieren sollte. Einige von ihnen haben ihre Gewaltbereitschaft bereits bei dem Angriff auf das Kapitol am 6. Januar 2021 unter Beweis gestellt. 140 Polizisten wurden verletzt, einige tödlich. Vor allem hatten sie es auf die damalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und Trumps Vizepräsidenten Mike Pence abgesehen, der die Wahlergebnisse von 2020 bestätigt hatte. Sie schrien wie wild: „Hängt Mike Pence!“ Was werden sie diesmal tun?
1) www.theatlantic.com/video/index/542499/marshall-curry-nazi-rally-madison-square-garden-1939/
- Das erwarten sich die Redakteure und die Winzerin vom neuen Projekt - 20. November 2024.
- Vom Ehemann betäubt, von Fremden vergewaltigt: Opfer sagt erstmals vor Gericht aus - 20. November 2024.
- Bauern protestieren weiter gegen Mercosur-Abkommen - 20. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos