Luxemburg / Vor zehn Jahren erschüttern die „LuxLeaks“ das Land
Als vor zehn Jahren die „Luxembourg Leaks“ öffentlich wurden, stand das Großherzogtum von einem Tag auf den anderen im Fokus des internationalen Interesses. Der als „LuxLeaks“ bekannt gewordene Skandal hat den Umgang mit dem Thema Steuervermeidung in der Europäischen Union nachhaltig verändert.
Es war in der Nacht vom 5. auf den 6. November 2014, als eine journalistische Bombe platzte: Das „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) veröffentlichte zusammen mit zahlreichen Medienpartnern tausende geheime Dokumente, die detailliert aufzeigten, wie internationale Konzerne mithilfe von Luxemburg Steuern in Milliardenhöhe vermieden hatten.
Im Zentrum der Enthüllungen standen mehr als 28.000 Seiten vertraulicher Dokumente der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Sie belegten, wie in den Jahren zwischen 2002 und 2010 mehr als 340 internationale Konzerne durch komplexe Steuergestaltungen ihre Steuerzahlungen drastisch reduzieren konnten. Die Dokumente zeigten besonders die Praxis der sogenannten „Advance Tax Agreements“ oder „Tax Rulings“: Vorab-Zusagen der Steuerbehörden, die den Unternehmen zusicherten, wie sie besteuert werden, falls sie nach Luxemburg kommen. Diese Vorab-Zusagen ermöglichten es den Konzernen, ihre effektiven Steuersätze auf teils unter ein Prozent zu drücken – während der reguläre Körperschaftsteuersatz in Luxemburg deutlich höher lag.
„Eine Kampagne gegen Luxemburg“
Anfangs versuchte Luxemburg sich zu wehren: „Ich bin nicht begeistert über das Bild von Luxemburg, das heute in der internationalen Presse zirkuliert“, so Premierminister Xavier Bettel damals in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, zu der gleich vier Minister angetreten waren. Außerdem unterstrich er, dass die Luxemburger Steuer-Rulings im Einklang mit den internationalen Regeln seien. Im Gegenzug „ist die Herausgabe von Steuerdaten illegal“, so der damalige Finanzminister Pierre Gramegna über die Herkunft der diskutierten Daten. Auch unterstrich er, dass es die Praxis von Steuer-Rulings, die den Unternehmen Planungssicherheit bietet, in europaweit vielen Ländern – auch Deutschland und Frankreich – gibt. Weiter hob er hervor, dass sich „diese Regierung wirklich für Transparenz und Steuergerechtigkeit“ einsetze. Rund ein Jahr zuvor war das traditionelle Bankgeheimnis für Ausländer zu Grabe getragen worden.
„Es handelt sich um eine Kampagne des ICIJ gegen das Land Luxemburg“, so damals die erste Reaktion von PwC in Luxemburg. Es handele sich größtenteils um Dokumente, die 2010 gestohlen wurden. Mehrmals unterstrich die Gesellschaft: „Es ist alles konform mit dem europäischen und dem internationalen Recht. Alles, was hier in Luxemburg passiert, ist legal.“ – „Wenn gesagt wird, Luxemburg habe das Monopol auf Steueroptimierung, dann ist das eine Ehre. Es ist aber nicht wahr“, so der damalige Managing Partner.
Im Fokus der internationalen Medien stand vor zehn Jahren auch der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Luxemburger Premierminister war, als die betreffenden Steuer-Rulings angewandt wurden.
In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren nahm der Druck auf Luxemburg immer weiter zu. Internationale Medien kamen ins Land und suchten nach Hintergründen. Von einem Tag auf den anderen stand Luxemburg am Pranger wie selten zuvor (oder danach). Auch später folgende „Leaks“ oder „Papers“ konnten den LuxLeaks nicht das Wasser reichen. Dabei hätten beispielsweise die „Panama Papers“ das Potenzial dazu gehabt.
Mit der Zeit ging es dann auch nicht mehr darum, ob alles international legal sei oder nicht. Die Frage der Moral, der Ethik und der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen rückte in den Vordergrund.
Die Enthüllungen zwangen Luxemburg zu einem grundlegenden Umdenken seiner Steuerpolitik. Das Land musste sich verändern, und es tat dies auch: Heute werden kaum noch Rulings gemacht. Die einstige, gern genutzte Praxis ist fast verschwunden. Das Großherzogtum hat sich neu positioniert und setzt verstärkt auf Transparenz und internationale Zusammenarbeit – einen Weg, wie er auch in den Jahren vor den LuxLeaks bereits eingeschlagen worden war.
Ein Umdenken in ganz Europa
Verändern musste sich derweil nicht nur Luxemburg, sondern auch Europa und die Welt. Der Steuerwettbewerb zwischen den Ländern, wo man sich gegenseitig unterbot, um auf Kosten anderer selbst etwas zu verdienen, geriet ins Visier der Steuerbehörden einiger großer Länder. Eine Reihe wichtiger Reformen wurden in den Folgejahren gestartet. Mit dazu zählen ein automatisierter EU-Informationsaustausch über Steuervorbescheide, die BEPS-Richtlinie gegen aggressive internationale Steuerplanung und eine europäische Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern.
Was nun Gerichtsprozesse angeht, die die EU-Kommission in den folgenden Jahren gegen Luxemburg und einige der in den LuxLeaks genannten Unternehmen eingeleitet hat, so waren diese nicht von Erfolg gekrönt. Praktisch jeder Fall gegen das Großherzogtum wurde nach und nach vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen.
LuxLeaks mag ein Geburtstag sein, den niemand in Luxemburg feiern will, aber der Skandal hat Europa nachhaltig verändert. Er hat verdeutlicht, dass legale Steuervermeidung nicht automatisch legitim ist. Er zwang nicht nur Luxemburg zu einer grundlegenden Neuausrichtung seiner Steuerpraktiken, sondern führte zeitgleich zu einem nachhaltigen Umdenken in der europäischen Steuerpolitik. Ein Erbe, das über den ursprünglichen Skandal hinausreicht.
Die angeprangerten Praktiken zur Steuervermeidung sind heute schwieriger geworden, der Kampf gegen die aggressive Steuergestaltung ist aber nicht vorbei. Neue Initiativen wie die für eine globale Mindeststeuer für Konzerne zeigen, dass das Thema weiterhin nicht geregelt ist.
Die Diskussionen und juristischen Auseinandersetzungen darüber, ob die beiden Männer hinter den Enthüllungen, Antoine Deltour und Raphaël Halet, nun Diebe oder Whistleblower und Helden sind, dauerte Jahre. Beide waren einst Mitarbeiter bei PwC in Luxemburg, hatten interne Dokumente mitgehen lassen und veröffentlicht. In ersten Urteilen wurden sie von der Luxemburger Justiz zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Mit der Zeit gewannen sie europaweit immer mehr Unterstützer. Jahre der Rechtsstreitigkeiten später wurde ihnen dann auch von der Justiz der Status des „Whistleblowers“ anerkannt.
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