EU-Parlament / Entwaldungsgesetz verschoben: Europäische Volkspartei EVP setzt auf Hilfe von Rechtsextremen
In einer zuweilen ungeordneten Abstimmung sprach sich am Donnerstag das Europäische Parlament (EP) für eine Verschiebung der Anwendung der sogenannten Entwaldungsverordnung aus. Doch nicht allein die Verschiebung oder die dabei zusätzlich gestimmten Änderungen an der Verordnung, sondern auch die dafür im EP zustande gekommenen Mehrheiten sorgen für Diskussionen.
Mit ihrem Entwaldungsgesetz will die EU neue Standards im Kampf gegen den Klimawandel und den Erhalt der Biodiversität setzen. Die Verordnung legt fest, dass sechs Produkte – Kaffee, Kakao, Kautschuk, Palmöl, Rindfleisch und Soja –, die auf abgeholzten Flächen angebaut werden oder von diesen stammen, nicht mehr in die EU eingeführt werden dürfen. Das gilt für Waldflächen weltweit, die nach dem Jahr 2020 abgeholzt wurden. Das Gesetz ist seit dem 29. Juni vergangenen Jahres in Kraft und sollte ab dem kommenden 30. Dezember angewendet werden. Allerdings wiesen sowohl EU-Mitgliedstaaten als auch Händler darauf hin, dass die praktische Umsetzung der Verordnung in dieser Frist nicht möglich ist. Die EU-Kommission hatte ein Einsehen, auch weil sie selbst mit den Vorbereitungen zur Umsetzung des Gesetzes ins Hintertreffen geraten war, und schlug Anfang Oktober vor, die Anwendung der Verordnung um ein Jahr zu verschieben.
Über eine Verschiebung bestehe weitgehender Konsens, erklärte uns nach der Abstimmung der luxemburgische EU-Parlamentarier Christophe Hansen, der seinerzeit federführend für das EP als Berichterstatter die Verordnung mit den EU-Mitgliedstaaten ausverhandelt hatte. „Auch der deutsche grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich dafür ausgesprochen“, so Christophe Hansen.
Damit geben die Konservativen den Ton für die nächsten fünf Jahre an, indem sie zunehmend dem Narrativ der extremen Rechten folgengrüne EU-Parlamentarierin
Allerdings hat dessen EVP-Fraktion nun von der Gelegenheit profitiert, eine Reihe von Änderungsanträgen einzubringen, mit denen das seit über einem Jahr verabschiedete Gesetz nachträglich abgeändert werden sollte. Dies stieß jedoch in den Fraktionen der Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken auf heftigen Widerspruch. Die luxemburgische EP-Abgeordnete Tilly Metz warf der EVP noch am Vortag der Abstimmung in einem Gespräch mit dem Tageblatt vor, die Verordnung verwässern zu wollen und sprach sich auch gegen eine Verschiebung der Anwendung des Gesetzes aus. Die Grünen-Politikerin verwies darauf, dass große Lebensmittelkonzerne wie Ferrero, Nestlé, Unilever und andere bereits entsprechende Investitionen getätigt hätten und nun bereit seien, das Gesetz anzuwenden.
Probleme bei Stimmabgabe und knappe Ergebnisse
Zur Abstimmung kamen schließlich nicht alle 15 von der EVP eingebrachten Änderungsanträge. Nachdem die EU-Kommission zuvor einige Eingeständnisse gemacht hatte, um so den Verwaltungsaufwand bei der Umsetzung der Verordnung zu limitieren, zog die EVP einige Anträge zurück. Einige der verbliebenen und schließlich auch gestimmten Änderungen findet Christophe Hansen in Ordnung. Er kritisierte jedoch die Einführung einer weiteren Risikokategorie hinsichtlich der Entwaldung. Neben der im Gesetz vorgesehenen Einstufung der Länder nach den Kategorien „geringes“, „normales“ und „hohes“ Risiko der Entwaldung, führt ein EVP-Vorschlag noch die Kategorie „kein Risiko“ ein. Unter diese Kategorie könnten jedoch Länder wie Vietnam oder China fallen, die dann kaum mehr zu kontrollieren seien, gab Christophe Hansen zu Bedenken.
Die Abstimmung über die verschiedenen Änderungsanträge, die wegen Problemen bei manchen Geräten zur elektronischen Stimmabgabe für zusätzliche Kritik sorgte, fiel mit Unterschieden von nur drei Stimmen immer wieder denkbar knapp aus. Die EP-Präsidentin Roberta Metsola von der EVP verweigerte auf Nachfrage der Vorsitzenden der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, eine Wahlwiederholung über die besonders knapp entschiedenen Änderungsanträge. Diese konnte die EVP-Fraktion übrigens nur mit den Stimmen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Fraktionen im EP durchbringen, die pro-europäischen Mitte-links-Fraktionen stimmten mehrheitlich dagegen. „Damit geben die Konservativen den Ton für die nächsten fünf Jahre an, indem sie zunehmend dem Narrativ der extremen Rechten folgen“, erklärte Tilly Metz.
Pro-europäische Koalition gerät ins Wanken
Das könnte Folgen haben, denn die pro-europäische Koalition, auf die sich die neue Kommission von Ursula von der Leyen stützt, gerät durch das Verhalten der EVP und insbesondere deren Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber ins Wanken. Nachdem die EVP nach den Anhörungen der Kommissarskandidaten der Spanierin und angehenden Vizepräsidentin der Kommission, Teresa Ribera von den Sozialdemokraten, bis auf weiteres die Zustimmung verweigert, haben die Spannungen zwischen den Fraktionen zugenommen. Dabei setzt Ursula von der Leyen auf die Zustimmung der pro-europäischen Fraktion für ihre neue Kommission Ende November im EP.
Christophe Hansen erklärte uns, dass er als angehender EU-Landwirtschaftskommissar nicht an der Abstimmung teilgenommen habe, da das Dossier Verbindungen zu seinem künftigen Aufgabenbereich habe. Seine Fraktionskollegin Isabel Wiseler-Lima war nicht auf Fraktionslinie und stimmte gegen die EVP-Anträge. Lediglich Fernand Kartheiser stimmte für die Anträge. Hingegen stimmten sowohl Isabel Wiseler-Lima als auch der liberale EP-Abgeordnete Charles Goerens für den Aufschub des Gesetzes.
Nun wird der zuständige Umweltausschuss des EP Verhandlungen mit den EU-Staaten über die beschlossenen Änderungen aufnehmen müssen. Kommt es bis Jahresende zu keiner Einigung, wird das Gesetz in der gegenwärtigen Fassung umgesetzt.
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