Artikelserie (Teil 2) / Das Forschungsprojekt ProviLux – Lange Schatten der NS-Enteignung und Spoliation in der Geschichte Luxemburgs
FAQ: Provenienzforschung
Woher stammt ein Kunstwerk? Wem hat es gehört? Wie und wann gelangte es in eine öffentliche Sammlung? Diese Fragen stellt sich die Provenienzforschung seit fast einem Jahrhundert. Sie untersucht die Besitz- und Entstehungsgeschichte von Kunstwerken und richtet sich an Museen, Sammler und Kunsthändler, die sich für die Herkunft eines Werkes im historischen, kulturellen, rechtlichen oder ethischen Kontext interessieren.
In den 1930er-Jahren entstand die Provenienzforschung als Teilbereich der Kunstgeschichte, mit einem Fokus auf die Prüfung der Authentizität von Kunstwerken. Ihre „Sternstunde“ erlebte sie in der Nachkriegszeit, als die Themen Spoliation, Enteignung und Kunstraub, insbesondere im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und der Kolonialzeit, in den Vordergrund rückten. Die Debatten über Spoliation und Restitution führten dazu, dass die Provenienzforschung als eigenständiges Forschungsgebiet in der Kunstgeschichte, (Post-)Kolonialgeschichte und Zeitgeschichte etabliert wurde. Die Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung* im Jahre 1998 lieferte hierbei einen wichtigen Impuls.
Heute ist die Provenienzforschung auch an Universitäten mit eigenen Lehrstühlen vertreten und Fachleute tauschen sich über aktuelle Fragen in verschiedenen Verbänden und Netzwerken aus. So wurde 1997 in Frankreich die „Commission pour l’indemnisation des victimes de spoliations“ gegründet, in Österreich (1998) und Deutschland (2000) wurden sogenannte „Arbeitskreise Provenienzforschung“ etabliert. In der Praxis spielt die Expertise dieser Expertennetzwerke vor allem in Museen, Galerien und öffentlichen Kulturinstitutionen eine zentrale Rolle.
Kooperation zwischen C2DH und drei Institutionen
Das am C2DH durchgeführte Forschungsprojekt ProviLux (siehe Tageblatt vom 12. November 2024) betreibt Provenienzforschung der im Kontext der NS-Besatzung konfiszierten oder geraubten jüdischen Eigentümer in Luxemburg. In Luxemburg führte die Ausstellung „Looted!“ im Jahr 2005 erstmals zu einer intensiven öffentlichen Debatte zum Thema und machte deutlich, dass dringend Forschungsbedarf bestand, um viele ungeklärte Fragen aufzuklären. Das Abkommen vom 27. Januar 2021 ermöglichte das aktuelle Forschungsvorhaben „ProviLux“, das im Sommer 2023 startete. Die Pilotphase des Projekts konzentriert sich auf die Sammlungen der Villa Vauban (Les 2 Musées de la Ville de Luxembourg), des Nationalmuseums (MNAHA) und der Nationalbibliothek Luxemburgs (BNL). Alle drei Institutionen, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert als Träger des kulturellen Gedächtnisses des Landes etablierten, verbindet die Tatsache, dass sie nach der Besetzung des Landes durch die Deutschen nach dem Vorbild der Reichskulturkammer in die Strukturen der Kulturlandschaft des Dritten Reiches eingegliedert wurden.
Yasmina Zian untersucht die institutionelle Geschichte und den Sammlungsaufbau des Nationalmuseums während der Besatzungszeit. Im Rahmen ihres Projekts analysiert sie die Eingangsinventare aus den 1940er Jahren, die zahlreiche vom Landesmuseum während und nach der Besatzung erworbene Objekte auflisten. Eine Anmerkung zum Begriff „Landesmuseum“: Vor dem Krieg trug das MNAHA tatsächlich den Namen Nationalmuseum. Nach der Annexion Luxemburgs wurde es in „Landesmuseum Luxemburg“ umbenannt und in die Struktur der Landesmuseen des Dritten Reichs integriert. Während des Krieges hatte das Museum zwei Abteilungen: eine für Geschichte und eine für Naturwissenschaften, die von den luxemburgischen Kuratoren Joseph Meyers und Marcel Heuertz geleitet wurden. Heute sind diese beiden Abteilungen in zwei eigenständige Museen aufgegangen: das MNAHA und das „Musée national d’histoire naturelle“. Das Landesmuseum investierte während der Besatzung beträchtliche Summen in den Erwerb von Objekten, da es als Schaufenster für die Propaganda des Gauleiters Simon dienen sollte. Auch auf Personalebene gab es Neueinstellungen, insbesondere von zwei Personen: Georges Schmitt, der später Luxemburg bei der Organisation des wirtschaftlichen Wiederaufbaus vertreten sollte, und Eugénie Wilhelm, die für die detaillierte Inventarisierung der Sammlungen des MNAHA zuständig war.
Der Bau eines repräsentativen Gebäudes sowie die Unterbringung der Kunstsammlung der Stadt Luxemburg, deren Grundstock aus den Sammlungen von J.-P. Pescatore, E. Dutreux-Pescatore, L. Lippmann und anderen besteht, wurden ebenfalls während der Besatzungszeit intensiv diskutiert. Unter der Ägide des deutschen Oberbürgermeisters Richard Hengst sollten die wertvollen Kunstgegenstände in einem geplanten Heimatmuseum ausgestellt werden. Hierfür war das großherzogliche Schloss vorgesehen. Von Dezember 1940 bis Frühjahr 1943 diente das Palais Grand-Ducal dem Chef der Zivilverwaltung (CdZ) und später der Stadtverwaltung als Lagerort für beschlagnahmte Gegenstände, die vorwiegend aus den Wohnungen der von der nationalsozialistischen Besatzungsmacht als jüdisch definierten Familien sowie Emigranten stammten, die entweder deportiert wurden oder vor der Deportation ins Ausland fliehen konnten. Wie aus der Korrespondenz zwischen CdZ und Stadtverwaltung hervorgeht, die im Rahmen dieses Projekts von Anna Jagos untersucht wird, zeigte die Kommunalverwaltung großes Interesse daran, zahlreiche Gegenstände für das geplante Heimatmuseum zu erwerben. Die Errichtung des Heimatmuseums wurde jedoch aufgrund finanzieller und logistischer Herausforderungen gegen Ende des Krieges nicht realisiert. Viele Kunstwerke fanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihr dauerhaftes Zuhause in der Villa Vauban. Welche Auswirkungen hatte diese dunkle Epoche auf die Akquisition von Kunstobjekten, die Ausstellungspolitik sowie auf den lokalen und internationalen Kunstmarkt der Nachkriegszeit? Auch diese Fragen werden im Rahmen dieses Projekts untersucht.
Als drittes Teilprojekt von „ProviLux“ führt schließlich Marc Adam Kolakowski eine systematische Provenienzforschung in der BNL (zur Zeit der Besatzung als Landesbibliothek bekannt) durch. Mehr als 50.000 Werke aus dem sogenannten „nicht-luxemburgischen Bestand“, allesamt Bücher, die vor 1945 veröffentlicht wurden, sollen im Zuge des Projekts auf mögliche Hinweise auf frühere jüdische Besitzer überprüft werden. Zudem sollen die Akteure identifiziert werden, die an den Enteignungsmechanismen beteiligt waren. Alle Bücher werden in einer Datenbank erfasst werden, die künftig die Suche nach geraubten Büchern in den Katalogen der BNL ermöglichen soll.
Zwischen Detektivarbeit und Historikerarbeit
Provenienzforschung ist in der Tat eine große Herausforderung für Historiker:innen. Sie erfordert gründliche Kenntnis der bestehenden Forschungsliteratur, Ausdauer bei der Spurensuche in Archiven und gründliche Quelleninterpretation. Die Arbeit des Provenienzforschers kann sich teilweise auf Voruntersuchungen sowie die interne Dokumentation (Findbücher, „catalogues raisonnés“) von Kulturinstitutionen stützen. Zentral aber bleibt die Archivarbeit, etwa in den „Archives nationales du Luxembourg“ (ANLux), den „Archives de la Ville de Luxembourg“ (AVL) sowie in ausländischen Archiven (Bundesarchiv, Archives générales du Royaume de Belgique, National Archives Washington D.C. u.a.).
Die Luxemburger Archive bieten Einblicke in die Mechanismen der Enteignung. Besonders Bestände der ANLux, wie z.B. Chef der Zivilverwaltung (CdZ) – Abteilung IV a, Crimes de guerre, Office des dommages de guerre, liefern Informationen über die Akteure, die in Enteignungsprozesse involviert waren. Darunter befinden sich Kunsthändler, Antiquitätenhändler sowie Beamte. Auch liefern die Bestände Informationen zu Opfern der Enteignungen, die nach 1944 beim Luxemburger Staat die Restitution ihres beschlagnahmten Mobiliars beantragten oder eine Entschädigung forderten. Auf diese Weise lassen sich Einzelfälle von Plünderungen und Enteignungen von Kunstobjekten, Mobiliar oder Bibliotheken genauer untersuchen.
In deutschen Archiven, etwa im Bundesarchiv Koblenz, lassen sich weitere bisher nicht ausgewertete Quellen im Kontext der luxemburgischen Zeitgeschichte ausfindig machen, insbesondere Wiedergutmachungsakten aus der Nachkriegszeit. Diese bieten detaillierte Einblicke in Restitutions- und Entschädigungsverfahren und umfassen Listen mit präzisen Beschreibungen der entzogenen Güter. Eine weitere wichtige Ressource sind Herkunftsmarken auf den untersuchten Objekten (Zettel, Exlibris, Unterschriften, Widmungen, Stempel, Beschriftungen usw.). Ihre Erfassung ermöglicht eine präzisere Einordnung der Objekte und im Idealfall die Identifizierung der Vorbesitzer.
Diese Beispiele zeigen, dass Provenienzforschung eine oftmals mühsame und komplexe Angelegenheit ist, die einen langen Atem und internationale Kooperation erfordert. Sie stützt sich nicht nur auf gründliche Archivarbeit, sondern auch auf die enge Zusammenarbeit der Forscher mit Kuratoren, Konservatoren, Kunsthistorikern und anderen Kollegen im In- und Ausland. Vor allem aber ist sie getragen von der Hoffnung, identifiziertes „Raubgut“ als solches kenntlich zu machen und – falls möglich – zu restituieren.
* Bei der „Washingtoner Erklärung“ (englischer Originaltitel: Washington Conference Principles on Nazi-Confiscated Art) handelt es sich um eine rechtlich nicht bindende, jedoch moralisch und ethisch verpflichtende Übereinkunft mit elf Artikeln, um die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Siehe https://www.state.gov/washington-conference-principles-on-nazi-confiscated-art/.
Das Forschungsteam
Im Forschungsteam ProviLux arbeiten drei Postdoktoranden zusammen: Dr. Marc Adam Kolakowski, Dr. Anna Jagos und Dr. Yasmina Zian. Dank ihrer Kompetenzen war es möglich, verschiedene Perspektiven, Quellen und Vorgehensweisen zu vergleichen und zusammenzuführen. Das Begleitkomitee setzt sich zusammen aus dem Direktor des C²DH, Prof. Andreas Fickers, den Direktoren der beteiligten Institutionen Dr. Claude Conter, Dr. Guy Thewes und Dr. Michel Polfer, den Vertretern der Jüdischen Gemeinde Luxemburgs, Dr. iur. François Moyse und Herrn Robi Gottlieb, sowie den Regierungsvertretern Herrn Patrick Majerus vom Staatsministerium und Dr. Laurence Brasseur vom Kulturministerium. Im Sommer 2024, nach dem ersten Jahr intensiver Forschung, wurde dem Begleitkomitee ein vorläufiger Bericht präsentiert, der bereits erste Ergebnisse lieferte. Dieser Bericht schließt die erste Etappe ab; der Abschlussbericht wird voraussichtlich im Jahr 2026 der Öffentlichkeit vorgestellt.
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