Theater / Ivo van Hove zeigt Ingmar Bergmans „Nach der Probe“ und „Persona“ im Théâtre de la Ville de Luxembourg
2012 war im Grand Théâtre bereits Ivo van Hoves Theaterversion von Ingmar Bergmans beiden Filmen „Nach der Probe“ und „Persona“ mit niederländischen Schauspielern zu sehen. Jetzt gab es im selben Theater eine Wiederaufnahme mit französischen Schauspielern.
Auch wenn Ingmar Bergman einem breiteren Publikum vor allem durch seine Filme („Das Schweigen“, „Schreie und Flüstern“, „Das siebente Siegel“, „Fanny und Alexander“) bekannt ist, so hat er doch auch jahrelang als Stückeschreiber, Regisseur und Intendant am Theater gearbeitet, wo er immer wieder mit Inszenierungen Aufsehen erregt hat, die in ihren Anfängen durch ihre überbordende Vitalität bestachen, dann aber nach und nach immer einfacher, präziser, direkter und wesentlicher wurden. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch in seiner Filmarbeit beobachten; ja dies ist wohl das Kennzeichen jedes echten, wirklich ernst zu nehmenden Künstlers. Und so hat es bei Bergman immer eine Wechselwirkung, eine gegenseitige Beeinflussung und fließende Übergänge von Film und Theater gegeben. Bei ihm hat das Theater vom Film gelernt und der Film vom Theater. Später kam dann auch noch das Fernsehen hinzu.
Bergmans erste Liebe
Aber seine erste Liebe galt trotzdem dem Theater. In einem kurzen Text von 1961, „Ich ziehe das Theater vor“, beschreibt er, weshalb: „Das Theater hilft dem Regisseur genauso wie dieser dem Theater hilft. Es zwingt den Regisseur, an etwas zu glauben, und dieser Glaube zwingt ihn, ihn mit dem ganzen Ensemble zu teilen, mit dem er sich umgeben hat. Der Glaube an was? Der Glaube, dass wir alle auf der Bühne, die Schauspieler und der Regisseur, einer Sache dienen, und dass diese Sache für uns die allergrößte Bedeutung hat. Der Glaube, dass die Gesetze des Theaters streng und absolut sind, und dass sie nicht vernachlässigt und abgemildert werden können. Das Erste, was die jungen Schauspielschüler lernen müssen, ist nicht der trunkene Rausch des Theaters, sondern seine Forderungen. Die Proben sind für uns deshalb nichts anderes als geheiligte Zeremonien.“
Da wir aber spätestens seit Aragon wissen, dass es keine glückliche Liebe gibt, braucht es uns also nicht zu überraschen, dass Ingmar Bergmans Liebe zum Theater nie harmonisch und unproblematisch war, sondern von ihm immer wieder auf die Probe gestellt wurde und allergrößten Selbstbefragungen und unerbittlichen Selbstzweifeln unterworfen war. Bergman verstand seine Kunst nie als selbstverständlich, und einige seiner besten Werke verdanken gerade ihre Entstehung regelmäßig auftauchenden Krisen. Was veranlasste ihn aber, trotzdem weiterzumachen, seine künstlerische Tätigkeit in einem, wie er es empfand, immer gleichgültiger und permissiver werdenden gesellschaftlichen Umfeld weiter auszuüben? Sein Bekenntnis hat er so formuliert: „Wenn ich weiterhin Kunst machen möchte, dann hat das einen einfachen Grund. Der Grund ist Neugier. Eine grenzenlose, nie zu stillende, sich ständig erneuernde, unerträgliche Neugier, die mich antreibt, mir keine Ruhe lässt, die mir den Hunger nach Gemeinschaft aus früheren Zeiten vollständig ersetzt. Ich fühle mich wie jemand, der jahrelang im Gefängnis gesessen hat und plötzlich in das krachende, brüllende, prustende Leben hinaustaumelt.“
Da das Theater Ingmar Bergman zeit seines Lebens fast bis zur Besessenheit beschäftigt hat und die meisten seiner Filme autobiografisch (oft bis zur Selbstentblößung), geprägt sind, hat er die Welt der Bühne und der Schauspieler immer wieder zum Gegenstand seiner Filme gemacht.
„Nach der Probe“
1984 hat Bergman ein Drei-Personen-Stück für das schwedische Fernsehen gedreht, das ganz im Theatermilieu spielt. In „Nach der Probe“ sucht eine junge Schauspielerin unter einem banalen Vorwand ihren etwa 50-jährigen Regisseur auf, um mit ihm über das Theater und vor allem über ihre Rolle der Tochter Indras in seiner fünften Inszenierung von Strindbergs „Traumspiel“ zu reden. Henrik Vogler, der Regisseur, der seit acht Jahren allein lebt, hat sich ganz in die Welt des Theaters zurückgezogen, das Theater bedeutet ihm alles, denn es gestattet ihm, seinem Gefühlsleben in seinen Aufführungen den besten und intensivsten Ausdruck zu verschaffen. Aber er könnte auch der Vater dieser talentierten Anna sein. Denn mit ihrer Mutter Rakel, die auch nicht auf sich warten lässt, zu erscheinen (ist es Voglers Einbildung, ist es Realität?), hatte er mal vor langer Zeit eine Liaison.
Wenn ich weiterhin Kunst machen möchte, dann hat das einen einfachen Grund. (…) Eine grenzenlose, nie zu stillende, sich ständig erneuernde unerträgliche Neugier, die mich antreibt, mir keine Ruhe lässt, die mir den Hunger nach Gemeinschaft aus früheren Zeiten vollständig ersetzt.u.a. Regisseur
Zwischen der Schauspielerin Rakel und dem Regisseur Henrik (eine Art alter ego Bergmans) entspinnt sich ein Streitgespräch über frühere persönliche Enttäuschungen und übers Theater, in der Ansichten aufeinanderprallen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Für den Regisseur ist eine Probe „eine chirurgische Operation, die Disziplin und Reinheit, Licht und Präzision erfordert“. Für die Schauspielerin dagegen ist das Theater „eine Welt der Huren und Zuhälter, der Intrigen, des Schmutzes und der Schändlichkeit“. Da es zu keiner Versöhnung kommt, kommen kann, trennen sich die beiden. Henrik wendet sich wieder der jungen, hoffnungsvolleren Anna zu.
„Persona“
1966 hat Ingmar Bergman einen seiner schwierigsten, rätselhaftesten und ästhetisch komplexesten Filme gedreht: „Persona“. Vordergründig handelt es sich um die Begegnung zweier Frauen. Die eine ist eine erfolgreiche Schauspielerin namens Elisabeth Vogler, die während einer Vorstellung der Elektra plötzlich aufgehört hat zu sprechen und sich seither ins Schweigen zurückgezogen hat. Die andere heißt Alma, ist eine junge Krankenschwester und mit der Pflege von Elisabeth in der Klinik betraut. Obwohl die Ärztin in der Stummheit ihrer Patientin nichts Krankhaftes sieht, sondern einen Akt der Aufrichtigkeit, nämlich, weder im Leben noch auf der Bühne irgendeine Rolle mehr zu spielen, glaubt sie, dass ein Aufenthalt in ihrem Landhaus am Meer Elisabeth wieder aus ihrem katatonischen Zustand befreien könnte. Das anfangs freundschaftliche Verhältnis zwischen der ständig redenden und sich dabei entblößenden Krankenschwester und der schweigsamen Schauspielerin kippt abrupt in offene Feindschaft um, als Alma einen Brief entdeckt, in dem sie sich von Elisabeth verraten fühlt. Nachdem ein verwirrendes Geflecht von Vampirismus, Identitätsverlust und Persönlichkeitstausch sich am Ende wieder aufgelöst hat, kehrt jede der beiden Frauen wieder in ihren ureigensten Bereich zurück: Alma in ihre Familie und in die Klinik, Elisabeth ans Theater.
Inszenierung von Ivo van Hove
Der Regisseur Ivo van Hove hat „Nach der Probe“ und „Persona“, nachdem er die beiden Stücke 2012 schon einmal auf Holländisch gezeigt hat, jetzt mit französischen Schauspielern noch mal inszeniert. Vor zwei Jahren hatte ich seine außergewöhnliche Inszenierung von Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ im Théâtre de la Ville de Luxembourg gesehen. Mit großer Erwartung ging ich also in seine „Nach der Probe/Persona“-Inszenierung. Doch welche Enttäuschung! Wer Ingmar Bergmans beiden Filme „Nach der Probe“ und „Persona“ nicht kennt, wird sie in dieser Inszenierung nicht kennenlernen, und wer sie kennt, wird sie nicht wiedererkennen.
Anstatt sich Zeit zu lassen und zu sehen, wie die Dialoge oder der Monolog (von Alma) auf den Partner und auf einen selbst wirken, spielten die Akteure teilweise wie von Furien gehetzt oder als stünden sie unter einem unerträglichen Druck. Von Souveränität und intensiver körperlicher Präsenz nicht die geringste Spur. Ein Satz des Regisseurs Fritz Kortner bringt es auf den Punkt: „Tempo ist Flucht vor dem Ausdruck.“ Wo bei Ingmar Bergman eine von unterschwelliger Erotik und Gewalt geprägte Dramatik stattfindet, da findet bei Ivo van Hove nur sinnentleerte Aufgeregtheit statt.
Die Schauspieler spielten ohne innere Anteilnahme, als ob sie das Ganze nichts anginge, was umso unverständlicher ist, da es sich bei den beiden Stücken doch um ihre eigene Welt, die des Theaters, und um ihren eigenen Beruf, den des Schauspielers, handelt. Wie soll man sich als Zuschauer für Schauspieler interessieren, die sich nicht einmal für sich selbst interessieren? Was bei Bergmans „Persona“ mal Verstörung war, ist bei van Hove nur noch Ärgernis.
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