EU-Parlament / Nach dem Geschacher um neue EU-Kommissare herrscht Unzufriedenheit
Nach der Einigung am Mittwochabend zwischen den Fraktionen im Europäischen Parlament (EP), die Nominierung aller künftigen Kommissarinnen und Kommissare zu bestätigen, herrscht Unzufriedenheit vor allem bei den Sozialdemokraten und Grünen. Dennoch wird davon ausgegangen, dass bei der für kommende Woche geplanten Abstimmung über die neue EU-Kommission im EP eine Mehrheit zusammen kommt.
Die Anhörungen der künftigen EU-Kommissare in den jeweiligen Ausschüssen im EP sind eigentlich dazu gedacht, die Eignung der Kandidaten für das Amt vor allem in fachlicher Hinsicht unter die Lupe zu nehmen. Doch auch politische Erwägungen fallen ins Gewicht, an denen in der Vergangenheit bereits einige Kandidaten gescheitert sind. Etwa der Italiener Rocco Buttiglione, der 2004 wegen seiner Einstellungen zu Homosexuellen und herablassenden Bemerkungen über Frauen aus dem Rennen um einen Kommissionsposten schied.
Bei der diesmaligen Musterung fiel der Italiener Raffaele Fitto auf, was kein Zufall ist, denn er gehört der „Fratelli d’Italia“ an, der von Giorgia Meloni geführten postfaschistischen Regierungspartei. Ausgerechnet diesem Kandidaten bot die bereits bestätigte neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Posten eines Exekutiv-Vizepräsidenten in der EU-Kommission an. Bereits im Sommer hatte die von Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni zur Schau gestellte Nähe zwischen beiden Spekulationen über eine engere Zusammenarbeit ausgelöst. Meloni ging es dabei vor allem darum, dass ihr Land gebührend in der Brüsseler Behörde vertreten ist. Von der Leyen erfüllt ihr den Wunsch, der jedoch unvermittelt scharfe Kritik im Mitte-links-Lager des EP auslöste. Denn noch vor den Europawahlen im Juni hatte die EVP-Spitzenkandidatin jegliche Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Fraktionen im EP ausgeschlossen. Das galt zumindest bis zum Juli, als Ursula von der Leyen, außer jener ihrer EVP, mit den Stimmen der Sozialdemokraten (S&D), Liberalen (Renew) und Grünen für eine zweite Amtszeit bestimmt wurde. Die pro-europäische Koalition lebte weiter. Aber nicht nur.
Denn die EVP zeigte, dass sie auch mit anderen kann, den eben nicht so pro-europäischen, ja sogar teils offen EU-feindlichen Fraktionen am rechten Rand im EP, wenn es ihr politisch in den Kram passt. So erstmals im September bei einer Abstimmung über eine Resolution über Venezuela, bei der sich die EVP den Rechtspopulisten und Rechtsextremen im EP anschloss. Und nun noch einmal vergangene Woche, als die EVP-Fraktion nur mit den Stimmen von Rechtsaußen Änderungsvorschläge zum bereits beschlossenen Entwaldungsgesetzes durchsetzen konnte (siehe Tageblatt vom 15. November).
Leiteten Manfred Weber Eigeninteressen?
Der sehr auf die Vormachtstellung seiner Fraktion bedachte Vorsitzende der EVP, Manfred Weber, nutzt nun die Anhörungen, um seine parteipolitischen Spielchen zu treiben. Da sich insbesondere die sozialdemokratische Fraktion im EP mit ihren 136 Abgeordneten einer Zustimmung für Raffaele Fitto zum Vize-Präsidenten der EU-Kommission widersetzen würde, stellte die EVP die Eignung der spanischen Kandidatin und bisherigen Umweltministerin Teresa Ribera infrage. Die jedoch, nach Angaben der luxemburgischen Grünen-Abgeordneten Tilly Metz, während ihrer Anhörung einen guten Eindruck gemacht habe. Gleichzeitig wurde die Zustimmung zu allen anderen Vize-Präsidenten, darunter auch der französische Liberale Stéphane Séjourné, ausgesetzt.
Zur Auflösung der Blockade verlangte Webers EVP Medienberichten zufolge, dass Teresa Ribera dem spanischen Parlament über den Umgang mit der Flutkatastrophe in der Region von Valencia Rede und Antwort stehen musste. Was offenbar auch ein Gefallen für die konservative Volkspartei PP in Spanien war, die aus dem Auftritt von Ribera politisches Kapital schlagen wollte. Denn der PP-Regionalpräsident von Valencia, Carlos Mazón, ist wegen des Managements der Katastrophe mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.
Der luxemburgische EU-Parlamentarier Marc Angel vermutet hinter diesen Spielchen Eigeninteressen des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, der gleichzeitig auch Präsident der europäischen Parteienfamilie EVP ist. Denn Weber, der offensichtlich seine im März kommenden Jahres bei einem Kongress anstehende Wiederwahl als EVP-Präsident vorbereitet, wolle sich der Stimmen des mächtigen PP versichern, meint Marc Angel. Offenbar seien die polnischen EVP-Kollegen von der „Bürgerplattform“ (PO) nicht mehr so gut auf den Deutschen zu sprechen, da dieser mit Fitto den Kandidaten der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) durchboxt. Denn in der EKR-Fraktion wiederum ist als zweitstärkste Kraft die polnische Kaczyński-Partei PiS vertreten, mit der die regierende PO in Polen schwer zu kämpfen hat.
Unzufrieden mit Verhandlungsführung
Am Mittwochabend vereinbarten die drei Fraktionen – EVP, S&D, Renew –, allen noch verbleibenden Kommissionsanwärtern ihre Zustimmung zu geben, um den Nominierungsprozess voranzubringen. Denn bereits am kommenden Mittwoch soll das EP über die neue EU-Kommission abstimmen. Gleichzeitig legten die drei Fraktionen eine Erklärung ihrer „Kooperationsplattform“ vor, in der sie sich zu einer Zusammenarbeit in einer Reihe von politischen Themen bekennen.
Die Einigung stößt allerdings vor allem bei den sozialdemokratischen EP-Abgeordneten auf Unmut. „Einige Delegationen sind nicht ganz zufrieden mit der Verhandlungsführung“, sagte Marc Angel. Die Verhandlungen wurden von der S&D-Fraktionsvorsitzenden Iratxe García Pérez geleitet. Die Spanierin wiederum hatte einen schweren Stand, da der spanische Regierungschef Pedro Sanchez unbedingt seine Kandidatin Ribera durchbringen wollte. „Wir müssen uns damit abfinden, dass es keine proeuropäische Mehrheit mehr im Parlament gibt“, bedauert Marc Angel. Auch für ihn ist Raffaele Fitto als Vize der Kommission „ein No-Go“. Und die Erklärung der drei Fraktionen sei „bei weitem nicht perfekt“. Marc Angel will noch die fraktionsinternen Diskussionen abwarten, bevor er seine Haltung für die Abstimmung über die Kommission festlegt.
Sozialdemokraten haben kaum etwas geholt
Auch Tilly Metz will noch die Fraktionssitzung am kommenden Montag abwarten, ist aber bereits entschlossener, der neuen Kommission ihre Zustimmung zu verweigern. Nicht nur Raffaele Fitto, sondern auch der ungarische Kandidat Olivér Várhelyi, der die Ressorts Gesundheit und Tierwohl übernehmen soll, stünden ihrer politischen Haltung diametral gegenüber. Von der Kommissionspräsidentin fühlt sich die Grünen-Politikerin wegen der Ernennung Fittos hintergangen. „Wir waren gut dafür, ihr unsere Stimmen zu geben“, so Tilly Metz. Nun aber gebe Ursula von der Leyen den Extremrechten zu viel Macht, so die Grünen-Abgeordnete, die sich jedoch ebenfalls darüber wundert, dass die Sozialdemokraten nicht mehr aus den Verhandlungen rausholen konnten.
In der Tat hatte die S&D-Fraktion im September in einer „Warnung“ den Verbleib ihres Spitzenkandidaten und luxemburgischen Kommissars, Nicolas Schmit, im Amt gefordert, einen EKR-Politiker „im Herzen der Kommission“ abgelehnt, eine ausgewogene Vertretung von Männern und Frauen in der Kommission, sowie einen stärkeren Fokus auf soziale Rechte verlangt. Keiner dieser Punkte wird nun erfüllt und die Sozialdemokraten sind gerade einmal mit vier von 27 Mitgliedern in der Kommission vertreten, die allermeisten gehören der EVP an. Marc Angel tröstet sich damit, dass die vier S&D-Kommissarinnen „starke Portfolios“ haben. Dennoch meint er mit Blick auf die kommenden fünf Jahre: „Es wird schwierig.“
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