Neuwahlen in Deutschland / Die Kanzlerpartei klatscht, die Kanzlerpartei zweifelt
Nach tagelanger Debatte um die Kanzlerkandidatur ist nun klar: Die SPD setzt wieder auf Olaf Scholz bei der Bundestagswahl. Der Kanzler hat direkt den Wahlkampf eingeläutet, doch mancher Genosse sucht lieber in der Zukunft Trost.
Olaf Scholz weiß, dass er heute liefern muss. Es ist ein besonders kritischer Moment nach allem, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Jetzt gilt es für ihn, die SPD wieder zu einen, hinter sich zu versammeln und zum Kämpfen zu motivieren. In einem Rennen, das zum aktuellen Zeitpunkt aussichtslos scheint. Doch ein Olaf Scholz gibt nicht auf, das ist jetzt klarer denn je.
Und so steht der Bundeskanzler und designierte Kanzlerkandidat am Freitagmorgen mit noch müden Augen im Scheinwerferlicht. Dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte. Den linken Daumen lässig in den Gürtel gehängt, die andere Hand hält das Mikro. Im Saal einer umgewidmeten Kirche in Berlin-Friedrichshain sitzen rund 100 SPD-Kommunalpolitiker aus ganz Deutschland. Sie hören sehr genau zu, was Scholz so sagt. Denn alle haben eine Meinung zu ihm nach drei Jahren Ampel-Regierung. Und alle hatten eine Meinung in der Debatte um die Kanzlerkandidatur, die am Vorabend endlich entschieden wurde.
Doch dazu sagt Scholz kein Wort. Auch nicht zu Verteidigungsminister Boris Pistorius, den viele Genossen nicht zuletzt wegen seiner Spitzenposition in Beliebtheitsrankings lieber als SPD-Kanzlerkandidat gesehen hätten. Stattdessen schaltet Scholz voll auf Wahlkampfmodus und gibt einen ersten Vorgeschmack auf die sozialdemokratische Erzählung für die kommenden drei Monate bis zur Wahl.
Olaf Scholz zurück im Scheinwerferlicht
Scholz spricht den Ukraine-Krieg an und bekräftigt seinen Kurs der „Besonnenheit“. Es sei richtig gewesen, Deutschland zum wichtigsten Unterstützer der Ukraine nach den USA zu machen, sagt er. Es gehe aber auch darum, einen Krieg zwischen Russland und der NATO zu verhindern. „Das habe ich getan.“ Den jüngsten Einsatz von russischen Mittelstreckenraketen nennt er „eine furchtbare Eskalation“ und macht klar, dass er von seinem Nein zur Lieferung der Taurus-Marschflugkörper nicht abrücken wird. Scholz verteidigt noch einmal den Rauswurf von FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister und den Bruch der Ampel-Koalition und bekommt dafür viel Applaus. Er lobt aber auch Ampel-Maßnahmen, etwa zur Steuerung von Zuwanderung und Begrenzung von irregulärer Migration. Scholz wirbt zudem für die Reform der Schuldenbremse und sagt, er wolle Bauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu zentralen Themen machen.
Gegenwind bekommt er an diesem Morgen nicht, im Gegenteil: Die Kommunalpolitiker würdigen Scholz‘ Besuch mit stehendem Applaus. Vor Scholz war Parteichef Lars Klingbeil aufgetreten. An ihm war die Kritik zuletzt auch lauter geworden, weil er die Debatte um die Kanzlerkandidatur nach Ansicht vieler Genossen zu lange hatte laufen lassen.
Als Klingbeil auf der Bühne steht, verteidigt er dieses Vorgehen. Natürlich müsse diskutiert werden in der Partei. Die Debatte über Scholz oder Pistorius habe Luft gebraucht, so sieht es Klingbeil. „Ich bin ein Parteivorsitzender, der nicht sagt Basta (…), sondern ich will auch reinhorchen in die Partei, ich will auch ernst nehmen, was diskutiert wird.“ Kritiker werfen ihm vor, dass die Partei sich damit selbst geschadet habe. Klingbeil aber ruft nun lieber zu Geschlossenheit auf. Am Montag sollen SPD-Präsidium und der Vorstand Scholz nominieren.
Geschlossenheit ist das Wort
Geschlossenheit ist das Wort, das an diesem Freitag von allen Seiten aus der SPD zu hören ist. Auch von Dirk Wiese, dem Co-Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe in der Bundestagsfraktion der SPD. Er hatte mit einem Statement den Druck auf Scholz erhöht und sich indirekt für Pistorius ausgesprochen. Nach der Entscheidung sagt er, das von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bestätigte „Grummeln müssen wir jetzt in rote Energie verwandeln.“ Und ergänzt: „Wir haben eine Entscheidung. Wir haben Klarheit. Das begrüße ich sehr.“ Ihm gehe es um eine starke SPD. „Eine SPD, die gemeinsam gewinnen will. Und Friedrich Merz verhindert“, so Wiese.
Rückblende: Am Donnerstag fällt die Entscheidung über die K-Frage. Dem Vernehmen nach soll Pistorius die Parteispitze bereits gegen Mittag informiert haben, dass er nicht zur Verfügung steht für eine Kandidatur. Womöglich, nachdem er erkannt hat, dass Scholz nicht weichen wird. Eine Ansage von Klingbeil gibt es nicht, Pistorius erklärt sich zuerst. Am frühen Nachmittag treffen sich dann alle im Willy-Brandt-Haus, besprechen das weitere Vorgehen. Pistorius nimmt eine Videobotschaft auf, die am Abend gegen 19.30 Uhr veröffentlicht wird und in der er sich erklärt und hinter Scholz stellt. Nach Tagen der Debatte hat die SPD endlich Klarheit über ihr Personal.
Vor den Kommunalpolitikern am Freitag in Berlin-Friedrichshain geht Scholz auf die schlechten Umfragen nur am Rande ein. Stattdessen versucht er, sich und seiner Partei mit einem Scherz Mut zu machen. Die Wahl am 23. Februar finde am Geburtstag von Parteichef Lars Klingbeil und seiner Frau Britta Ernst statt. „Es muss also gut gehen“, sagt Scholz. Lacher im Saal.
Doch kurz darauf bei einer Kaffeepause im Foyer sind viele der angereisten Kommunalpolitiker nicht so sicher, dass das klappen wird mit dem Wahlsieg. Auch wenn niemand Scholz’ Wahlkampffähigkeiten unterschätzen will. Einige denken aber schon weiter. Sie rechnen bestenfalls mit dem zweiten Platz hinter der Union, sehen dann Scholz vor seinem Abschied aus der Bundespolitik und gehen von einer neuen großen Koalition aus. In der könnte Boris Pistorius weiterhin Verteidigungsminister bleiben – und in vier Jahren womöglich Kanzlerkandidat der SPD werden.
Politbarometer
Schon vor dem Verzicht von Boris Pistorius auf die SPD-Kanzlerkandidatur hat Amtsinhaber Olaf Scholz im „ZDF-Politbarometer“ im direkten Vergleich mit Unionsherausforderer Friedrich Merz an Zustimmung gewonnen. Für Scholz als Kanzler sprachen sich nach der am Freitag veröffentlichten Umfrage 39 Prozent der Wahlberechtigten aus – das waren zwei Prozentpunkte mehr als bei der vorherigen Erhebung im Oktober. Merz verlor hingegen vier Punkte auf 44 Prozent. 17 Prozent (plus zwei) legten sich nicht fest. Wäre jedoch Pistorius ins Rennen gegangen, hätte er Merz laut der Umfrage klar hinter sich gelassen. In der Erhebung sprachen sich 59 Prozent für ihn als Kanzler aus, für Merz nur 28 Prozent. 13 Prozent äußerten keine Meinung. In der Sonntagsfrage veränderte sich die Lage allerdings wenig. CDU/CSU kämen mit großem Abstand mit 32 Prozent auf Platz eins, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Dies ist ein Minus von einem Punkt. Die AfD würde mit unverändert 18 Prozent auf Platz zwei stehen, die SPD bei 16 Prozent. Ohne Veränderung lägen die Grünen bei zwölf Prozent. Das BSW würde einen Punkt einbüßen und stünde bei fünf Prozent. Nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen würden es die Linke mit vier Prozent und die FDP mit drei Prozent. (AFP)
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