Kulturpolitik / Warum Residenzen für Luxemburgs Kunstszene wichtig sind
Sébastian Thiltges hat im Auftrag des Kulturministeriums eine Bestandsaufnahme der Kunstresidenzen in Luxemburg erstellt. Seine Arbeit bringt Klarheit in einen Begriffsdschungel – und könnte die Förderstrukturen für Kunst und Kultur im Land maßgeblich beeinflussen.
Was ist eine Kunstresidenz? Die Veranstaltung am Freitagmorgen in der Abtei Neumünster sollte diese Frage beantworten: Das Kulturministerium hat den Literaturwissenschaftler und Forscher Sébastian Thiltges damit beauftragt, eine Bestandsaufnahme der Luxemburger Residenzen zu erstellen und davon ausgehend eine Typologie dieser Residenzen zu entwickeln. Wer glaubt, das interessiere nur ein paar angestaubte Akademiker und Bürokraten, der irrt: Der Saal Edmond Dune in Neumünster war rappelvoll mit allem, was in der Luxemburger Kulturszene Rang und Namen hat.
Residenz mit „d“
Residenz ist ein schwieriges Wort. Und es klingt wie Resistenz: Gleich drei Redner verhaspelten sich diesbezüglich am vergangenen Freitag in der Abtei Neumünster, erst der Kulturminister bei seinem Grußwort, dann die Moderatorin und schließlich einer der eingeladenen Künstler. Das Wörtchen „Resistenz“ hat in Luxemburg eine politische Konnotation: Im Großherzogtum gehört die „Résistance“ zum nationalen Identitätsmythos und meint den Widerstand gegen das Virus namens Nationalsozialismus. Und genau deshalb ist die Begriffsverwirrung der Redner*innen eine durchaus legitime politische Assoziation: Ein Land, das seine Kunstschaffenden stärkt, schafft durchaus eine „Resistenz“ gegen antidemokratische Ideen – gegen nichts gehen autoritäre Gestalten schließlich lieber vor als gegen Künstler und ihre Werke, wenn diese die Welt nicht im Sinne ihrer verqueren Vorstellung darstellen.
Wenn Kunst die Impfung für ein gesundes Gemeinwesen ist, dann sind Residenzen die Petrischalen, in denen der Impfstoff reift. Eine Kunstresidenz meint einfach die von einer Institution geschaffene Möglichkeit für Künstler*innen, für einen begrenzten Zeitraum ungestört an ihrer Kunst arbeiten zu können. Das ist in einem Land, in dem die meisten Künstler*innen einem sogenannten „Brotjob“ nachgehen, also einem Beruf, mit dem sie Miete und Essen zahlen können, ein wichtiges Instrument zur Professionalisierung der Kunstszene. Und Kunst meint hier natürlich alle Sparten, von der Malerei zur Musik, von der Literatur hin zur Fotografie.
Der „Luxus der Bubble“
Aber zurück in die Abtei: Thiltges hat ganze Arbeit geleistet, das kann man nach der Vorstellung seiner Ergebnisse guten Gewissens sagen. Er hat mit seiner soziologischen Herangehensweise das Kunststück vollbracht, seine Ergebnisse in einer Sprache zu Papier zu bringen, die sowohl die Ministerialbürokratie als auch die Kunstschaffenden verstehen. Und er hat eine Definition geliefert: „Une résidence est un lieu mis à disposition pendant un temps limité pour travailler dans de bonnes conditions“, zu deutsch: Eine Residenz ist ein Ort, der während einer begrenzten Zeit zur Verfügung gestellt wird, um unter guten Bedingungen arbeiten zu können. Aus Sicht der von Thiltges befragten Künstler*innen sind vor allem zwei Eigenschaften wichtig: Eine Residenz soll es dem Kulturschaffenden ermöglichen, aus dem Alltag auszubrechen und den „Luxus der Bubble“, wie ein Künstler es nannte, genießen zu können: Ungestörtes Arbeiten an der eigenen Kunst. Und sie soll einen organisatorischen, professionellen Rahmen schaffen, der normalerweise nicht zur Verfügung steht.
Ausgehend von der Praxis im Großherzogtum beschreibt Thiltges zwei Arten, wie Residenzen funktionieren: einmal die „Résidence d’artiste“ und einmal die „Résidence artistique“. Während erstere einfach nur die benötigte Raumzeit zur Verfügung stellt, um an einem Projekt zu arbeiten, meint die zweitere eine vertiefte Kooperation mit der Gastgeber-Institution, in der Regel ein Kulturzentrum, welches auch ein Resultat erwartet – sei es ein Konzert, ein Theaterstück, eine Ausstellung oder eine Lesung. Diese Unterteilung ist nicht trivial. Es ist davon auszugehen, dass das Kulturministerium diese Konzepte in Zukunft als Kriterien für die Finanzierung nutzen wird und traditionell bevorzugen Geldgeber jene Projekte, an deren Ende ein greifbares Produkt steht. Künstler*innen und Institutionen müssen nun ein Auge darauf haben, dass die „Résidence d’artiste“ nicht zugunsten ihrer als produktiver wahrgenommenen Schwester unter die Räder gerät.
Kompass für die Kulturpolitik
Denn während Thiltges seine Arbeit durchaus als Kompass für das Ministerium versteht, hebt er im Gespräch mit dem Tageblatt auch die Wichtigkeit der Autonomie der einzelnen Kulturinstitutionen hervor: „Kulturpolitik kann helfen, Kontakte und Netzwerke aufzubauen, aber die genaue Ausgestaltung und auch die Art einer möglichen Zusammenarbeit sollen die Kulturinstitutionen unter sich ausmachen.“ Denn so unterschiedlich Kunst und Künstler*innen seien, so unterschiedlich seien im Detail auch ihre Bedürfnisse und damit auch ihre Anforderungen an ihre Residenz. „Wir brauchen nicht sechsmal die gleiche Residenz hierzulande“, erklärt Thiltges. Er wirbt auch für mehr Kooperation statt Konkurrenz. Häufig hieße es in Luxemburg noch: „Du warst doch schon bei diesem Kulturzentrum in einer Künstlerresidenz, du musst jetzt nicht noch zu uns kommen.“ Laut Thiltges sollte man hingegen Residenzen als Teil des Schaffensprozesses verstehen und auch eine Abfolge von mehreren Residenzen zu einem einzigen Projekt seien legitim.
Kulturpolitik kann helfen, Kontakte und Netzwerke aufzubauen, aber die genaue Ausgestaltung und auch die Art einer möglichen Zusammenarbeit sollen die Kulturinstitutionen unter sich ausmachenLiteraturwissenschaftler und Forscher
Die mögliche Kehrseite dessen ist natürlich die Klientelpolitik – quasi ein Kartell aus Förderinstitutionen, die „ihre“ Künstler*innen unterstützen, während der Rest außen vor bleibt. Thiltges unterstreicht im Gespräch mit dem Tageblatt deshalb auch die Wichtigkeit, die Jurys in dem Prozess spielen. Wie bei Preisen wird auch die Vergabe einer Residenz meist von einer Jury bestimmt, dies auf Basis eines eingereichten Dossiers. „Kleine Jurys mit großer Verantwortung sollten deshalb nicht zu lange von den gleichen Leuten beherrscht werden“, sagt Thiltges. Gleichzeitig sei es wichtig, im Rahmen der Professionalisierung der Kulturszene die Künstler*innen bei der Erstellung ihrer Dossiers zu unterstützen.
Die Arbeit von Thiltges ist Teil des 2018 gestimmten „Kulturentwicklungsplans“ (KEP), der noch bis 2028 das stilgebende Instrument der Luxemburger Kulturpolitik sein wird. In diesem ist der Ausbau von Kunstresidenzen im In- und Ausland eine der Maßnahmen, um die Luxemburger Kulturszene zu professionalisieren. Im Zuge dessen ist die Zahl an Kunstresidenzen bereits gewachsen, gerade im ländlichen Raum (Clerf, Burglinster und Echternach) sind zwischen 2020 und 2023 Arbeitsorte hinzugekommen.
Eine Entwicklung, die die Kulturszene in Luxemburg begrüßt, denn wie der Künstler Dan Tanson sagt: „An enger Residenz gëtt een als Kënschtler vun der Institutioun gesinn, als en Deel vun hirer Struktur an Identitéit. Et gehéiert een dozou. Dat ass en anert, vill méi wäertgeschätzt Gefill, am Verglach zu deem üblechen, heiansdo komeschen Erliefnis, bei deem een als Kënschtler mat Projete quasi ëm Finanzéierung ‚heesche’ muss.“ Und Wertschätzung ist etwas, was Künstler*innen in Luxemburg sicherlich gebrauchen können. Der Fall des ausgewiesenen Fotografen Alborz Teymoorzadeh ließ kürzlich nämlich ernste Zweifel aufkommen, ob die Luxemburger Politik sich auch nur einen Deut um den Wert künstlerischer Arbeit schert.
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