Cannabis / Ab Januar gibt es in Luxemburgs Apotheken keine THC-Blüten mehr
Mit den medizinischen THC-Blüten ist es in Luxemburg in wenigen Wochen vorbei. Dann gibt es in Krankenhausapotheken nur noch die nicht-psychoaktive Schwester CBD zu kaufen, dazu noch Öle und zugelassene Medikamente. Ein Blick auf die Studienlage zeigt: Die Entscheidung hat Gründe – und liegt nicht (nur) an einer konservativen Drogenpolitik der CSV.
Marie J. bekommt ihre erste Verschreibung von THC-haltigem Cannabis wegen ihrer Schlafprobleme. „Das ist keine Anwendung, für die die Pflanze eigentlich freigegeben ist“, sagt sie. „Ich hatte damals auch chronische Kopfschmerzen, aber es war nicht klar, ob die Schmerzen auf den Schlafmangel zurückzuführen waren oder umgekehrt.“ Marie J. erhitzt die Blüten zunächst in Pflanzenöl, um das THC zu aktivieren – damit das Cannabinoid überhaupt wirkt, bedarf es einer gewissen Temperatur. Mit den aktivierten Blüten kocht sie sich dann einen Tee. Ein Gamechanger. „Ich habe nach fünf Jahren zum ersten Mal eine Nacht durchgeschlafen.“ Auf ihre Verschreibung schrieb der behandelnde Arzt allerdings nicht „Schlafprobleme“, sondern „maladie grave avancée“, sonst hätte die Krankenkasse Marie ihre Behandlung nicht gestattet. „In dem Sinne war es Medikamentenmissbrauch“, sagt sie.
Marie J. heißt eigentlich anders, aber sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie erzählt, wie sie nach und nach die Dosis der verwendeten Blüten erhöhen musste, weil ihr Körper eine Toleranz gegen das THC aufbaute. Vor einem knappen halben Jahr schließlich lässt sie die Behandlung auslaufen. „Nachdem ich wieder richtige Tiefschlafphasen hatte, ließen die Kopfschmerzen nach“, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich Zugang zu Cannabis hatte.“ Andere Medikamente wie Schlafpillen habe sie nicht verwenden wollen. „Da wäre mir das Risiko einer Abhängigkeit zu groß.“
Wer sich in einer ähnlichen Situation wie Marie befindet, hat heute das Nachsehen: Ab dem 1. Januar 2025 werden in Luxemburgs Krankenhausapotheken keine THC-haltigen Cannabisblüten mehr ausgegeben. „Die Regierung dreht die Räder des Fortschritts also weiter zurück“, heißt es in einer Pressemitteilung von „déi gréng“, die am 13. November veröffentlicht wurde. Die LSAP-Abgeordneten Georges Engel und Paulette Lenert legten am 15. November mit einer parlamentarischen Anfrage nach. Das Pilotprojekt zur Cannabisabgabe zu medizinischen Zwecken hatte der Vorgänger der ehemaligen Gesundheitsministerin Lenert, Étienne Schneider, auf den Weg gebracht. Unter Lenert wurde das Projekt, das ursprünglich auf zwei Jahre angelegt war, mehrfach verlängert. Ein Bericht des Mediums reporter.lu urteilt am 27. November zur Entscheidung der CSV-Gesundheitsministerin Martine Deprez: „Die Entscheidung hat nicht nur medizinische Gründe, sondern vor allem politische.”
Ein hochemotionales Thema
Es ist ein gängiges und einleuchtendes Narrativ: Die altbackene CSV mit ihrer rückwärtsgewandten Drogenpolitik macht die Errungenschaften der blau-rot-grünen Fortschrittskoalition wieder zunichte. Die Liberalisierung, die die Cannabispolitik innerhalb der letzten 20 Jahre weltweit erfahren hat, angefangen mit Portugal, wurde zum Teil gegen den erbitterten Widerstand konservativer Parteien erkämpft. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat bereits angekündigt, die in Deutschland 2024 unter der Ampelkoalition erfolgte Legalisierung wieder rückgängig zu machen, sollte seine Partei nach den kommenden Wahlen wieder regieren. Frankreich fährt seit Jahren eine harte Prohibitionspolitik und aus Politikerkreisen vernimmt man hinter vorgehaltener Hand, dass die verkorkste Legalisierung in Luxemburg in ihrer derzeitigen Form unter anderem auf diplomatischen Druck aus Frankreich zurückzuführen sei.
Aber ist die Sache wirklich so einfach? Kaum eine Substanz provoziert so viele Emotionen wie das grüne Kraut, das 1972 in einem Zusatzprotokoll des UN-Einheits-Übereinkommens über Suchtstoffe dem Opium gleichgestellt und weltweit verboten wurde. Treibende Kraft dahinter war Harry J. Anslinger, der einstige Leiter des US-amerikanischen Federal Bureau of Narcotics (FBN). Die USA waren Vorreiter der Cannabis-Prohibition, der pharmazeutische Gebrauch von natürlichem THC wurde dort 1942 bereits untersagt. Die wissenschaftliche Grundlage, das ist heute gut erforscht, existierte nicht. Die Motivation Anslingers war eine Mischung aus Rassismus und Geltungsbedürfnis, seine Unterstützer waren Konzerne wie die Hearst Corporation und Dupont de Nemours, die durch die Hanfproduktion wirtschaftliche Schäden befürchteten: Hearst war ein großer Waldbesitzer und Papierhersteller, der Angst vor Hanfpapier hatte; Dupont hingegen wollte die Konkurrenz für seine neue Kunstfaser Nylon aus dem Verkehr ziehen.
Aus dieser Konstellation ergibt sich bis heute die Konfliktlinie zwischen Befürwortern und Gegnern von Cannabis. Für die einen ist es eine Wunderpflanze mit unzähligen Anwendungsfeldern, von Papier über Kleidung hin zu Kunststoffen und natürlich Medizin, hinzu kommt ein nahezu gefahrloser Freizeitkonsum, verglichen mit der „Volksdroge Alkohol“. Für die anderen ist es Teufelszeug, das unsere Gesellschaft lähmt und unsere Kinder verdummt. Wenn Sie sich davon überzeugen wollen, lesen Sie einfach die Kommentare unter diesem Artikel. Mit dem aktuellen Stand der Forschung haben beide Seiten nicht viel zu tun, die Auswahl der zitierten Studien erfolgt in der Regel höchst selektiv, um die eigene Position zu untermauern.
Erkenntnis: diffus
Zur Begründung ihrer Entscheidung, die THC-Blüten aus dem medizinischen Programm zu streichen, beruft sich die Ministerin in ihrer Antwort auf die parlamentarische Anfrage von Lenert und Engel auf die Empfehlungen des Luxemburger „Conseil scientifique du domaine de la santé“. Der Conseil scientifique ist ein unabhängiges Organ, dessen Mission darin besteht, Standards für die medizinische Praxis hierzulande zu entwickeln und bei ihrer Umsetzung zu helfen. Dessen „Arbeitsgruppe Cannabis“ wird vom Apotheker Yves Bruch geleitet. Bruch und seine Kollegen haben sich 2023 über 60 internationale medizinische Studien zum Einsatz von medizinischem Cannabis angesehen und daraus Empfehlungen für das Luxemburger Gesundheitswesen entwickelt. Daraus wird ersichtlich: Die empirische Beweislage für die Wirksamkeit von Cannabis ist dünn, das Spektrum der therapierbaren Krankheiten überschaubar, die Risiken dafür aber höher als teilweise angenommen.
Das Tageblatt hat mit Bruch gesprochen. „Es stehen immer noch viele Fragen offen bezüglich der Wirkung von Cannabis“, sagt er. „Was wir wissen, beruht teilweise auf Beobachtungsstudien, teilweise auf Studien mit sehr geringer Teilnehmerzahl, die aus wissenschaftlicher Sicht keine hohe Aussagekraft haben.“ Aus der Metaanalyse würden sich zwar erste Anwendungsmöglichkeiten mit vielversprechenden Resultaten ergeben. „Allerdings sind wirklich noch viele Dinge unklar – sowohl hinsichtlich der besten Darreichungsform, also ob Öl, Blüten oder Pille, der Dosis und auch der Häufigkeit.“ Und was auch noch nicht gut erforscht sei, seien die Risiken. „Gerade weil Cannabis aber bei chronischen Krankheiten verschrieben wird und deswegen auf lange Zeit benutzt wird, ist es wichtig, auch die Langzeitnebenwirkungen zu erforschen“, so Bruch.
Die aussagekräftigsten Studien – also solche, die als Blindstudien mit Placebo durchgeführt wurden – existieren für die beiden Medikamente Sativex (Wirkstoff THC, zugelassen für Spastiken bei Multipler Sklerose) und Epidyolex (Wirkstoff CBD, zugelassen für die Behandlung von verschiedenen Formen der Elipesie bei Kindern und Jugendlichen). Bei „Naturprodukten“, also Blüten, handelt es sich hauptsächlich um Fallstudien und Befragungen, die laut Bruch notwendigerweise subjektive Antworten bringen. „Hier zeichnet sich ab, dass es bei Schmerzen eine Wirksamkeit gibt“, so Bruch. Er schränkt allerdings ein: „Hier ist häufig nicht gewusst, welches Produkt es genau ist, um welche Dosis es sich handelt, wie häufig pro Tag die Pflanze eingenommen wurde, um welche Art von Schmerzen es sich handelt und ob man sie mit anderen Substanzen kombinieren darf oder soll.“ Es gäbe schlicht mehr Fragen als Antworten hinsichtlich der Wirksamkeit von Cannabis. „Es gibt ein Potenzial“, sagt Bruch. „Und es ist definitiv technisch auch möglich, mit Blüten Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien durchzuführen. Es gibt nur noch keine.“
Um zu praktisch verwertbaren Resultaten zu kommen, braucht es laut Bruch genau das: großangelegte, Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien mit zahlreichen Teilnehmern über längere Dauer. „Es gibt beim Cannabis nicht nur eine große Diversität des Produkts, sondern die Rezeptoren des endocannabinoiden Systems sind bei jedem Menschen unterschiedlich.“ Das heißt: Die Art und Weise, wie eine Person auf Cannabis reagiert, lässt sich nicht verallgemeinern. Die Blüten, die Marie J. bei ihren Schlafproblemen geholfen haben, können bei anderen Menschen eine Psychose auslösen. „Es ist sehr gut möglich, dass Cannabis einer einzelnen Person bei ihrem spezifischen Problem hilft“, sagt Bruch. Das müsse diese Person in Absprache mit ihrem Arzt dann erörtern und man solle auch auf diese Menschen hören. Aber anekdotische Evidenz ist keine valide Basis für eine Zulassung von medizinischen Produkten.
Vom Ausland inspiriert
Auf Anfrage des Tageblatt stellt das Gesundheitsministerium auch klar, dass der Grund für die Einstellung der THC-haltigen Blüten nicht etwa die Sorge vor dem Missbrauch von medizinischem Cannabis sei. Dazu existieren nämlich keine Daten: „Wann ee Patient iwwer säin Dokter am Programm ‚Cannabis médicinal’ eng Substanz verschriwwe kritt, dann engagéiert den Dokter sech, dee Programm ze respektéieren an et ass net méiglech, do eppes just fir rekreativ Zwecker ze verschreiwen.“ Das Ministerium geht also davon aus, dass die Ärzte ihre Arbeit ordentlich machen. Aber wer bislang medizinische THC-Blüten von seinem Arzt verschrieben bekam, der muss nun auch darauf hoffen, dass dieser Arzt eine alternative Behandlungsmethode für seine Patienten aus dem Hut zaubert. Denn nur der behandelnde Arzt sei in der Lage, „d’Situatioun am Kontext vum Krankheetsbild z’analyséieren, an de Patient op en anert Traitement z’orientéieren (aner medezinesch Cannabis-Bléie mat engem équilibréierten THC-CBD Gehalt, Cannabis-Ueleger, oder konventionell Therapien a Medikamenter).“ Eine standardisierte, alternative Therapie existiert demnach nicht – eine Person mit chronischen Schmerzen oder Schlafmangel wie Marie J. würde also nun doch auf Schlaftabletten zurückgreifen müssen.
Reporter führt die Einstellung der Blütenausgabe auch auf Beschwerden seitens des Verbandes der Krankenhausapotheker zurück, die in einem Brief an Luc Frieden während der Koalitionsverhandlungen nach den letzten Wahlen ein Ende der Ausgabe von medizinischem Cannabis in den Krankenhausapotheken forderte. Demnach hätten Cannabis-Patienten durch ihre verbalen Ausfälle bei den Apothekern für Unsicherheiten gesorgt, sodass sogar ein Alarmknopf installiert werden musste. Ob zwischen der Forderung der Apotheker und der Entscheidung des Gesundheitsministeriums allerdings tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, ist reine Spekulation.
Wie geht es nun weiter? Gesundheitsministerin Deprez hat für 2025 eine erneute Evaluation des Programmes zur Abgabe von medizinischem Cannabis angekündigt. Dieser könnten auch noch weitere Produkte oder gar das ganze Projekt zum Opfer fallen, allerdings wäre dafür die wissenschaftliche Grundlage schwieriger zu verteidigen. Denn das nicht-psychoaktive CBD birgt deutlich weniger Risiken als das THC für Konsumenten und ist besser erforscht, die Argumente der Patientensicherheit greifen in dem Fall also nicht.
Was den Freizeitgebrauch von Cannabis angeht, stehen ebenfalls noch alle Wege offen. Denn die blau-schwarze Regierung hat im Koalitionsvertrag zwar festgehalten, dass der Anbau zuhause und der Freizeitkonsum, wie er von der Vorgängerregierung legalisiert wurde, erlaubt bleiben soll. Gleich im darauffolgenden Satz hat man sich jedoch eine Hintertür aufgelassen: „Le Gouvernement observera la position des trois pays avoisinants sur la légalisation du cannabis.“ Wenn also eine CDU-Regierung in Deutschland die Legalisierung der Ampel-Koalition wieder rückgängig machen sollte, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass auch in Luxemburg die Uhr zurückgedreht wird und die cannabisaffinen Kleingärtner ihre Mini-Plantagen auf den Kompost werfen müssen.
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