Editorial / Gäbe es Auszeichnungen für Kulturdebatten, würde die Politik dieses Jahr leer ausgehen
Im Kultursektor erfolgt die Bescherung vor den Feiertagen: Zum Jahresende gibt es einen regelrechten Preisregen. Nach den Auszeichnungen im Zuge der „Walfer Bicherdeeg“ folgte gestern Abend die Vergabe zum „Concours littéraire national“, bald steht auch noch die Verkündung der „Lëtzebuerger Musekspräisser“ bevor. Dabei kommt keine Gala ohne die Vertretung der Regierung aus. Ob und wann die Kulturdebatte des Jahres gekürt wird, ist unklar, doch eins ist gewiss: Die Politik hat in dem Genre schlechte Aussichten auf eine „Goldene Schallplatte“.
Wer nun schreit, ‚es ist zu früh für einen Jahresrückblick‘: Ist es nicht, wenn das Radio schon eifrig „All I Want For Christmas“ dudelt und an den ersten Glühweinen genippt wird. Sollte Serge Tonnar bis Ende Dezember sein Karriereende bekannt geben oder Luxemburgs Kunstszene sich an Silvester an der ersten Weltausstellung auf dem Mond beteiligen, berichten wir darüber – keine Sorge.
In den Top-Charts tauchen jedenfalls schon jetzt viele Debatten auf, welche die Kulturredaktionen begleiteten wie ein Ohrwurm. So etwa der vermutliche Missbrauchsskandal um DJ Seven; der Versuch von Richtung22, RTL zu stürzen; die Rassismusvorwürfe gegen Guy Rewenig oder der Wirbel um den fiktiven Autor Fabio Martone. Im Rennen um die Bestplatzierung sind aber eher die Diskussionen um die Ausweisung des iranischen Künstlers Alborz Teymoorzadeh, die im Oktober sowohl die Politik als auch die breite Masse auf Trab hielten.
Die Kulturszene und die Opposition gingen auf die Barrikaden, manche forderten sogar den Rücktritt von Innenminister Léon Gloden (CSV). Kulturminister Eric Thill (DP) hielt dem wenig entgegen. Nach viel Tamtam erhielt Teymoorzadeh von den Ministern einen Fußtritt zum Abschied: Er könne sein Glück noch mal versuchen und sich erneut um eine Aufenthaltsgenehmigung bewerben. Eine kulturelle Debatte, für welche die Regierung – wenn überhaupt – nur eine „Goldene Himbeere“ (Preis für schlechte Filme, d.Red.) verdient. Trotzdem ein wichtiger Moment im kulturellen Diskurs dieses Jahres, zumal er die Verknüpfungen zwischen Politik und Kultur offenlegte.
In die Kategorie „Lästigste Kulturdebatte des Jahres“ fällt hingegen die Performance des Hauptdarstellers der ADR, Tom Weidig: Der queerfeindliche Politiker wetterte auch 2024 gegen die Dragqueen „Tatta Tom“ – eine Debatte, die inzwischen fast so nervt wie „Last Christmas“. Kürzlich erkundigte sich Weidig in einer parlamentarischen Anfrage zu den Ausgaben von Kulturinstitutionen zur Programmierung queerer Produktionen. Wäre der Schlagabtausch zwischen den Abgeordneten ein Rap-Battle, hätten das Kulturministerium und das Ministerium für Gleichstellung und Diversität jenes gewonnen – sie verteidigten queere Kunst als integralen Bestandteil der Kulturlandschaft und rechtfertigten so, dass die Ausgaben für entsprechende Produktionen nicht separat erfasst würden.
Spielten sich diese Debatten auf nationalem Niveau ab, bot auch der Escher Kulturverein „frEsch“ filmreifen Stoff – von undurchsichtigen Ausgaben über kopierte Ideen bis hin zu dubiosen Verstrickungen des Personals, ist für jeden Geschmack etwas dabei. Im Genre „Lokaler Kulturkrimi“ ist der Verein – bis auf die Polemik rund um das Rümelinger Kulturzentrum „Spektrum“ und dessen entlassene Projektleiterin Teena Lange – fast konkurrenzlos.
Wer einen Preis vergibt, muss natürlich Maßstäbe festlegen: Was macht eine gute Kulturdebatte aus – eine, die einen Mehrwert für die Kulturschaffenden hat? Eine, die besonders viele „Klicks“ auf den Websites der Medien generiert? Oder eine, die den gesellschaftlichen Wandel vorantreibt? Denken Sie darüber nach – wir nehmen Nominierungen entgegen.
- Olympia, elf Sekunden und eine historische Chance - 31. Dezember 2024.
- Diese nationalen Größen haben uns 2024 verlassen - 31. Dezember 2024.
- Olga de Amaral à la Fondation Cartier - 31. Dezember 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos