Statements / So reagieren syrische Menschen in Luxemburg auf den Sturz von Baschar al-Assad
Baschar al-Assad wurde gestürzt, Syrien steht vor dem Umbruch. Wie erleben Menschen aus Syrien, die in Luxemburg leben, die Situation? Wir haben nachgefragt.
„Erstens, sind die Ereignisse eine klare Botschaft an jeden Diktator. Zweitens, will ich mich an alle Syrer wenden: Beginnt, Teil der Lösung zu sein statt des Problems!“, schreibt Ahmed Kassem dem Tageblatt. Das Tageblatt berichtete im September über Kassems Beteiligung an dem inklusiven Opernprojekt „Popera“ der Fondation EME. Damals wartete er auf die Bearbeitung seines Asylantrags in Luxemburg, der in der Zwischenzeit abgelehnt wurde. Heute beglückwünscht Kassem seine Nation: Sie habe es geschafft, sich aus den Fängen eines Diktators zu befreien. „Für den Großteil der Syrer und der Nachbarnationen könnte dies den Anfang einer besseren Zukunft markieren“, so Kassem. „Doch die Angst ist immer die, dass Racheakte verübt und radikale Strafen gegen unschuldige Menschen verhängt werden, die weder ein Verbrechen begangen noch welche unterstützt haben.“ Was blühe Syrien jetzt – eine Wiederauferstehung oder Spaltung und Zerstörung? „Ich persönlich habe keine Zukunft in Syrien – meine Situation ist kompliziert und Baschars Sturz kaum Teil der Lösung. Solange wir Menschen weiterhin als Minderheiten kategorisieren und gegen die Majorität ausspielen sowie die Denkweise ‚Wer nicht hundertprozentig zu mir steht, ist gegen mich‘ verteidigen, kommen wir jedenfalls nicht voran“, meint er. „In dem Sinne drängen sich mir zurzeit weitere Fragen auf: Was geschieht nun in Europa, insbesondere in Luxemburg? Werden wir ins Ungewisse geworfen und unserem Schicksal überlassen, um die Wähler und das Ego einiger Regierungsbeamten zu befriedigen?“
„Es ist eine große Erleichterung für alle“, sagt Mohammed Alzaher – Moudi genannt – gegenüber dem Tageblatt am Montag. Er ist der Chefkoch im Restaurant „Chiche!“ und kam vor 14 Jahren nach Luxemburg. Auch wenn sich für ihn persönlich nichts direkt ändere, da das Großherzogtum nun sein Zuhause ist, freut sich der gebürtige Syrer für Syrien.
Ohne eine funktionierende Regierung drohe Chaos, doch die Menschen wünschen sich vor allem Stabilität und die Rückkehr zu einem normalen Leben. Unter Assad sei selbst der Zugang zu grundlegenden Lebensmitteln und Gütern schwierig gewesen. „Jetzt besteht das Ziel darin, diese Dinge wiederherzustellen.“ Für viele Syrer laufe es bereits besser als zuvor. Die Erleichterung sei groß. „Für mich persönlich bedeutet das, dass ich eines Tages meine Familie ohne Furcht besuchen kann“ – etwas, das 14 Jahre lang unmöglich war. Diese neue Freiheit gebe ihm Hoffnung.
„Alle Syrer sind glücklich“, ist sich Moudi sicher. Es scheint endlich ein Wandel eingetreten zu sein. Viele Menschen seien vom Leid und den unvorstellbaren Qualen erschöpft. Unter dem Assad-Regime habe es keine Menschenrechte gegeben. Wer seine Meinung äußerte oder Kritik übte, wurde inhaftiert – oft aus völlig banalen Gründen, erzählt Moudi. „Die Situation war unerträglich, und Millionen mussten ihr Leben lassen.“
„Der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad, der das Ende der fast 54 Jahre währenden Diktatur unter seiner Herrschaft und der seines Vaters markiert, stellt einen historischen Wendepunkt für Syrien dar. Jahrzehntelang litten die Syrer unter Unterdrückung, Inhaftierung und der Verweigerung ihrer Grundrechte. Der Sturz des Regimes hat ein Gefühl der Erleichterung und Hoffnung auf eine bessere Zukunft ohne Tyrannei gebracht“, schreibt Aktivist Fadi Jaafar. Er ist in Luxemburg als Künstler tätig, u.a. als Teil der kulturellen NGO „Douri“. „Diese Hoffnung wird nun jedoch von der Machtergreifung extremistischer islamistischer Gruppen überschattet. Nur wenige Tage nach ihrer Machtübernahme versuchen diese Gruppen, die Bevölkerung zu beruhigen, indem sie sich als stabil und nicht bedrohlich darstellen.“
Die Geschichte habe jedoch gezeigt, dass man solchen Gruppen nicht trauen könne; ihre Ideologien würden oft zu Gewalt und Spaltung führen. Die Ungewissheit über ihre Absichten sei sehr beunruhigend, vor allem für besonders verletzliche Gemeinschaften. „Als jemand, dessen Eltern und Familie im Süden Syriens leben und zu den Drusen gehören, bin ich besonders um ihre Sicherheit besorgt. Die Drusen und andere Minderheiten haben lange Zeit zur reichen Vielfalt Syriens beigetragen, doch sind sie unter der Herrschaft extremistischer Gruppen, deren Intoleranz jederzeit zu Gewalttaten führen kann, stark gefährdet“, so Jaafar.
Die internationale Gemeinschaft müsse wachsam bleiben und Syrien auf seinem Weg zu echtem Frieden und Inklusion unterstützen.
Yusra Amounah stammt aus Aleppo und ist seit sechs Jahren in Luxemburg. 2020 gründete sie zusammen mit ihrem Mann Fadi Jaafar die Vereinigung „Douri“, das arabische Wort für Spatz. Sie habe die Nachricht von Assads Sturz von ihrer Schwester erhalten, die immer noch in Aleppo lebt. „Es ist eine Mischung aus Glück und Vorsicht“, sagt sie. Natürlich sei die Freude erst mal sehr groß gewesen. Ihr Schwester habe ihr von Menschen erzählt, die sie jetzt wieder gesehen habe, von denen alle glaubten, sie wären längst tot. „Die lange Zeit, 53 Jahre, in der er (Assad) das Land und die Leute zerstört hat, ist endlich vorüber. Am Samstagabend haben wir natürlich gefeiert, als wir die Nachricht erhielten.“
Auf die Frage, ob sie vorhabe, ihre Schwester eventuell zu besuchen, oder ob ihre Schwester zu ihr kommen wolle, antwortet sie zweimal nein. „Ich kann nicht mehr zurück, das ist ausgeschlossen, auch meine Schwester hat keine Pläne, jetzt fortzugehen.“
Bei aller Freude über das Ende des Assad-Regimes äußert Yusra allerdings auch Bedenken. „Sie (die neuen Machthaber) scheinen gut organisiert zu sein, aber wir warten ab, wie ihre genaue Agenda aussehen wird.
Sie geben sich momentan gemäßigt, sie handeln sehr clever.“ Die Menschen hätten auf jeden Fall nun viel weniger Angst. Yusra erzählt von syrischen Freunden, die Christen seien; man habe ihnen versichert, sie hätten nichts zu befürchten. Sie habe allerdings von einem Zwischenfall gehört, bei dem eine Frau bei einer Straßenkontrolle aufgefordert worden sei, einen Hidschab (Kopftuch) zu tragen.
Sie wolle nicht zu optimistisch sein, was die Zukunft angehe. „Wir warten erst mal ab, was nun weiter passiert.“
„Ich bin so froh, so glücklich, es ist der Moment, auf den ich seit 13 Jahren gewartet habe“, sagt Muhannad Al-Ali, der seit ebenso langer Zeit in Luxemburg lebt (Das Tageblatt veröffentlichte die Geschichte seiner Flucht, s. „T“ vom 6.11.2021). Muhannad stammt aus Aleppo, wo noch ein Onkel von ihm wohnt. Seit einer Woche habe er regelmäßig die Meldungen bekommen, dass es mit dem Regime Assads zu Ende geht.
Bei aller Freude weiß er allerdings auch, dass jetzt noch lange nicht alles in Ordnung ist. „Die Situation in Syrien bleibt kompliziert, vor allem weil Assads Gefolgsleute ja noch dort sind, und die besitzen ja noch Waffen. Ich würde schon gerne meinen Onkel besuchen, aber im Moment ist das noch zu kompliziert.“
Trotzdem freut er sich über die wiedergefundene Freiheit seines Volkes: „Wir müssen jetzt gut überlegen, was wir tun werden, und vor allem müssen alle zusammenarbeiten.“
Die Frage, ob er keine Angst vor einem islamistischen Terrorregime in seiner Heimat habe, beantwortet er entschieden mit Nein, die Rebellen seien zwar Muslime, aber keine Terroristen, sie respektierten die Religion, eine islamistische Partei gebe es nicht. Vor allem rechnet er es den Rebellen hoch an, dass sie die Gefangenen befreit haben und Essen an die Menschen verteilt haben. Dass es in Syrien, so wie nach dem Fall der Diktatoren in Libyen und Irak, zu einem Bürgerkrieg kommt, glaubt er nicht. „Syrien hat eine schöne Geschichte und die Syrer haben an den zwei Beispielen gesehen, wohin Bürgerkriege führen.“
Was die Zukunft seines Landes angeht, zeigt er sich optimistisch: „Es ist jetzt an der Zeit, dass die Menschen ihr Leben selber gestalten. Ich glaube, dass in zwei, drei Jahren, wenn sich die Lage normalisiert hat, viele Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren werden.“
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