Editorial / Würdelos vor der Geschichte: Nach Assads Fall ruft Europa seinen Basar der Gehässigkeiten aus
Man wundert sich ja kaum mehr. Die Krisen und Kriege unserer Zeit haben die Eskalation zur neuen Normalität gemacht. Überall, wo es brennt, findet sich verlässlich jemand mit einem Ölkanister, der bereitwillig nachgießt. Den Europäern fällt das Reagieren auf die anhaltenden Verschiebungen in der Welt zusehends schwer. Der Umsturz in Syrien hat es erneut gezeigt.
Noch während sich feiernde Syrerinnen und Syrer in Europas Städten voller Freude über das Aus des Massenmörders Assad in den Armen lagen, begann das viel zu laute Lechzen nach raschen Abschiebungen, Rückführungen, „Remigrationen“, Heimreiseoptionen. Wie auch immer man das Vorhaben nennen mag, diesen Leuten ein für alle Mal klarzumachen, dass sie hier nicht gewollt sind, es ist zynisch. Und auch nicht besonders gescheit, weder politisch noch wirtschaftlich.
Trotz der völligen Ungewissheit um die Zukunft Syriens wollte kaum jemand das kleine Zeitfenster verpassen, in dem das Land nach einem halben Jahrhundert Diktatur kurz einmal Luft holen kann. Ob die Islamisten, die Assad vertrieben haben, tatsächlich so handzahm sind, wie sie sich der Welt vorstellten, bleibt abzuwarten. Vor allem aber ist Syrien ein ziemlich kompliziertes Land, noch dazu übelst geschunden von 14 Jahren Krieg und Krise, über dessen weitere Zukunft – das sollten wir uns eingestehen – sich nichts, nichts und nochmal nichts voraussagen lässt.
Und trotzdem öffneten wir Europäer gleich übereifrig unseren eigenen kleinen Basar der Gehässigkeiten. Wer setzt die laufenden Asylverfahren von Syrerinnen und Syrern zuerst aus? Wer zieht nach, wie schnell? Wer ruft gar gleich nach Abschiebungen? Und zuletzt: Wer zahlt den Leuten am meisten Geld, damit sie sich zurückmachen in ihre ehemalige Heimat? Die Konservativen aus Österreich, verlässlich rechts voranpreschend in Migrationsfragen, rufen laut 1.000 Euro Prämie aus. Die Sozialdemokraten aus Dänemark lassen sich nicht zweimal bitten und toppen das Angebot. Viele andere gehen auf eine ähnliche Schiene. Nach der Aufhebung der Sanktionen, die auf Syrien und seinen Menschen lasten, ruft niemand. Wäre ja auch verfrüht.
Die europäische Politik hat sich mal wieder von niederen Instinkten leiten lassen. Dass, falls in Syrien tatsächlich Ruhe einkehren sollte, ein möglicher Schutzstatus für Menschen aus dem Land anders diskutiert werden muss, ist richtig. Doch im Moment des Umsturzes Assads danach zu schreien, ist nicht nur taktlos, sondern auch würdelos. Und falsch dazu. Viele Syrerinnen und Syrer sind bereits seit Jahren in Europa und haben längst eine Arbeit gefunden. In Zeiten von Arbeitskräftemangel fähige Menschen wegschicken zu wollen, ist nicht nur Populismus der plumpsten Sorte, es ist auch ziemlich dumm.
Europas politische Landschaft ist derart im Griff des extrem rechten Diskurses gefangen, dass in weiten Teilen die Denkfähigkeit abhandengekommen zu sein scheint. Damit Rechte etwas nicht sagen oder tun müssen, prescht man einfach vor und sagt und tut es selbst. Die traurige Posse um die Zukunft der Syrerinnen und Syrer auf europäischem Boden ist nur das jüngste Beispiel. Wie gesagt, es kam nicht wirklich überraschend und konnte damit auch kaum verwundern. Fremdschämen geht leider auch nicht in dem Fall. Es sind wir, die so sind.
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