Kino / Warum „The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim“ besonders treue Fans des Epos begeistern dürfte
Mit „The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim“ erscheint ein animierter Fantasy-Film des Regisseurs Kenji Kamiyama in den Kinos, der dem Fantasy-Universum des britischen Schriftstellers J. R. R. Tolkien entstammt und vor allem eingefleischte Fans auf ihre Kosten kommen lässt.
Mittelerde – so heißt die Fantasiewelt, die der britische Schriftsteller J.R.R. Tolkien in den Fünfzigerjahren als Schauplatz seiner Erzählungen schuf. Es war der neuseeländische Regisseur Peter Jackson, der diese Welt atemberaubend und bildgewaltig auf die Leinwand brachte. Neben „Star Wars“ als Vertreter der Science-Fantasy gilt das von ihm geschaffene Franchise als ein Meilenstein des Fantasygenres, das eine ungemein große Fangemeinde seit dem Erscheinen der Bücher in den Fünfzigerjahren entwickelt hat. Die um die Jahrtausendwende erschienenen drei Teile, „The Fellowship of the Ring“ (2001), „The Two Towers“ (2002) und „The Return of The King“ (2003), gelten immer noch als eines der größten und ehrgeizigsten Filmprojekte, die je in Angriff genommen wurden.
„Woke“ Neuinterpretationen?
Die Literaturverfilmung dieses Fantasy-Epos hat sich zu einem popkulturellen Phänomen entwickelt, das immer neue Generationen zu begeistern weiß. Es haben sich regelrechte rituelle Abläufe um die Filmtrilogie gebildet –regelmäßig werden Wiederaufführungen in Kinos oder auf Heimmedien weltweit organisiert. Jeder weitere Eintrag in dieses überaus kommerziell lukrative Franchise blieb aber hinter den Erwartungen zurück: Mit der „Hobbit“-Trilogie (2012-2014) hat Regisseur Peter Jackson das eigene filmkulturelle Erbe mehr verunstaltet als weiterentwickelt. Auch die Amazon-Prime-Serie „Rings of Power“ (2022-) bescherte dem Riesenkonzern nicht die gewünschten Einschaltquoten.
Dass gerade diese Serie in engen Fankreisen überaus harsche Entrüstung auszulösen vermochte, lag vor allem an den Gleichstellungs- und Diversity-Ansprüchen, die sie stellte. Als so auch „People of Color“ in der Saga Platz fanden, sahen Fans ihre an das europäische Mittelalter angelehnte Fantasiewelt verraten. Die Tendenzen der „Wokeness“ sollen sich da an den Kriterien der Werktreue hart gebrochen haben. Wie auch immer man diese aktuellen Diskussionen um den Stoff bewerten mag – ohne sie als kontextuelle Rahmung hinzuzuziehen, kann man sich diesem neuen Film nicht annähern, ja ihn verstehen. Denn in vielerlei Hinsicht lässt sich „The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim“ als Kompromissvorschlag begreifen.
Der Kompromiss
Anknüpfungspunkte an diese populäre Romanreihe zu finden, ist zunächst nicht leicht. Gerne werden die literarischen Anhänge studiert, die Tolkien seiner Trilogie als Nachschlagewerk anheftete. Die Fülle an Hintergrundmaterial, die der Philologe für seine Leserschaft bereithielt, ist überaus ergiebig. Darin findet sich eine Erzählung um das Reitervolk von Rohan, die die Grundlage für den neuen Film bot. Es handelt sich nun also um ein Prequel, welches 261 Jahre vor „The Two Towers“ (2002) spielt. Im Zentrum dieser Geschichte steht die junge Schildmaid Héra, sie ist die Tochter des Königs Helm Hammerhand, der sein Land in Zeiten des Aufruhrs mit entschlossener Haltung führt. Als eine Fehde zwischen einem abtrünnigen Untertan und dem König entfacht, bricht ein Bürgerkrieg aus, der auch Héra – entgegen den Anweisungen ihres Vaters – zu den Waffen greifen lässt.
Alles ist da: Von den eingängigen Musikpassagen, den bildgewaltigen Landschaften bis zu den imposanten Schauplätzen, ob es die Stadt Edoras, das düstere Isengard oder die Festung Helms Klamm ist – alles knüpft an die ikonischen Bilder und Töne der Originaltrilogie der 2000er-Jahre an. Die Neuerungen liegen hier mithin nicht so sehr in den inhaltlichen Aspekten – erzählerische Motive sind stark mit der Originaltrilogie verbunden, das war bereits von Tolkien so beabsichtigt: Ein Gefühl für die ewige Wiederkehr großer mythischer Erzählungen zu schaffen, war ihm ein Anliegen.
Überraschende Erzählform
Die Innovation, die „The War of the Rohirrim“ bietet, liegt vielmehr in der Form: Es ist kein Live-Action-Film, sondern ein Anime. Dafür wurde der renommierte japanische Regisseur und Autor Kenji Kamiyama für das Projekt herangezogen, den man vor allem für seine Serienarbeit zu „Ghost in the Shell“ (2002-2005) kennt, ein weiteres fantastisches Franchise, das der Cyber-Punk-Richtung der Science-Fiction zugerechnet wird und dieser zu großer Popularität verhalf. Die Bildwelten des japanischen Regisseurs haben auf diesem Weg, neben seinem Kollegen Hayao Miyazaki, der die Ghibli-Studios weltweit bekannt machte, eine ganze Generation von Animationsfilm-Liebhabern nicht nur in Japan, sondern auch im Westen geprägt. Diese spezifische Engführung aus asiatischer Animationskunst mit heute kanonisierten Vorstellungswelten moderner europäischer Mittelalter-Fantasy scheint zunächst ein waghalsiges und spannendes Unterfangen.
Dabei ist die Form der Animationskunst für Tolkiens Werk bekannt: 1978 adaptierte der US-amerikanische Regisseur Ralph Bakshi erstmals den Roman „The Lord of the Rings“ als Animationsfilm. Es war damals die womöglich einzige ernsthafte Möglichkeit, die Fantasie dieses ungemein kreativen Sprachwissenschaftlers in Bilder und Töne zu überführen. Dies gelingt Kamiyama ebenfalls auf eindrückliche Weise: Die aufwändige Kostümarbeit und das detailverliebte Produktionsdesign der Live-Action-Filme werden hier mit feinster Zeichentricktechnik übernommen.
Der Konflikt in „The Lord of the Rings“ zwischen dem dunklen Sauron, der die Weltherrschaft anstrebt, und den freien Völkern Mittelerdes wollte klar als Sinnbild für das absolute Böse gegen das Gute, den Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit, verstanden werden. So wie diese abstrakte Darstellung etwas entrückt und universell wirkte, so geht es hier um sehr konkrete kriegerische Auseinandersetzungen: Geopolitische Interessen, Zwangsehen und daraus erwachsende Herrschaftsansprüche werden unter Gleichen ausgetragen. Machtspiele zwischen Adelshäusern waren noch das zentrale Thema in der Fernsehserie „Game of Thrones“ (2011-2019), zu der ebenso eine Brücke geschlagen wird. Zum filmischen Erbe gehören auch die Massenszenen und die gewaltigen Schlachten, die Jackson noch mittels damals neuer digitaler Tricktechnik überaus breitflächig zu gestalten wusste. Das ist auch hier nicht anders, indes ist „The War of the Rohirrim“ für einen Antikriegsfilm bzw. ein Plädoyer für Völkerverständigung dann doch zuweilen sehr kriegerisch inszeniert. Zu sehr ergötzt er sich an dem eigenen Schlachtgetümmel, das er in Szene setzt: Wenn da ein Belagerungsturm meterweit in die Höhe ragt, ist das imposant anzusehen, über all dem liegt aber der unbedingte Siegeswille, die eigene Ehre gilt es zu verteidigen und die etablierte Ordnung zu wahren.
Heldin im Mittelpunkt
Mit der Kriegerprinzessin im Vordergrund wird freilich an bestehende Fantasy-Motive angeknüpft, doch fällt diese Gewichtung hier umso mehr auf, da die Figur der Héra in Tolkiens Textmaterial kaum Erwähnung fand. Hier ist sie das Zentrum der Handlung, einer Heldinnen-Erzählung, die ganz auf sie ausgerichtet ist: Héra ist es, die das Volk in kriegerischen Zeiten eint, Héra ist es, die dem Jähzorn ihres Vaters mit besonnener Abwägung entgegentritt.
Dass sie zu großen Taten vorbestimmt ist, wird bereits einleitend mit Erhabenheit evoziert, wenn sie von Angesicht zu Angesicht einem großen Adler gegenübersteht. Entsprechende zeitgemäße Umschreibungen und Neuinterpretationen, die eine Heldin zum diskursiven Zentrum einer überwiegend männerdominierten Welt macht, liegen somit auf der Hand, doch passiert all dies in den engen, vorgegebenen Bahnen der Jackson-Ästhetik, die dieser um die Jahrtausendwende mit den Landschaften Neuseelands etablierte. Es sind ebendiese Versuche, innovative Ansätze zu finden und sie gleichzeitig in ein gewohntes Setting einzubetten, die „The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim“ im Wesentlichen ausmachen.
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