Großbritannien / Wer hat die meisten Mitglieder? Britische Opposition beharkt sich gegenseitig
Am Ende eines katastrophalen Jahres für ihre konservative Partei hat die britische Oppositionsführerin die deprimierte Stimmung in den eigenen Reihen unnötig verstärkt. Öffentlich bezichtigte Kemi Badenoch ihren schärfsten Konkurrenten, den Rechtspopulisten Nigel Farage, der Manipulation von Mitgliederzahlen seiner Reform-UK-Bewegung. Dafür müsse sich die 44-Jährige entschuldigen, findet der 60-Jährige, sonst werde er sie verklagen.
Triumphierend verkündete „Reform“ am zweiten Weihnachtsfeiertag einen neuen Mitgliederrekord: 131.860 Menschen hätten sich dem neuesten Vehikel des früheren Ukip- und Brexit-Party-Chefs angeschlossen. Die Zahl ist deshalb von Bedeutung, weil die Konservativen Anfang November ihre eigene Anhängerschaft so bezifferten. Mittlerweile habe „die jüngste politische Partei der britischen Politik die älteste Partei der Welt überholt“, brüstete sich Farage: „Wir sind jetzt die wahre Opposition, ein historischer Moment.“
Anstatt den etwas albernen PR-Stunt auf sich beruhen zu lassen, schoss Badenoch via Twitter/X zurück: Die Reform-Zahlen seien „nicht echt“, ja „manipuliert“. Im Übrigen handele es sich um „dämliche Politik“. Den Vorwurf könne man freilich auch der Tory-Chefin machen, kommentierte am Sonntag der Vizechef der einflussreichen Website Conservative Home. „Wahnwitziges Medienmanagement“, wirft Henry Hill Badenoch vor, zumal die Tory-Party sich jenseits der Vorsitzendenwahl stets weigert, die eigenen Mitglieder zu beziffern. Auf der Insel besteht dazu keine Verpflichtung; die Regierungspartei Labour unter Premierminister Keir Starmer verfügte im Sommer über 380.000 zahlende Mitglieder.
Badenoch in der Kritik
Badenochs Glaubwürdigkeit steht schon deshalb auf dem Spiel, weil sie ausdrücklich ohne jedes Programm zur Vorsitzendenwahl angetreten war. Als Oppositionsführerin bestehe ihre Aufgabe darin, die Labour-Regierung zu kontrollieren, argumentierte die frühere Wirtschaftsministerin. Eigene Politikideen würden im Lauf der Legislaturperiode erarbeitet. Dadurch habe die 44-Jährige „auf dem Papier enorme Bewegungsfreiheit, sei in Wirklichkeit aber sehr verwundbar“, analysiert Tory-Kenner Hill.
Badenoch gilt seit langem als impulsiv und streitlustig – sie selbst führt dies auf ihr nigerianisches Erbe zurück. Ein Partei-interner Kritiker hat dazu das Bonmot geprägt, notfalls breche die 44-Jährige „einen Streit in einem leeren Raum“ vom Zaun.
Hingegen kann sich Farage auf seine einsame Starrolle am rechten politischen Rand verlassen. Ein wichtiger Grund für die vorgezogene Wahl Anfang Juli war die Hoffnung des damaligen Tory-Premiers Rishi Sunak, er könne Farage auf dem falschen Fuß erwischen. Das Gegenteil war der Fall: Blitzschnell stellten der Mehrheits-Anteilseigner der Firma Reform UK und seine treue Gefolgschaft eine effektive Kampagne auf die Beine, holten 14 Prozent der Stimmen und – im kleinere Parteien benachteiligenden Mehrheitswahlrecht – immerhin fünf Mandate.
Keine Legitimation
Von sich reden macht außer Farage höchstens noch sein Vize, der Multimillionär Richard Tice, die drei anderen Parlamentarier bleiben Staffage, wie auch die eingetragenen Mitglieder der Bewegung. So ist von Vorstandswahlen, geschweige denn der durch Wahl legitimierten Bestätigung des Anführers Farage keine Rede. Dafür verzeichnet Reform reichlich Zulauf von frustrierten Torys. Dazu zählt die frühere Abgeordnete Andrea Jenkyns vom äußersten rechten Flügel ebenso wie der Liberalkonservative Tim Montgomerie, der einst Conservative Home aus der Taufe hob.
Farage macht aus seinem Fernziel kein Geheimnis: Erst die Einheit der politischen Rechten unter seiner Führung, bei der (spätestens 2029) Unterhauswahl die Downing Street, Amtssitz des Premierministers. Weil der Nationalpopulist stets für hübsche Sprüche und eine Schlagzeile zur Verfügung steht, liegen ihm die britischen Medien zu Füßen. Das gilt besonders für die rechten Zeitungen, die überwiegend in den Händen überzeugter EU-Feinde wie Rupert Murdoch (The Sun, The Times) sind. Der nationalkonservative Sender GB News zahlt dem Abgeordneten Farage (Jahresgrundgehalt: 91.346 Pfund, gleich 110.154 Euro) jährlich rund 482.000 Euro als Gegenleistung für eine Talkshow, in der Reform-UK-Anliegen zur Sprache kommen. Beschwerden bei der Medien-Aufsichtsbehörde Ofcom blieben ohne Erfolg. Badenoch beklagte die Prominenz ihres schärfsten Kritikers kürzlich in einem Gespräch mit dem GB-News-Leiter.
Zusätzliches Oberwasser erhält Farage durch die bevorstehende Amtsübernahme des US-Berserkers Donald Trump, mit dem er seit Jahren besten Kontakt pflegt. Dessen Geldgeber und Propagandisten Elon Musk besuchte Farage neulich in den USA; jenseits einer angeblich in Aussicht gestellten Parteispende von bis zu 120 Mio. Euro/113 Mio. Franken mache der rechtsradikale Multimilliardär „uns cool“, schwärmt Farage: „Er hat bei jungen Leuten Kudos, ist deren Held.“
Wie viele andere Behauptungen des einstigen Brexit-Vorkämpfers hält auch diese Bemerkung einer näheren Prüfung nicht stand. Dem Marktforscher YouGov zufolge lehnen drei Viertel der Briten zwischen 18 und 24 Jahren den schrillen Unternehmer („Großbritannien ist ein Polizeistaat“) ab, bei den unter 49-Jährigen liegt der Anteil der Musk-Verächter bei 64 Prozent.
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