Problemviertel Luxemburg-Bahnhof / Auf Streife mit der Polizei: „Wir können die Probleme nicht einfach verschwinden lassen“
Zwischen Dealerjagd, Fuchsrettung und menschlichen Abgründen: Im Bahnhofsviertel wird die Polizei täglich auf die Probe gestellt – ein ehrlicher Einblick in den Alltag zwischen Chaos, Routine und Menschlichkeit.
Das Bahnhofsviertel in Luxemburg hat seinen Ruf weg: sozialer Brennpunkt, Umschlagplatz für Drogen, Treffpunkt von Menschen am Rande der Gesellschaft. Gleichzeitig ist es auch ein pulsierendes Zentrum, ein Ort, an dem das Leben in allen Facetten sichtbar wird. Doch wie gestaltet sich der Alltag der Polizei in diesem Viertel, das so viele Herausforderungen mit sich bringt? Ein Nachmittag mit den Beamten Robert, Sven und Michel bietet Einblicke.
Zwischen Routine und Eskalation
14:00 Uhr. Der Nachmittag beginnt verhältnismäßig ruhig. Sven und Michel, zwei erfahrene Polizisten des Bahnhofsreviers, starten ihre Schicht. Auf dem Plan steht das, was sie „reaktive Arbeit“ nennen: Einsätze, die durch Anrufe und Beobachtungen entstehen. „Wir warten, bis etwas passiert. Wir beobachten, wir bewerten und greifen ein, wenn es notwendig ist“, erklären die beiden.
Während der ersten Fußstreife entdecken die Beamten in der Nähe des McDonald’s eine offensichtlich betrunkene Frau, die lautstark mit einem Mann streitet. „Wir haben die Situation zunächst aus sicherer Entfernung beobachtet, um einschätzen zu können, ob ein Eingreifen notwendig ist“, berichtet Michel. Die Situation löst sich schließlich von selbst, und die Streife kann weiterziehen.
Gegen 15:45 Uhr treffen die Beamten eine Person an, die im Rahmen einer laufenden Ermittlung für eine Zeugenaussage gesucht wird. „Solche Begegnungen sind oft ein Glücksfall“, erklärt Sven. „Manchmal kommt alles zusammen, und eine Person, die man dringend sprechen muss, taucht plötzlich auf.“ Die Person wird überprüft und anschließend zur Polizeistation gebracht, um die Aussage zu protokollieren. Nur kurze Zeit später kann der eigentliche Tatverdächtige mit vier Kugeln Kokain und dem Verdacht, noch weitere verschluckt zu haben, identifiziert und festgenommen werden.
Der Umgang mit Drogenhandel und -konsum bleibt somit ein Dauerthema im Viertel. Sven beschreibt das Dilemma: „Wir wissen, wo die Dealer stehen. Doch ohne konkrete Beweise sind unsere Hände gebunden.“ Oft sind es kleinere Mengen, die bei Verdächtigen gefunden werden – schwer nachzuweisen, ob sie für den Eigengebrauch oder den Verkauf bestimmt sind. „Manchmal haben wir einen Dealer im Auge, observieren ihn über Stunden“, berichtet Sven. „Doch selbst wenn wir ihn festnehmen, sind am nächsten Tag zwei neue da. Das System ist größer als wir.“
Die Dealer, häufig aus prekären Verhältnissen stammend, sind oft selbst austauschbare Rädchen in einem größeren Netzwerk. „In diesem Kontext fehlt oftmals das Verständnis der Menschen für unsere Arbeit“, sagt Sven. „Die Leute denken, wir tun nichts. Dabei wissen wir genau, was hier passiert. Doch unsere Möglichkeiten sind begrenzt.“
Aber warum kann diese Problematik nicht gelöst werden? „Das ist eine Frage, die viele Akteure betrifft. Es gibt die sozialen Akteure, natürlich. Dann ist auch die Gemeinde gefragt, und natürlich die Polizei. Aber die Polizei ist nicht der einzige Akteur. Das ist ein systemisches Problem“, erklärt Kommissar Robert.
Kulturelle Spannungen, Racial Profiling und Rassismus
An einer Straßenecke treffen Sven und Michel auf eine Gruppe von Menschen, die dort täglich verweilen. Alkoholflaschen, gedämpfte Gespräche, skeptische Blicke. „Die meisten kennen wir beim Namen. Wir reden mit ihnen, wir versuchen, menschlich zu bleiben“, erklärt Sven. Konflikte entstehen oft erst, wenn der Alkohol überhandnimmt. „Wir sind keine Wunderheiler. Wir können die Probleme nicht einfach verschwinden lassen.“
Gespräche mit Obdachlosen und sozial Benachteiligten sind Teil der täglichen Arbeit. „Man muss wissen, wie man mit diesen Menschen spricht. Es geht nicht nur darum, sie wegzuschicken, sondern darum, ihnen Wege aus ihrer Situation aufzuzeigen“, erklärt er weiter. Oft geben die Beamten Hinweise auf Hilfsangebote und Unterkünfte, auch wenn die Annahme dieser Hilfe nicht immer sofort erfolgt.
Kulturelle Spannungen sind ein weiterer Aspekt der Polizeiarbeit. „Viele Konflikte entstehen aus Missverständnissen oder mangelnder Kommunikation. Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu bauen, auch wenn das manchmal ein langer Prozess ist“, beschreibt es Sven. Diese Einsätze erfordern nicht nur Geduld, sondern auch kulturelles Verständnis und die Fähigkeit, in schwierigen Situationen zu vermitteln.
In diesem Sinne ist die Frage nach Racial Profiling und Rassismus ein Thema, das auch in Luxemburgs Polizeiarbeit immer wieder diskutiert wird. Im Bahnhofsviertel, wo Menschen aus unterschiedlichen Kulturen leben, steht die Polizei vor der Herausforderung, Vorwürfe über voreingenommene Kontrollen und Diskriminierung zu entkräften.
„Wir hören immer wieder, dass bestimmte Gruppen häufiger kontrolliert werden als andere. Es ist wichtig, dass wir als Polizei transparent arbeiten und klar machen, dass unsere Kontrollen auf konkreten Verdachtsmomenten basieren“, erklärt Sven. Gleichzeitig räumt er ein, dass Vorurteile existieren können – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Polizei.
„Wir arbeiten mit den Mitteln, die wir haben“
Wenig später spricht ein Autofahrer die Polizisten an und meldet einen Fuchs, der sich in einem unterirdischen Parkhaus verirrt hat. „Eigentlich keine klassische Polizeiarbeit“, erklärt Sven, „aber wir nehmen uns der Sache an.“ Die Polizei hat also alle Hände voll zu tun. Doch viele Bewohner fühlen sich von den Beamten im Stich gelassen. „Die kommen doch sowieso nicht, wenn man sie ruft“, hört man oft in Gesprächen mit den Anwohnern. Sven kennt diese Vorwürfe. „Es frustriert uns auch, wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen“, gibt er zu. „Aber manchmal fehlt einfach die Zeit, weil wir von einem Einsatz zum nächsten hetzen.“
Wenn ein Notruf eingeht, beginnt jedes Mal ein komplexer Prozess. Beispiel: Es gibt eine Schlägerei in der Rue Joseph Junck. Jemand ruft bei der Polizei an – was passiert dann? Die Beamten an der Einsatzleitstelle nehmen den Anruf entgegen und bewerten die Situation. „Die Kolleginnen und Kollegen prüfen sofort, welche Streife gerade verfügbar ist, und schicken das Team, das am nächsten dran ist“, erklärt Kommissar Robert. Die Reaktion erfolgt so schnell wie möglich und orientiert sich an der Schwere der Situation.
„Natürlich wird priorisiert,“ fährt er fort. „Ein Taschendiebstahl ist etwas anderes als eine laufende Schlägerei, bei der die Täter noch vor Ort sind. Und ein Einbruch, bei dem die Täter möglicherweise noch im Gebäude sind, hat wiederum eine höhere Priorität.“ Gleichzeitig müssen die Einsatzkräfte flexibel bleiben, denn es kann vorkommen, dass während eines Notfalls noch zahlreiche andere Vorfälle gemeldet werden, die ebenfalls Aufmerksamkeit erfordern.
Unsichtbare Arbeit und strukturelle Probleme
Viel von dem, was die Polizei leistet, bleibt für die Öffentlichkeit unsichtbar. Dokumentation und Verwaltungsarbeit nehmen einen großen Teil des Arbeitsalltags ein. Jeder Vorfall muss präzise dokumentiert werden, was Zeit und Personal bindet. Sven erzählt: „Für jeden noch so kleinen Einsatz schreiben wir einen Bericht. Das ist wichtig, aber es nimmt eine Menge Zeit weg.“
Das Bahnhofsrevier zählt 26 Beamte, von denen immer nur ein Teil gleichzeitig im Einsatz ist. Während die Bürger oft schnelle Lösungen erwarten, sieht die Realität anders aus: Einsätze wie zum Beispiel die Begleitung eines psychisch kranken Menschen ins Krankenhaus können Stunden in Anspruch nehmen. „Manchmal sitzen wir sechs Stunden im Krankenhaus und warten, bis ein Arzt Zeit hat“, sagt Michel. „Das sind sechs Stunden, in denen wir nicht im Viertel präsent sind.“
Hinzu kommt der extreme Mangel an Ressourcen. Mit begrenztem Personal müssen die Einsatzkräfte dennoch vielfältige Aufgaben bewältigen, die von Prävention bis zur akuten Gefahrenabwehr reichen.
Eine weitere Herausforderung ist die steigende Gewaltbereitschaft. „Immer mehr Jugendliche tragen Messer“, sagt Michel. „Wir hatten kürzlich hier einen 13-Jährigen mit einem Butterfly-Messer. Auf die Frage, warum er es bei sich trägt, antwortete er: ,Ich fühle mich unsicher.‘“
Auch Prostitution ist im Bahnhofsviertel ein sichtbares, aber äußerst komplexes Thema, das sowohl rechtliche als auch gesellschaftliche Fragen aufwirft. Die Arbeit der Polizei ist durch rechtliche Grenzen stark eingeschränkt. „In ein Auto einzusteigen, ist an sich nicht strafbar“, erklärt Sven. „Das bedeutet, wir müssen die Frauen oft eine ganze Weile beobachten, um überhaupt den Verdacht auf Prostitution nachweisen zu können. Erst wenn wir sehen, dass es tatsächlich zu einer Handlung kommt, und auch noch Geld fließt, können wir einschreiten.“
Außerdem macht der Mangel an Schutzmechanismen die Frauen oft zu Opfern von Gewalt, die sie selten anzeigen. „Ich will gar nicht wissen, wie oft es dabei zu Übergriffen kommt“, gibt er zu bedenken. „Die Frauen kommen in solchen Fällen ja meistens nicht zu uns.“
Sven sieht die Lösung des Problems nicht allein in strafrechtlichen Maßnahmen und plädiert dafür, Prostitution stärker zu regulieren. „Ich bin der Meinung, man müsste einen legalen Rahmen schaffen – vor allem, um die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten, die in diesem Bereich arbeiten“, sagt er. Eine geregelte Praxis könnte die Betroffenen schützen und ihnen die Möglichkeit bieten, in einem sicheren Umfeld tätig zu sein. „Viele, die hier auf der Straße stehen, sind Opfer. Opfer von Armut, von Drogen, von Ausbeutung“, sagt Sven. „Wir müssen mit den Menschen arbeiten, nicht gegen sie.“
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