Auf die Straße gesetzt / Fall einer Mutter mit zwei Kindern löst Aufregung aus – Motion von „déi gréng“ zur Asylpolitik wird in der Chamber debattiert
Die Asylpolitik der Regierung steht in der Kritik. Nachdem Marianne Donven ihren Unmut öffentlich gemacht hat, reichen die Grünen eine Motion in der Chamber ein – und fordern zum Umdenken auf.
Mit scharfer Kritik hat Marianne Donven, Leiterin des Restaurants „Chiche“, am Dienstag auf Facebook angekündigt, dass sie aus dem „Conseil supérieur de la sécurité civile“ ausgetreten ist und als Staatsangestellte gekündigt hat. Der Grund: die „unmenschliche und skrupellose“ Politik von Innenminister Léon Gloden (CSV) und Familienminister Max Hahn (DP). Mit ihrem Post hat Donven offenbar einen Stein ins Rollen gebracht: Der Grünen-Abgeordnete Meris Sehovic reichte am Mittwoch eine Motion im Parlament ein, die am Nachmittag debattiert wurde. Darin fordert er die Regierung zum Umdenken in Sachen Asylpolitik auf. Unterstützt werden „déi gréng“ dabei von der LSAP, den Piraten und „déi Lénk“. Die Motion wurde allerdings abgelehnt – 20 Stimmen sprachen sich dafür aus, 39 waren jedoch dagegen. Enthaltungen gab es keine.
„Ich habe gestern Abend die Motion geschrieben, zum Teil unter dem Einfluss der Schilderungen von Frau Donven“, sagt Meris Sehovic. Donven hatte dem Tageblatt berichtet, dass ihr in der vergangenen Woche endgültig der Kragen geplatzt sei, nachdem eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern vom „Office national de l’accueil“ (ONA) auf die Straße gesetzt worden sei.
Der Fall
Die junge Mutter hätte eine Woche Zeit gehabt, sich und ihre beiden Kinder umzuquartieren, sagt Noémie Sadler dem Tageblatt. Die Anwältin und Präsidentin der Beratenden Kommission für Menschenrechte vertritt die Frau, die am 10. Januar vom ONA auf die Straße gesetzt wurde. Eine Woche vorher habe sie einen Brief erhalten, in dem ihr die Nachricht mitgeteilt wurde.
Eine Privatinitiative habe in letzter Minute verhindern können, dass die Frau und ihre Kinder tatsächlich auf der Straße gelandet sind. Inzwischen habe die Anwältin beim „Comité international des droits de l’enfant“ Berufung eingelegt und nach provisorischen Maßnahmen gefragt. Die Antwort: „Der Staat wird aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um möglichen irreparablen Schaden von Kindern abzuwenden, indem er ihnen Zugang zu einer Unterkunft verschafft.“
Sie habe ebenfalls sofort einen Aufschub der Abschiebung beantragt, sagt Sadler. Denn die Frau sei gut integriert: Sie arbeite bei einer Agentur für Zeitarbeit und die Kinder besuchen in Luxemburg die Schule. Obwohl die Prozedur noch laufe, sei die Familie auf die Straße gesetzt worden.
Seit Montag sei die Familie wieder in einem Heim des ONA untergebracht. Jetzt müsse sie darauf warten, wie über den Antrag entschieden werde. Das Problem habe nach der Ausweisung aus dem Heim auch darin bestanden, dass sich niemand für die Frau und ihre Kinder zuständig gefühlt habe, sagt Sadler. Die „Maison de retour“ habe gesagt, die Frau sei noch nicht für eine Rückführung berechtigt. Das „Centre de rétention“ wolle keine Minderjährigen aufnehmen: „Dort haben Kinder auch nichts verloren“, bekräftigt Sadler. Die „Wanteraktioun“ sei wiederum nicht auf Familien ausgelegt – und beherberge die Menschen nur in der Nacht.
Der Staat wird aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um möglichen irreparablen Schaden von Kindern abzuwenden, indem er ihnen Zugang zu einer Unterkunft verschafft
Sehovic berichtet von einem weiteren Fall: Alle Abgeordneten der Chamber hätten am Dienstag einen Hilferuf einer Familie aus Venezuela erhalten, die sich seit drei Jahren in Luxemburg aufhält. Die Tochter besuche seit drei Jahren die Grundschule im Großherzogtum. Der Vater habe eine Arbeit, sei aber momentan wegen Verspätungen bei administrativen Vorgängen beurlaubt. Jetzt sei trotzdem eine Ausweisung angeordnet worden – die am Mittwoch durchgeführt werden soll.
Neuer Wind
„Seit ein paar Monaten ist das üblich“, sagt Anwältin Noémie Sadler über die kurzfristigen Briefe, die die Leute aus den Heimen verweisen. Die Leute hätten auch keinen Rechtsschutz wie Mieter. Deswegen sei es möglich, innerhalb einer Woche eine Frau mit Kindern im Winter vor die Tür zu setzen. „Man merkt, dass seitens des ONA eine harte Politik geführt wird“, sagt auch Anwalt Frank Wies dem Tageblatt.
Es handle sich bei Fällen wie der Frau mit den zwei Kindern um Menschen, die sich nicht mehr direkt in einer Asylprozedur befinden, sagt Wies. Stattdessen gehe es hier darum, wie man die Leute zurückführen könne. Die neue „Maison de retour“ für eine freiwillige Rückführung werde vom ONA als eine Art Entschuldigung genutzt, um die Menschen nicht mehr aufnehmen zu müssen. Stattdessen werde gesagt, sie könnten sich doch dort melden. Der oben genannte Fall sei auch nicht der einzige: Im Sommer sei eine Frau mit einem sieben Monate alten Baby auf die Straße gesetzt worden.
Sobald die Menschen eine Ablehnung erhalten – auch wenn diese noch nicht definitiv sei und noch eine andere Anfrage laufe – setze das ONA diese vor die Tür. „Vorher hat das ONA abgewartet, bis überall eine Entscheidung gefallen ist“, sagt Wies. Bei Flüchtlingen aus Afghanistan komme es des Öfteren zu absurden Situationen: Obwohl nicht alle einen Schutzstatus erhalten, erkenne das Einwanderungsamt an, dass sie nicht zurückgeführt werden können. Wenn sie eine Arbeit finden, können sie deswegen einen anderen Status erhalten. Dem ONA sei das aber egal: „Die sehen, dass die Leute eine Ablehnung erhalten haben – und sagen ihnen dann, dass sie das Heim verlassen müssen.“ Die „Maison de retour“ komme dann auch nicht infrage, weil die Leute gar nicht in ihr Land zurückkönnen.
Symbolpolitik
Neben diesen Einzelschicksalen gebe es auch grundlegende Probleme in der Luxemburger Asylpolitik, sagt Grünen-Politiker Sehovic. Die „Maison de retour“ werde etwa von der Regierung als große Errungenschaft dargestellt: „Ich habe vor Monaten angefragt, ob wir diese als Parlament besuchen können – und noch immer keine Antwort erhalten.“ Die Regierung habe die „Structure d’hébergement d’urgence Kirchberg“ (SHUK) einfach in die „Maison de retour“ umgewandelt – obwohl diese nie für Familien mit Kindern gedacht gewesen sei. Die SHUK sei nur für Alleinstehende oder Paare ausgelegt gewesen.
Das steht uns als Land nicht gut zu GesichtGrünen-Abgeordneter
Die Menschen würden von der Regierung nur als Zahlen gesehen werden – das Schicksal dahinter werde nicht beachtet. „Das ist Symbolpolitik“, sagt Sehovic. Ihm sei bestätigt worden, dass administrative Prozeduren wie Aufenthaltsgenehmigungen und Familienzusammenführungen teils monatelang dauern würden. Die Betroffenen befänden sich dann „in einem legalen Limbo“, könnten sich keine Arbeit suchen und demnach nicht integrieren.
„Das steht uns als Land nicht gut zu Gesicht“, sagt der Grünen-Abgeordnete. Die Politik der Regierung stehe nicht in einer Linie mit der Luxemburger Tradition. Hierzulande sei jahrzehntelang eine Immigrationspolitik gemacht worden, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt gestellt habe. Bereits um die Jahrtausendwende habe Luc Frieden (CSV), der damals Minister war, „hart durchgreifen wollen“. Damals hätten sich die Zivilgesellschaft und das Parlament mobilisiert – und das verhindert.
Forderungen an die Regierung
Die Abgeordneten müssten die Asylpolitik wieder viel genauer kontrollieren, sagt Sehovic. Deswegen fordert er, dass die Regierung jeden Monat Rechenschaft über die Zahlen in den verschiedenen Heimen des ONA, der „Maison de retour“ und im „Centre de rétention“ ablegt.
Des Weiteren gebe es verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen könnte, sagt Sehovic. Zum einen würden mehr Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge gebraucht. Deswegen werde in der Motion gefordert, dass der Bau von solchen Einrichtungen beschleunigt werde. Zum anderen sollen die Ausweisungen von schutzbedürftigen Menschen und insbesondere von Kindern gestoppt werden. Denn Ende vergangenen Jahres seien rund hundert Betten in verschiedenen Einrichtungen frei gewesen: „Deswegen sehe ich nicht den Sinn dahinter, diese Menschen auszuweisen.“
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