/ Siemens übernimmt Alstom
Nach dreimonatiger Verhandlung zwischen dem deutschen Mischkonzern Siemens und dem französischen Eisenbahn Hersteller Alstom fielen am Dienstag in den Sitzungen der Aufsichtsräte der beiden Unternehmen die Entscheidungen. Der deutsche Siemens Konzern übernimmt mit seiner Mobility Sparte den französischen Konzern Alstom. Es entsteht ein Eisenbahn Airbus mit einem addierten Umsatz von 15,3 Milliarde Euro und einem addierten Betriebsergebnis von 1,2 Milliarden Euro. Synergien werden in vier Jahren in Höhe von 470 Millionen Euro erwartet. Die geringe Höhe der Synergien zeigt, in welchem Maße beide Konzerne sich ergänzen. Das deutsch-französische Unternehmen trägt den Namen „Siemens-Alstom“.
Der Vorstandsvorsitzende des neuen Unternehmens bleibt mit Henri Poupart-Lafarge Poupet der bisherige Alstom Chef. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates wird ein Deutscher. Siemens-Alstom kopiert damit das Airbus Modell, das auf nationale Ausgeglichenheit achtet. Siemens erhält sechs Mitglieder des elfköpfigen Aufsichtsrates. Der Sitz des Unternehmens soll in Paris sein. Siemens-Alstom wird der zweitgrößte Mobilitätskonzern weltweit hinter dem chinesischen CRRC-Konzern.
Die Alstom Aktionäre können sich die Hände reiben. Seit Bekanntwerden der Verhandlungen vor fünf Tagen (► Link) ist der Aktienkurs des französischen Unternehmens um 10,4 Prozent in die Höhe geschossen. Die Aktionäre sollen eine außerordentliche Dividende erhalten.
Die Vereinbarungen sehen vor, dass die Übernahme im kommenden Sommer abgeschlossen sein soll. In den vier Jahren danach sollen die Arbeitsplätze gesichert sein. Auch soll bis 2022 keine Fabrik geschlossen werden. Diese Vereinbarung ist politisch motiviert. Die derzeitige Amtszeit des französischen Staatspräsidenten läuft bis 2022.
Alstom und Siemens sind zwei Unternehmen deren Fusion industriepolitisch in einem sich öffnenden Weltmarkt nahe lag. Allerdings ist sie politisch in Frankreich immer verhindert worden. Der Gesamtkonzern ist unter Staatspräsident Sarkozy mit Staatsgeldern gerettet worden, weil Sarkozy nicht wollte, dass ein Aushängeschild der französischen Industrie in deutsche Hände geriet. Als 2014 die Turbinensparte in Schwierigkeiten geriet, sah Staatspräsident Hollande zu kurz. Er übergab die Sparte an den US Konzern General Electric.
Der damalige Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg hingegen sah einen Gesamtplan und bat Siemens um ein Konkurrenzangebot. Siemens war damals schon bereit, die gesamte Eisenbahnsparte (Mobility) in Alstom einzubringen. Der Plan scheiterte, Alstom wurde geteilt. Montebourg sah vor drei Jahren voraus, dass dies auch das Ende der Eisenbahnsparte von Alstom sein würde. Alstom könne trotz eines Auftragsbuches von 38 Milliarden Euro nicht alleine überleben und brauche Partner, meinte Montebourg vorausschauend.
Verhandlungen zwischen beiden Unternehmen traten im Frühjahr in eine ernstere Phase. Siemens war zunächst nicht bereit, seinen Signalbereich in die Verhandlungen einzubringen. Bei Alstom schaute man zunächst hochnäsig auf Siemens herab, weil man meinte, im Bau von Zügen besser zu sein und auch internationaler aufgestellt zu sein. Alstom war aber interessiert an dem digitalen Vorsprung von Siemens im Bereich der Signaltechnik.
Die Verhandlungen, so wurde in Frankreich bekannt, nahmen Fahrt auf, als Siemens bereit war, die Signaltechnik einzubringen und Alstom akzeptierte, dass Siemens die Mehrheit an dem neuen Konzern erhalten solle. Siemens soll jetzt 50 Prozent plus eine Aktie im neuen Konzern übernehmen. Außerdem erhält Siemens eine Option, seinen Kapitalanteil innerhalb von vier Jahren auf 52 Prozent aufzustocken.
Das Geschäft hat eine politische Seite. Die französische Regierung hatte in Berlin angefragt, ob die Bundesregierung Einwände gegen eine Fusion erheben würde. Kanzlerin Angela Merkel verlangte von Staatspräsident Macron Ende August auf einem Gipfel zu Flüchtlingsfragen, dass die französische Regierung nicht, wie noch 2014 geschehen, eingreifen und die Übernahme verhindern würde.
In Deutschland wird die Übernahme ohne politische Wellenschläge als ein wirtschaftliches Ereignis angesehen. In Frankreich hingegen haben sich Politiker und Gewerkschaften sehr kritisch geäußert. „Wir der TGV jetzt deutsch? Ist das das Ende von Alstom“ warum lässt die Regierung dieses Ungleichgewicht zu?“, fragte der Vorsitzende des Finanzausschusses, Eric Wörth. Der linksradikale Volkstribun Jean Luc Melenchon kritisierte das „industrielle Ausbluten“ Frankreichs. Die Vorsitzende der Region Ile de France, Valérie Percresse, verlangte, dass die Verträge (über den Kauf von Vorortzügen) eingehalten werden. Der Bürgermeister von Nizza verlangte ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen den Aktionären. Souveränisten und die Rechtspopulisten um die Front National Vorsitzende Marine Le Pen kritisierten den Verkauf eines französischen Aushängeschildes an Deutsche.
Die Gewerkschaften verlangten die Sicherung der Arbeitsplätze. Sie hatten Sorge, dass die deutsche Auffassung von Produktivität sich negativ auf ihr Unternehmen niederschlagen würde. Sie verlangten Sicherheiten von Siemens für ihre Arbeitsplätze. Die Wellen in Frankreich schlugen im Vorfeld der Entscheidungen der Aufsichtsräte beider Unternehmen so hoch, dass sich der Wirtschaftsstaatsekretär Benajmin Grivaux in der Nationalversammlung verteidigen musste. Er verwies darauf, dass es sich durchaus um ein gleichgewichtiges Unternehmen handele, und die Interessen Frankreichs durchaus gewahrt würden. Ein Argument, das nicht zog. Denn: Die Regierung wird im Aufsichtsrat nicht vertreten sein, wie auch der zweitgrößte Aktionär, Bouygues, nicht. Und um die Aktion seitens Alstom durchzuführen, muss das Kapital erhöht werden, was die Bouygues Beteiligung an Siemens-Alstom auf 7,8 Prozent halbiert.
Wirtschaftsminister Bruno le Maire, Deutschlandkenner, der die deutsche Sprache perfekt beherrscht, stellte sich aller Kritik und Sorge entgegen und begrüßte in einer Stellungnahme das neue Unternehmen. Alstom würde fest europäisch verankert. Der neue „europäische Champion“ sei Nummer eins in der Welt bei der Signaltechnik und Nummer zwei in der Welt bei dem „rollenden Material“.
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