/ Ein neues Zuhause für die 1,8 Millionen Dokumente der Luxemburger Nationalbibliothek
Es war eine langwierige Geschichte, doch nach vielen Jahren des Planens hat die Nationalbibliothek (BnL) nun endlich ein neues Zuhause bekommen. Am gestrigen Nachmittag fand auf dem Kirchberg die offizielle Eröffnung des künftigen BnL-Komplexes statt, ab morgen 14.00 Uhr dürfen auch neugierige Leseratten einen ersten Blick ins Innenleben der „Bib“ werfen. Der Unterschied zum alten „Kolléisch“ ist wie zwischen Tag und Nacht, denn passé sind die Tage enger Gänge und überfüllter Regale.
Von Laura Tomassini
„Culture“, „Lifelong Learning“, „Bildung“, „Wissen“ – mit diesen Wörtern empfängt das neue Gebäude der Nationalbibliothek (BnL) die Besucher. Die Begriffe auf der Fassade des modernen Komplexes sollen die Vielfalt Luxemburgs widerspiegeln, mit all seinen Sprachen und unterschiedlichen Menschen. „Wir wollen eine Nationalbibliothek für jeden sein“, sagt Direktorin Monique Kieffer bei der ersten offiziellen Führung durch die Räumlichkeiten. 37D, avenue J.F. Kennedy lautet die neue Adresse der „Bib“. Der erste Spatenstich war im Juni 2014; nach zehnjähriger Planung, fünfjähriger Bauzeit und viermonatigem Umzug kann die Einrichtung nun endlich ihre Türen öffnen.
Mit Stolz präsentiert Kieffer das, wovon das Team der BnL eigentlich schon seit den 80ern träumt: „Bereits zehn Jahre nach unserem Einzug ins alte ‚Kolléisch‘ war das Gebäude eigentlich überlebt.“ 1973 war der Lesesaal im Stadtzentrum eingerichtet worden, damals noch nach dem Konzept akademischer Bibliotheken mit nur wenig frei zugänglicher Fläche. Heute ist dies anders, denn die Leser sollen so viel Freiraum haben wie nur irgend möglich. Und auch optisch hat die BnL auf Kirchberg einen völlig neuen Look erhalten. Helles Eichenholz, breite Gänge zwischen den Regalen, die eine freie Sicht auf die großen Fenster eröffnen, marineblauer Teppichboden und vor allem viel Licht. „Die alte Bibliothek war mit dunklem Holz ausgestattet und dicken Gardinen. Das empfand man früher als schick, aber mittlerweile haben sich die Geschmäcker und Materialien geändert“, so Kieffer. Einladend und vor allem flexibel sollte das neue Gebäude werden, denn die Bedürfnisse der Klientel können morgen vielleicht schon wieder anders sein. „Man baut nicht nur für heute, sondern auch für die nächsten Generationen“, sagt die Direktorin.
Ein Platz für jedes Buch
Doch umziehen bedeutet für eine Nationalbibliothek eine enorme logistische Vorarbeit. „Das ist mehr, als nur Kisten von einem Ort zum anderen zu schleppen“, so Kieffer. Vor allem das Konzept musste bei der Planung des neuen Gebäudes stimmen, denn nicht nur wurden die bisherigen sieben Standorte der Bibliothek nun auf dem Kirchberg zusammengeführt, auch musste diese Zentralisierung der Kollektionen sowohl für Leser als auch fürs Personal möglichst logisch erfolgen. Rund 270.000 Bücher und Publikationen auf Papier haben so einen neuen Platz im riesigen Lesesaal der BnL gefunden, insgesamt beherbergt die Bibliothek etwa 1,8 Millionen Dokumente. Diese stehen natürlich nicht alle in rein physischer Form im Gebäude, sondern können auch als elektronische Werke zu finden sein. Geordnet ist auf Kirchberg alles nach dem internationalen Dewey-System, welches die Bestände nach Fach und Wissensbereich klassifiziert. Der Umzug bot dem BnL-Team so auch die Möglichkeit, die Kollektionen zu überprüfen, gegebenenfalls zu erneuern oder zu vervollständigen.
Vollgestopfte Regale erwarten die Besucher der „Bib“ dennoch nicht. „Wir wollen ja nicht schon nach 14 Tagen wieder umräumen müssen“, meint Kieffer augenzwinkernd. Neben Flexibilität ist ein weiteres Stichwort Automatisierung. Spezielle Identifikationsaufkleber auf 450.000 Büchern, Selbstbedienung an den Ausleih- und Rückgabeschaltern, ein großes digitales Angebot – all dies soll die Nutzung in Zukunft noch leichter und bequemer gestalten. Aber auch die inhaltliche Aufteilung des Bestandes hat sich geändert: Wo Luxemburgensia und Wissenschaften früher nur in abgetrennten Kompartimenten zu finden waren, mischen sich diese nun unters gemeine Literaturvolk. „Wir besitzen eine doppelte Identität. Einerseits sind wir eine wissenschaftliche Universalbibliothek, andererseits aber auch eine Luxemburger Patrimonialbibliothek“, erklärt Kieffer. Weder die Werke der Technologie, Astronomie und Co. noch die Veröffentlichungen nationaler Autoren haben es verdient, in eine Ecke verbannt zu werden. Aus diesem Grund erwarten die Besucher direkt am Treppenaufstieg Bücher ersterer Kategorie, während sich die der Luxemburgensia nun genau wie alle anderen thematisch eingegliedert in den regulären Regalen befinden. „Unser Ziel war es, die Werke sichtbarer zu machen. Auch wenn man nicht unbedingt zugreift, so sieht man wenigstens, dass es sie gibt“, erklärt die Direktorin.
Mehr Raum für Digitales
Eine weitere Neuheit ist die Vermischung von Fachliteratur mit Publikationen der Zivilgesellschaft. So stehen ab sofort wissenschaftliche Bücher und Schriften von ONGs, Newsletter von nationalen Organisationen oder Schreiben von Gewerkschaften direkt nebeneinander. „Wir wollen die Wissenschaft zeigen und wie die Gesellschaft mit den Themen umgeht. So soll ein direkter Dialog zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsteilen entstehen.“ Eine Bibliothek sei schließlich kein Ort für eine gebildete Elite, sondern ein Platz für jedermann, so Kieffer. Um die unterschiedlichen Titel dann auch elektronisch zugänglich zu machen, befinden sich über 70.000 Zeitschriften im Online-Inventar der BnL sowie rund 600.000 E-Books. Hierzu verweist die Direktorin der Bibliothek auf die schwarz-weißen Würfel und zahlreichen Flyer, die quer durchs Gebäude verstreut an die „offre numérique“ erinnern.
Man baut nicht nur für heute, sondern auch für die nächsten Generationen.
90 Computer stehen den Lesern derzeit zur Verfügung, allesamt ausgestattet mit Anschluss an den zentralen Server und Office-Package, damit auch direkt vom Kirchberg aus PowerPoint-Präsentationen, Word-Dokumente und Co. angefertigt werden können. Vor allem Studenten dürfte dies freuen, insbesondere da künftig eine Zusammenarbeit der „Bib“ mit dem Universitätscampus des Fachbereichs Recht, Wirtschaft und Finanzen auf Kirchberg geplant ist. Als Rückzugsmöglichkeit für kleinere Gruppen dienen elf sogenannte „Carrels“, die quer durch das Gebäude verteilt sind. Des Weiteren enthält der neue Komplex einen Familienraum, einen Musiksaal mit elektronischem Klavier, mehrere Konferenzräume sowie eine „salle de consultation spécialisée“. Der Raum in rubinroter Farbe mit goldenem Tapetenmuster zieht den Blick direkt beim Betreten des großen Lesesaals auf sich, davor locken Glasvitrinen mit nationalen Schätzen wie „Ons Heemecht“ von Jean-Antoine Zinnen. „Er soll Feierlichkeit ausdrücken, also quasi den patrimonialen Aspekt“, so Kieffer. Im Herzen der neuen Bibliothek liegt hingegen das Magazin, welches auch weiterhin den größten Teil des hauseigenen Bestandes verwahrt.
Ein Ort für jedermann
Als Rahmen des Komplexes dient die sowohl praktische als auch optische Öffnung nach außen. „Unser Ziel war es, mehr Leute hereinzulocken. Wir haben eine Mission innerhalb der Wissensgesellschaft und wollen als Nationalbibliothek so viel Wissen und Kultur wie möglich verbreiten“, verrät die Direktorin. Auch Nichtbesitzer einer Leserkarte sollen neugierig werden und Lust bekommen, einen Blick hinter die gläserne Fassade des Gebäudes zu werfen. Praktisch, dass direkt vor der Tür eine Tram-Haltestelle ihren Platz gefunden hat, denn so geht das Konzept genau auf: „Die Eingangshalle mit dem Café hat schon vor der Bibliothek geöffnet und bildet eine Osmose mit dem Bereich davor. Wenn man dann eintritt, eröffnet sich einem eine Art Terrassenlandschaft mit Blick auf die verschiedenen Ebenen des gesamten Lesesaals“, so Kieffer. Lichtdurchflutete Gänge, eine Sicht auf den Park sowie die umliegenden Bauten und viele unterschiedliche Atmosphären – das war dem BnL-Team wichtig. „Es soll alles offen und hell sein und man soll nicht direkt von den Bücherregalen erschlagen werden. Vor allem wollten wir aber die Hemmschwelle vor dem Gang zur Bibliothek abbauen“, meint Kieffer.
Die Verwirklichung dieser Wünsche hat das Münsterer Büro Bolles+Wilson übernommen, im Interieur kam das Finish von „L2M3“ aus Stuttgart zum Zuge. Irgendwie erinnert das Leitsystem mit Beschilderung aus schwarz-weißen Würfeln an Metro-Stationen großer Städte, die hellblauen Kacheln in den Toiletten lassen hingegen Lissabon-Flair ins Gebäude einfließen. Gekostet hat das Projekt Nationalbibliothek insgesamt 112 Millionen Euro, dafür kann sich das Resultat aber sehen lassen. Den letzten Schliff soll das Ganze allerdings erst in den kommenden Monaten erhalten, dann sind eine App mit Geo-Lokalisierung sowie zwei weitere große Modernisierungsprojekte geplant. Nun darf das Team um Monique Kieffer aber erst mal durchatmen, denn nach so vielen Monaten des Planens, Umziehens und Neukonzipierens haben sich alle ein Schulterklopfen verdient. Und dies werden sie auch erhalten, denn schon bei der gestrigen offiziellen Eröffnungszeremonie war das begeisterte Strahlen in den Augen von Luxemburgs Politik- und Lesewelt nicht zu übersehen. Kein Wunder, ist doch die neue „Bib“ nun nicht mehr nur Heimat literarischer Meisterwerke, sondern fast ein kleines Meisterwerk in sich selbst.
Info:
Öffnungszeiten: montags bis freitags von 10.00 bis 20.00 Uhr, samstags von 10.00 bis 18.00 Uhr
Tag der offenen Tür: 5. und 6. Oktober
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