Soziale Initiativen / 10 Jahre Bestehen: „Mamie et moi“ ist mehr als gemeinsam Stricken
Mit „Mamie et moi“ verbindet jeder das Stricken. Das ist zu kurz gegriffen. Es geht um weit mehr. Durch die Initiative sind Freundschaften entstanden, es gibt einen kulturellen Austausch und ein Gemeinschaftsgefühl. Die gestrickten Mützen, Socken, Untersetzer oder Pullis sind lediglich das sichtbare Resultat. Deren Herstellung bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen, wie nicht nur „Mamies“ erzählen.
Der Ursprung zur Idee, „Mamie et moi“ zu gründen, liegt viele Jahre zurück. Es ist eine beige Wolldecke, die die „Mamie“ von Gründerin Camille Alexandre Gouiffès (41) strickt, obwohl es noch keine Enkelkinder gibt. Deren Geburten erlebt sie nicht mehr, die Decke aber bleibt. Heute sind die Kinder, für die die Decke gedacht war, Teenager. Während deren Baby- und Kleinkindheit ist die Decke ein unersetzlicher Begleiter.
Handgestrickte Stücke sind das Gegenteil von Fast Fashion. Es fällt schwer, sie „auszumisten“. Es ist etwas sehr Persönliches, manchmal Sentimentales und es ist immer von Hand gearbeitet. Jemand hat Energie und Zeit darauf verwandt, ein unverkennbares Einzelstück zu fertigen. Auch Gouiffès hebt die Decke ihrer eigenen Großmutter lange auf. Die Französin stammt aus der Normandie und lebt seit 14 Jahren in Luxemburg.
„Menschen aus verschiedenen Generationen vereinen, Austausch zwischen den Kulturen und Wissenstransfer“, antwortet sie auf die Frage nach der Gründung von „Mamie et moi“ vor zehn Jahren. Den Anspruch, Menschen zusammenzubringen, die sich sonst vielleicht nie getroffen und kennengelernt hätten, hat sie eingelöst. Die Lebensgeschichten der Seniorinnen haben es in sich. Nuria Funck (73) verlässt bereits mit 12 Jahren die Schule in Spanien, um zu arbeiten.
Spannende Lebensgeschichten
Es ist das Spanien unter General Franco. Als sie in Frankreich ein sich küssendes Paar sieht, ist das Erstaunen groß. In ihrem Heimatland ist das zu der Zeit verboten. Dort ist das Leben grau und vor allem unfrei. In der Abendschule macht sie vor 50 Jahren eine Ausbildung zur Stenotypistin. „Als die Computer kamen, war es damit vorbei“, sagt die „Mamie“ von zwei Enkelkindern, die vor 49 Jahren im Land ankam und einen Luxemburger heiratete. Ihre Großmutter brachte ihr Nähen und Stricken bei. „Dann kam die Arbeit, die Kinder, das Leben, ich hatte alles vergessen“, sagt sie.
Seit zwei Jahren macht sie bei „Mamie et moi“ mit und strickt Schals, Mützen, Handschuhe, Untersetzer oder Pullis. Das ist das eine. Viel wichtiger sind ihr die Begegnungen mit den anderen Frauen. Obwohl sie schon so lange in Luxemburg ist, hat sie nie richtige Freunde gefunden. Jetzt hat sie welche. Obwohl Enkelkinder, Hund, Ehemann den persönlichen Alltag der Rentnerin einnehmen, sind die Treffen der „Mamies“ mit Jüngeren ihr persönliches Highlight. Sie gehört zu den Senioren, an denen die digitale Welt vorbeigerauscht ist. „Das ist nicht meins“, sagt sie. „Ich kann mein Handy bedienen, das war es aber auch.“
Auch Leila Abdelkerim (67) hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Geboren in Schwarzafrika, ist sie in Tunesien und später in Paris aufgewachsen. Diskriminierung ist kein Fremdwort für sie. Jahrelang arbeitet sie als Animateurin im Club Méditerranée.
Als sie vor 30 Jahren in Luxemburg ankommt und einen Restaurantbesitzer heiratet, orientiert sie sich um und steigt in die Gastronomie ein. Sie macht seit zehn Jahren bei „Mamie et moi“ mit, ist also von Anfang an dabei. Das Stricken knüpft an eine weit zurückliegende Station ihres Lebens an. In jungen Jahren legt sie in Paris ein Diplom als Schneiderin ab, aktualisiert dieses später mit einem weiteren Abschluss in Luxemburg. „Das Stricken als Handarbeit knüpft an meine Schneiderlehre an.“ Sie liebt es aber noch aus einem anderen Grund.
Stricken entspannt
„Stricken ist ein Antistressmittel“, sagt sie. „Es entspannt und ist sehr kreativ.“ Sie stricke „à la manière allemande“. Wie bitte? Sie lacht über das erstaunte Gesicht des Gegenübers. Deutsche Touristinnen bringen ihr das in einem Club Med bei, wo sie auf Djerba überwintern. Seitdem benutzt Abdelkerim nur noch die Rundstricknadel anstelle von normalerweise zwei Nadeln. „,Mamie et moi‘ eröffnet mir Kontakte“, sagt sie. Seit sie nicht mehr arbeitet, hat sie kaum welche. „Posts über soziale Netzwerke sind nicht dasselbe“, sagt sie. „Ich brauche die persönliche Begegnung, und die habe ich vermisst.“ Und sie bringt anderen gerne etwas bei.
Anne Poullig (25) hingegen häkelt. Die Luxemburgerin ist die Jüngste der Runde an diesem Tag. Im Oktober beginnt sie ein Architekturstudium und während der Wartezeit auf den Studienplatz ist sie zu „Mamie et moi“ gestoßen. Häkeln hat sie sich selbst beigebracht, aber das ist nicht ihre Hauptmotivation. „Es ist definitiv das Zusammensein“, sagt sie. „Es gibt hier so viele Menschen mit so vielen Fähigkeiten, da kann ich nur profitieren.“
Seit dem Tod ihrer Großmutter vor zehn Jahren hat sie keine Kontakte mehr zu dieser Generation. „Die Gespräche mit den Älteren geben mir eine andere Perspektive auf manche Sachen“, sagt sie. Ihre Häkelfähigkeiten haben sich nicht sehr verbessert. Dafür nimmt sie Weisheiten und Ratschläge aus den Treffen mit. Das möchte sie nicht mehr missen. Die beiden Seniorinnen stimmen zu: „Wenn es ‚Mamie et moi‘ mal nicht mehr gibt, streiken wir“, sagen Leila und Nuria.
„Mamie et moi“ und Termine
Der Erfolg von „Mamie et moi“ lässt sich schwer messen, da es offene Workshops sind. Rund 450 Menschen haben den Newsletter der ASBL abonniert und 20 bis 30 Frauen kommen regelmäßig zu den Treffen. 200 Menschen jeden Alters und Nationalität haben an der Party zum zehnjährigen Bestehen teilgenommen, die kürzlich stattgefunden hat. Die nächsten Strickrunden finden ab dem 15. Juli im Garten der Villa Vauban unter dem Motto „Tricot sur l’herbe“ statt. Die Daten: 15., 22. und 29. Juli sowie 5., 12. 19. und 26. August, 2. und 9. September, immer zwischen 15 und 17 Uhr.
Adresse:
Villa Vauban
18, avenue Emile Reuter, Luxemburg-Stadt
Tel.: 00352 47 96 49 00
Webseite: mamieetmoi.com
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