Editorial / 13 Jahre Zaudern: Bedeutungslose rote Linien oder die Lehre aus Syrien

Ein Oppositionskämpfer tritt auf den abgetrennten Kopf einer Statue des verstorbenen syrischen Präsidenten Hafis al-Assad
13 bleierne Jahre voll Flucht und Vertreibung, Bomben und Blut. 13 Jahre Bürgerkrieg in Syrien, 13 Jahre schwindendes Interesse der globalen Gemeinschaft. Und dann ging es auf einmal ganz schnell. Am 27. November eroberte ein Rebellenbündnis aus dem Nordosten, angeführt von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Augen der Weltöffentlichkeit blickten zurück auf Syrien und das strauchelnde Regime von Baschar al-Assad. Dessen Sturz kam schnell. Am Sonntag eroberten die Rebellen die syrische Hauptstadt Damaskus, der Diktator floh aus dem Land.
Nach 13 Jahren Bürgerkrieg ist die Freude über das schnelle Ende des Assad-Regimes groß und berechtigt. In zahlreichen Städten Europas feierten am Sonntag Tausende Exil-Syrer auf den Straßen. Ihre Landsleute haben ihre Freiheit zurückgewonnen, die Türen von Assads berüchtigten Foltergefängnissen stehen offen, Hunderte politische Gefangene können zurück zu Ihren Familien. Doch ihre Freiheit ist ein fragiles Gut. Die Zukunft Syriens ist wieder radikal offen – in alle Richtungen. Eine einheitliche Rebellengruppe gibt es nicht, unterschiedliche Fraktionen verfolgen unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen. Wer sich durchsetzen wird, ist noch völlig unklar. Die tonangebenden Islamisten fressen indes Kreide. Im CNN-Interview gibt sich HTS-Führer Abu Muhammad al-Dschaulani moderat, verspricht Minderheitenschutz und eine Regierung basierend auf Institutionen statt eines Alleinherrschers.
Ob der Bürgerkrieg mit dem Assad-Regime endet, wird sich noch zeigen. Sicher ist aber, dass mit ihm eine Ära zu Ende geht, in der der Westen viel Macht und Stärke eingebüßt hat. 13 Jahre Bürgerkrieg in Syrien bedeuten auch 13 Jahre Zögern, Zaudern und Zweifeln. Emblematisch repräsentiert von Barack Obamas berühmter roter Linie: Im Jahr 2012 hatte der damalige US-Präsident auf einer Pressekonferenz verkündet: „Ich habe bis jetzt kein militärisches Eingreifen angeordnet, aber für uns ist eine rote Linie überschritten, wenn eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt wird.“ Das tat Baschar al-Assad kurz darauf auch – ohne Konsequenz. Stattdessen konnte sich das Bürgerkriegsland Syrien zum Baustein einer neuen geopolitischen Blockbildung entwickeln. Das Assad-Regime, gestützt und gestärkt von Putins Russland, Hisbollah und Iran.
Genau aus diesem Grund muss man in diesen Tagen auch eine Verbindung zwischen dem syrischen Bürgerkrieg und dem Krieg in der Ukraine herstellen. Weil sie Akteure teilen, aber vor allem, weil Syrien wichtige Lehren für die Ukraine bereithält. Die erste ist naheliegend: Der syrische Bürgerkrieg ist in seinen 13 Jahren aus der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerutscht. Nur weil er mehr oder weniger erstarrt schien, war er alles andere als gelöst. Das sollten alle Apologeten einer Einfrierung des Ukraine-Konflikts bedenken. Die zweite Lehre ist die der bedeutungslosen roten Linien. Grenzen aufzeigen und sie dann überschreiten lassen – damit hat der Westen viel Gesicht verloren. Eine Schwäche, die von Autokraten wie Putin nicht unbemerkt geblieben ist.
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