Rotondes / 23 Gründe, den Urlaub zu Hause zu verbringen
Nach dem Escher Theater haben nun auch die Rotondes zur Vorführung einer neuen Spielzeit zwischen nachgeholten Terminen und spannender Neuprogrammierung eingeladen. Vor allem Konzertgänger dürfen aufatmen: Im Sommer wird eine leicht abgespeckte Auflage der „Congés annulés“ stattfinden. Der Eintritt ist dabei jeden Abend frei.
Es ist die beste kulturelle Nachricht, seitdem Kulturministerin Sam Tanson („déi gréng“) das Konjunkturpaket für die Wiederaufnahme des Kulturbetriebs in der Philharmonie vorgestellt hat. Da, wo die meisten Theater- und Kulturhäuser etwas zu zaghaft auf die kommende Spielzeit hoffen, setzen die Rotondes ein starkes Zeichen und stellen nicht nur die neue Spielzeit vor, sondern bestätigen die Hypothese, die das Tageblatt vor Monaten vorsichtig formuliert hatte: Die „Congés annulés“ werden das erste Festival sein, das nicht abgesagt wird.
Die Pressekonferenz dazu verlief anders als gewohnt: Als die Rotondes vor zehn Tagen dazu einluden, die kommende Spielzeit erst virtuell auf ihrer neuen Internetseite und dann vor Ort während einer Drive-in-Vorstellung zu entdecken, wusste der vom Alltag dröger Konferenzen geplagte Journalist erst nicht so recht, ob es sich dabei nicht um einen ausgeklügelten PR-Gag handele.
Wer dann auf der place des Rotondes nicht etwa den Covid-Test-Schildern, sondern den Anweisungen einer Mitarbeiterin der Kultureinrichtung folgte, stellte seinen Wagen in einem improvisierten Kreisverkehr ab, bekam ein desinfiziertes iPad in die Hand gedrückt, auf dem ein kurzes Video in die kommende Spielzeit einleitete, und konnte anschließend mithilfe verschiedener Signale die Aufmerksamkeit des Ansprechpartners seiner Wahl auf sein Vehikel lenken. Wegen des rebellischen Geistes vieler anwesender Journalisten (wie Rotondes-Direktor Steph Meyers es schelmisch ausdrückte), ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit an neue Konzepte oder aber auch wegen des verlockenden Getränkestandes verließen die meisten aber ihr Auto – und unterhielten sich draußen mit dem Team der Rotondes, während ein paar Meter weiter die letzten Covid-Tests des Tages an angespannten Patienten durchgeführt wurden.
„In die Unsicherheit hineinplanen war sicherlich frustrierend. Aber wir haben es geschafft“, meint Marc Hauser, der für die Konzertplanung in den Rotondes zuständig ist. „Klar: Letztes Jahr hatten wir 24 ausländische Bands gebucht, dieses Jahr sind’s nur fünf. Aber dafür ist die Zahl der luxemburgischen Bands gleichgeblieben: Wie im Vorjahr werden 21 hiesige Gruppen auftreten. Normalerweise gelingt es uns, spannende internationale Bands zu buchen, die zwischen zwei Festivaldaten einen Abstecher bei uns machen. Aber da bis auf ein paar wenige Ausnahmen alle Festivals abgesagt wurden, gibt es zurzeit keine Tourneen, sondern nur noch vereinzelte Bandauftritte. Es sind logischerweise dann auch Gruppen aus der nahen Umgebung – aus Deutschland, Frankreich, Belgien oder der Schweiz –, die auftreten werden. Um ganz ehrlich zu sein: Die große Überraschung fehlt, die meisten programmierten Bands hat man bereits live gesehen.“
Und dennoch: Die internationalen Acts, die nach Luxemburg kommen werden, haben es in sich. So werden Glass Museum Fans von GoGo Penguin begeistern, One Sentence. Supervisor spielen tollen Krautrock mit unterkühlten New-Wave-Bassläufen und einem Gesang, der teilweise an Clinic erinnert, und der Berliner Elektro von KUF wird zum Tanzen anregen. Insgesamt sollen (jeweils von mittwochs bis samstags) 13 Konzertnächte geboten werden, zu denen sich drei Dienstags-Sessions mit Slumbergaze, Hannah Ida und Claudine Muno gesellen.
Mutiny im Sitzen?
Die Luxemburger Live-Acts wurden auf Genre-Abende verteilt: Bartleby Delicate und Autumn Sweater werden Indie-Rock-Fans begeistern, Napoleon Gold und Sun Glitters für einen schwelgerischen Elektroabend, Klein für vertrackt-jazzige Klänge, Edsun und Amaar für feinsten R’n’B sorgen. Eine De-Läbbel-Session bringt luxemburgischen Hip-Hop auf die Bühne, während gleich an zwei Abenden instrumentalem Mathrock gehuldigt wird: Nach den Auftritten von No Metal in this Battle und La Bofia dürfen sich Mathrock-Fans auf ein Konzert von Mutiny on the Bounty und Gregario, der vor zwei Wochen seine erste EP veröffentlicht hat, freuen.
Weniger bekannt hierzulande ist das nordamerikanische Duo Francis of Delirium, das seinen Sitz in Luxemburg hat und mit seiner Mischung aus an Snail Mail erinnerndes DIY-Indie und Alternative-Rock der 90er zurzeit auch im Ausland von sich reden lässt.
Enden soll das Festival mit der Release-Night der „Schlofzëmmerbléck“-Platte. Im Laufe dieses Projekts forderte der Radiosender 100,7 hiesige Musiker wie Claire Parsons, Ryvage, C’est Karma, Pascal Schumacher, MAZ oder Them Lights dazu auf, einen Song im Lockdown zu schreiben, aufzunehmen und zu produzieren.
Der Eintritt ist über die gesamte Dauer des Festivals kostenlos, aus Sicherheitsgründen werden die bestuhlten Konzerte draußen stattfinden. Die Konzertgänger müssen zwar keinen Zwei-Meter-Abstand halten, dafür herrscht aber Maskenpflicht. Wie man allerdings ein Konzert von Mutiny, das die Menge stets zum Tanzen bringt, mit Social Distancing genießen wird, bleibt abzuwarten. „Mein Traum wäre es, dass man bis dahin die Konzerte mit Maske im Stehen erleben kann. Eine Band wie Mutiny bucht man in der Hoffnung, dass sich die Situation bis dahin verbessert hat“, so Marc Hauser. „Wie viele Besucher wir in den Hof hereinlassen dürfen – das berechnen wir zurzeit. Ich denke, dass es so viele sein werden wie im Club (vor der Pandemie).“
Dass es den Rotondes gelungen ist, vom 1. bis zum 23. August unter den momentanen Bedingungen jeden Tag ein Kulturevent zu organisieren, ist auf jeden Fall schon mal beeindruckend. „Wir schreiten jetzt etappenweise voran“, so Direktor Steph Meyers. „Das Festival findet dieses Jahr unter außergewöhnlichen Bedingungen statt. Die Konzerte drinnen zu organisieren, erschien uns zu riskant, zu kompliziert, sodass wir uns für eine Open-Air-Variante entschieden haben. Wir haben in den vergangenen Jahren oft mit dem Gedanken gespielt, den Hof und die Terrasse auf irgendeine Weise zu bespielen, aber bisher nie eine zufriedenstellende Lösung gefunden. In dem Sinne haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Nach dem Festival müssen wir flexibel bleiben, uns an die Entwicklungen anpassen, verschiedene Events wie Märkte oder Vernissagen anders aufziehen.“
Marc Hauser und Steph Meyers sind sich einig: Als kleine, staatlich konventionierte Halle hat man es leichter als Privatbetreiber wie die Kollegen vom Atelier. „Dennoch müssen wir verantwortungsbewusst mit den staatlichen Geldern umgehen. Wenn die Anzahl an erlaubten Besuchern in den kleineren Sälen lachhaft bleibt, ist es sinnlos, sie zu bespielen. Hier hat die ‚Theater Federatioun’ wertvolle Arbeit geleistet, indem sie konkret auflistete, wie viele Besucher unter den aktuellen Bedingungen in diesem und jenem Saal empfangen werden können.“
„Game on“ statt „Game over“
Im Rahmen der Musikprogrammierung nach den „Congés annulés“ werden einige der abgesagten Termine nachgeholt: Das Release-Konzert der neuen TUYS-EP „A Curtain Call For Dreamers“ steht genauso auf dem Programm wie Konzerte von 00I00, Pantha Du Prince oder The Homesick, die ihren vertrackten, verspielten Indie-Rock eigentlich im Rahmen des „Out of the Crowd“-Festivals in der Kufa vorstellen sollten.
Yves Conrardy, der für das soziokulturelle Programm zuständig ist, zeigt sich erfreut, abgesagte Events nachholen zu können, auch wenn das Gefühl der Stagnation irgendwie bleibt. Neben einer Konferenzreihe über die luxemburgische Kulturszene mit der Uni.lu und dem nachgeholten „On Stéitsch“-Festival in Zusammenarbeit mit dem SNJ hebt Conrardy das neue „Game on“ hervor – dabei handelt es sich um ein Wochenende Anfang November rund um Gesellschafts- und Videospiele.
Im Bereich der bildenden Kunst gibt es in den Rotondes auch pandemiebedingten Nachholbedarf: Die Ausstellung rund um den LEAP (Luxembourg Encouragement for Artists Prize) wurde gerade aufgebaut, als die Schließung der Rotondes verkündet wurde. Diese Veranstaltung – wie auch die Verkündung des Gewinners – wurde ebenso verschoben wie die „Brave New Order“-Ausstellung – die fünfte, von Casino-Direktor Kevin Muhlen kuratierte „Triennale de la jeune création“ stellt Millennials vor die Herausforderung, ihre Auffassung der heutigen und zukünftigen (digitalen) Gesellschaft darzustellen.
Laura Graser, die für die darstellenden Künste verantwortlich ist, betrachtet die kommende Spielzeit weder als aufgewärmte noch als Covid-Saison: „Einige Aufführungen, die während der abgebrochenen letzten Spielzeit stattfinden sollten, haben wir ins neue Programm übernommen.“ Da wäre zum Beispiel „Identity“ – ein Projekt, das vier Länder und 19 Jugendliche impliziert und das übergeordnete Spielzeitthema vom Wohlbefinden junger Menschen aufgreifen wird. „Weil wir die kommende Spielzeit zur Zeit des Lockdowns bereits geplant hatten, wird es keine ‚Covid-Saison’ mit spezifischen Formaten geben.“ Weil die Schauspieler seit kurzem wieder ohne Sicherheitsdistanz arbeiten dürfen, braucht man diese spezifischen Formate vielleicht nicht – und es kehrt wieder ein bisschen Normalität in den kulturellen Arbeitsprozess ein.
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