/ 3.546 Tote in nur zwei Jahren: 1865 suchte die Cholera Luxemburg heim
In Teilen Afrikas grassiert die Seuche wieder oder besser gesagt immer noch: Die Rede ist von der Cholera. Im Jahr 1865 kam die Cholera einst nach Luxemburg und forderte über fast zwei Jahre etwa 3.546 Todesopfer.
Von Roby Fleischhauer
Verursacht wird diese schwere bakterielle Infektionskrankheit zumeist durch die Einnahme von verunreinigtem Wasser oder infizierter Nahrung. Die Hauptsymptome sind extremer Durchfall und starkes Erbrechen, die zum Tod durch Austrocknung und Elektrolytenverlust führen. Obwohl es heute rein medizinisch gesehen kein Problem wäre, der Seuche Einhalt zu gebieten, erschweren bis vereiteln die gesellschaftlichen Umstände den Kampf gegen die Krankheit.
Auch in Luxemburg waren zuerst die ärmeren gesellschaftlichen Schichten betroffen, als die Seuche 1865 ausbrach. Die Epidemie dauerte bis 1866 an und forderte insgesamt 3.546 Todesopfer. Schenkt man Jos. A. Massard Glauben, so wurde diese „asiatische Cholera“ Ende März 1865 von indischen Pilgern nach Mekka eingeschleppt und kam von dort aus über die Häfen von Alexandria und Marseille nach Europa. Der erste Fall in Luxemburg soll dann bereits im Juni in Hollerich aufgetreten sein. Weitere Fälle traten in Wiltz und Leudelingen auf. Dann breitete sich die Krankheit wie ein Lauffeuer aus: Im November waren bereits 252 Opfer zu beklagen.
Krankheit für Arme?
Anfangs wurde noch angenommen, dass es sich bei der Cholera einzig um eine „Armenkrankheit“ handele. So schrieb etwa der Pfarrer von Weimerskirch am 15. April 1866 im Luxemburger Wort, dass die Krankheit „umso betrübender“ sei, „indem sie meistens arme Leute oder Arbeiter überfiel, weil diese vor und während der Krankheit nicht die gehörige Vorsicht anwenden“.
Auch der Niederkorner Pfarrer beklagte, dass die Lebensumstände der Menschen viel zur Verschlimmerung der Seuche beitrugen. Die Häuser waren feucht und ungesund; Wasserleitungen gab es nicht, sodass das Wasser aus zumeist verschmutzten Brunnen bezogen wurde. Zudem ernährten sich die Leute hauptsächlich von Pflanzlichem und Milchprodukten und gaben ihr hart verdientes Geld oftmals lieber für Schnaps als für anständige Nahrung aus.
Weimerskirch war damals stark von der Seuche betroffen, wie auch Dommeldingen, Diekirch und die Vorstädte. Die Gesamtlage verschlechterte sich dermaßen, dass die Regierung ein Unterstützungs-Komitee ins Leben rief, das Geld sammeln sollte, als Hilfe für die Hinterbliebenen von Familienvätern, die der Krankheit erlegen waren.
Reiswasser mit Rotwein
Zwar konnte man im Luxemburger Wort vom 3. Mai 1866 „hilfreiche“ Ratschläge, wie etwa die Empfehlung, Reiswasser mit Rotwein, Fleischbrühe, Gerstenschleim zu sich zu nehmen, lesen, im Großen und Ganzen aber waren die angepriesenen Maßnahmen wenn überhaupt nur wenig hilfreich, da nur wenig über die Ursache und den Verlauf der Krankheit bekannt war. Nur dass schmutziges Wasser mit den Erkrankungen im Zusammenhang stand, war bekannt.
Die Ärzte waren dementsprechend hilflos, die Behandlungen „experimentell“, wie es die folgende Anekdote gut bebildert:
In einem Dorf in der Normandie wurde der Landarzt ans Bett des an Cholera erkrankten Schmieds gerufen. Er verschrieb irgendeine Arznei. Als er am nächsten Tag den Krankenerneut aufsuchte, war dieser wieder kerngesund und am Arbeiten. Die Ehefrau erklärte dem Arzt, ihr Mann habe am Vortag zwei saure Heringe mit in Öl geweichten kalten Bohnen gegessen. Verblüfft notierte der Arzt das vermeintliche Heilmittel.
Am selben Tag wurde er dann zu einem Maurer gerufen, der ebenfalls an Cholera erkrankt war. Er verschrieb dem Mann das „bewährte“ Mittel „saure Heringe mit kalten Bohnen im Öl“. Am nächsten Tag war der Maurer tot. Der Arzt notierte: Cholera, Heilmittel: Saure Heringe, Bohnen gut für Schmiede, schlecht für Maurer. Erst als Robert Koch um 1880 den Bazillus, genauer gesagt den „Kommabazillus“, entdeckte und ihn als Auslöser der Cholera identifizierte, wendete sich langsam das Blatt im Kampf gegen die Seuche.
Die Seuche im Süden
In Luxemburg ebbte die Epidemie gegen Ende 1865 kurz ab. Im Juni 1866 erstarkt sie jedoch wieder, vor allem im Süden des Landes. Die zweite, weitaus stärkere Cholera-Welle nahm am 25. Juni 1866 in Leudelingen ihren Anfang. Dann wurden nacheinander Fälle in Esch, Fenningen, Bettemburg, Berchem, Biwingen, Peppingen, Crauthem, Roser, Petingen, Rodingen, Schifflingen, Rümelingen bekannt. Am 1. August erreichte sie Niederkorn, am 10. August Differdingen und am 9. Oktober Oberkorn.
Bereits am 5. Oktober 1865 hatte man in Differdingen auf Geheiß des Innenministers eine Kommission eingesetzt, um sich auf einen möglichen Ausbruch der Krankheit vorzubereiten und sich mit dem Unterhalt der Plätze und Straßen sowie der Sanierung der Armenbehausungen zu beschäftigen. Mitglieder der Kommission waren: Charles Schambourg, Bürgermeister; Nic Schockmel, Schöffe; Corneil Brasseur, Landwirt; Jean Ziger, Landwirt; Pierre Werner, Müller, und Pierre Theis, Landwirt.
Es wurden auch Spenden gesammelt, welche den Familien der Betroffenen zugute kommen sollten. Das erste Todesopfer in der Gemeinde war am 1. August 1866 in Niederkorn zu beklagen: der Feldarbeiter Nicolas Didier, der im Alter von 53 Jahren verstarb. 10 Tage später gab es das erste Opfer in Differdingen. Es handelt sich ausgerechnet um den Pfarrer, Hochwürden Johann Pfeiffer, 42 Jahre alt. Er habe sich durch seinen unermüdlichen Eifer im Dienste der von der Cholera Betroffenen selbst angesteckt, berichtete das Luxemburger Wort.
Enorme Ansteckungsgefahr
Vier Wochen später gab es dann den ersten Todesfall in Oberkorn, Landwirt Mathias Biever. Wie genau die Cholera in die Gemeinde eingeschleppt wurde, ist unbekannt. Vermerkt sind jedoch Fälle in Petingen und Bascharage im Juni und am 17. Juni in Longwy und Athus.
Und angesichts der enormen Ansteckungsgefahr haben die Pilgergänge, die zu dieser Zeit stattfanden, wahrscheinlich nicht unerheblich zur Verbreitung der Seuche beigetragen. Wie Jos. A. Massard in Galerie no 1 1985 berichtet, pilgerten am 28. Juli etwa 600 Differdinger nach Luxemburg-Stadt zur Schutzpatronin des Landes. Die Differdinger und die Bewohner der umliegenden Ortschaften pilgerten auch jeden Abend zur Kapelle der Muttergottes auf dem Titelberg.
Dr. Pinth aus Bascharage ist der Einzige, der diese Pilgerzüge missbilligte: „De ce pélerinage ils revenaient après minuit, exténués de fatigue du travail de la journée et de la marche nocturne, exposés à l’air froid et humide sur le haut plateau qui s’étend depuis Niederkorn jusqu’à Lamadelaine, et quelques fois trempés par la pluie battante, pour recommencer le lendemain les mêmes travaux et exercices de dévotion de la veille.“
Laut dem Sterberegister der Gemeinde Differdingen erlagen 131 Menschen in der Gemeinde der schrecklichen Krankheit. Differdingen zählte damals zwischen 1.500 und 1.600 Einwohner. Wie der Lehrer Jean-Jacques Theisen in der Broschüre des „Syndicat d’initiative“ von 1937 schrieb, gab es in der Pfarrei Differdingen 63 Choleratote, in der Pfarrei Niederkorn 53 und in der Pfarrei Oberkorn 15. Schaut man sich das Alter und den Berufsstand der Verstorbenen an, so wird klar, dass die Cholera wahllos durch die Bevölkerung hindurch ihre Opfer suchte.
Tote wurden sofort begraben
Starb ein Erkrankter nach heftigen Muskelkrämpfen, dann musste der Fall direkt der Bürgermeisterei gemeldet werden. Der Verstorbene wurde sofort eingesargt und zum Kirchhof gebracht. Er durfte nicht im Haus aufgebahrt werden. Ein Totengeläut gab es nicht mehr und Krankenbesuche fielen komplett aus. Die Schreiner konnten die Nachfrage an Särgen nicht mehr bewältigen, sodass schließlich nur noch ein paar Bretter zusammengenagelt wurden.
Die Leichenträger waren ständig betrunken, weil man annahm, dass Branntwein vor Ansteckung schützt. Geistliche und Küster trugen bei der Beerdigung ein Desinfektionsmittel im Mund und mussten oft selber mit anpacken. Bis man dann schließlich im Luxemburger Wort vom 23. Oktober 1866 Folgendes lesen konnte: „Differdingen, den 19. Oktober. Die leidige Cholera hat nun endlich nach einem allzu langen Verweilen von 12 Wochen uns verlassen. 62 Personen (131 insgesamt), wovon die meisten in den Lebensjahren von 40-55, fielen ihr zum Opfer. Erkrankungen zählten wir über 300. Weder Regen noch Sonnenschein, weder homöopathische Mittel noch allopathische Dosen vermochten den hartnäckigen Feind zu bekämpfen.“
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