Die Letzte ihres Fachs / 40 Jahre beim Tageblatt: Gaby Stemper geht in Rente
Vier Jahrzehnte lang hat Gaby Stemper (59) als Schreibkraft (Daktylo) für das Tageblatt gearbeitet. Sie ist die letzte ihres Fachs. Das Porträt einer diskreten Frau, die eine besondere Beziehung zu ihrer Schwester pflegt.
Gaby Stemper ist dezent und trotzdem immer da – und das seit 40 Jahren. „Sie ist ein sehr ruhiger, aber auch ein besonders lieber Mensch.“ Das sagt Chantal Rossi, die 37 Jahre lang mit ihr zusammengearbeitet hat. Nach einer Ausbildung an der „Ecole des langues et de commerce“ und zwei kurzzeitigen Jobs als Sekretärin beim „Comptoire pharmaceutique Prodiba“ sowie bei der „Imprimerie Wagner“ verschlägt es Gaby in die Kanalstraße 44.
Ihr erster Arbeitstag ist der 11. Februar 1980. Damals ist die junge Frau zarte 19 Jahre alt. Ihre Aufgaben sind vielfältig und bestehen darin, von Büchern über Fernsehprogramme bis hin zu den Artikeln der Journalisten alles Mögliche abzutippen und für die Zeitung zurechtzuschneiden. Für das Layout einer Seite sind damals sie und ihre Teamkollegen zuständig. Einzelne Artikel werden abgetippt, zugeschnitten und wie ein Puzzle auf einer Seite zusammengeführt.
Politisches Interesse
Die Arbeit bei einer Zeitung passt gut zu ihr, denn politisches Interesse liegt in der Familie. Gabys Mutter stammt aus Deutschland und verfolgt in den 1960er- und 1970er-Jahren die Debatten im Bundestag. „Darüber haben wir zu Hause viel diskutiert“, sagt Gaby.
Geboren wurde sie im Frühling: am 25. Mai 1960 in Esch. Sechs Jahre später zieht sie mit ihrer Schwester und ihren Eltern nach Kayl. Die Geschwister leben bis heute zusammen im Elternhaus. Die drei Jahre ältere Monique Stemper bezeichnet ihre Beziehung als einzigartig unter Geschwistern. „Wir sind immer füreinander da“, sagt sie.
Einen Mann hatten beide Frauen nie. Glücklich sind sie auch so. „Ich habe keine Lust, die Socken von jemandem zu waschen“, scherzt Gaby. Ob sie eine feministische Ader hat? „Ja“, lautet die klare Antwort.
Gaby und Monique lesen täglich gemeinsam Zeitung. Auch das hat eine lange Tradition im Hause Stemper. Die Familie hat sowohl das Tageblatt als auch das Luxemburger Wort abonniert. „Beim Essen haben wir dann über die verschiedenen Ansichten und Artikel diskutiert“, erzählt Monique. Diese Tradition erhalten die Geschwister bis heute aufrecht – einer Meinung sind sie dabei nicht immer.
Digitalisierung vs. Daktylo
Als Gaby ihren Job beim Tageblatt antritt, ist sie eine von 16 Schreibkräften – eine Zahl, die seitdem immer weiter sinkt. Das Zehnfingersystem hat Gaby in ihrer Ausbildung noch auf einer mechanischen Schreibmaschine gelernt. „Das war ganz schön anstrengend“, sagt sie. Beim Tageblatt erlebt sie den ersten Schritt in Richtung Digitalisierung: Hier wird mit elektronischen Schreibmaschinen gearbeitet. Und die lassen sich gleich viel leichter bedienen. „Als ich zum ersten Mal darauf getippt habe, war das eine echte Erleichterung“, erinnert sie sich.
Bevor es Internet und Laptops gibt, diktieren die Journalisten den Daktylos regelmäßig Artikel per Telefon. Meist sind es Sportredakteure. Einfach ist das nicht. „Wenn im Hintergrund ein ganzes Stadion gegrölt hat und wir jeden Namen richtig mitschreiben mussten, war das eine Herausforderung“, erzählt Gaby.
Damals übernimmt Gaby regelmäßig die Nachtschicht. Aufgrund einer Hornhautverkrümmung darf sie nie den Führerschein machen. Deshalb holt ihre Schwester sie seit 40 Jahren fast täglich von der Arbeit ab. Egal um welche Uhrzeit. „Wenn sie spät gearbeitet hat, bin ich um 3 Uhr nachts aufgestanden und habe sie abgeholt“, sagt Monique. Das sei für sie selbstverständlich.
Monique ist seit fünf Jahren in Rente. Jetzt, wo Gaby auch in den Ruhestand tritt, wollen sie gemeinsam ein Fitnessstudio besuchen. Auch das Reisen soll nicht zu kurz kommen, ein Hobby, das sie seit ihrer Jugend gemeinsam pflegen. „1982 waren wir zum ersten Mal auf einer großen Reise durch Amerika“, erinnert sich Gaby. In den letzten Jahren waren sie in Europa unterwegs. Besonders häufig in London. Das hänge auch mit Gabys Hang zu englischen Königshäusern zusammen. „Ich erwische sie immer dabei, dass sie sich Dokumentationen zu diesem Thema anschaut“, sagt ihre Schwester.
„Gaby spricht so gut Englisch, da würde manch einer staunen“, verrät Chantal Rossi. Außerdem sei sie immer toporganisiert. Das bestätigt auch Monique. Wenn sie etwas anfange, ziehe sie es durch. „Ich muss sie manchmal bremsen und ihr sagen, dass sie locker lassen soll.“
Kochtalent
Für das Tageblatt hat sich ihre Konsequenz gelohnt. Den Ruhestand hat sie sich nach 40 Jahren verdient. Zusammen mit ihrer Schwester freut sich Gaby darauf, bald mehr Zeit zu haben, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Dann wollen sie häufiger zusammen kochen. „Das kann Gaby besonders gut“, sagt Monique, die für ihren Teil lieber backt – eine perfekte Ergänzung also.
Aus ihrer frühen Zeit beim Tageblatt ist ihr das ratternde Geräusch der Ticker, über die Agenturtexte in der Redaktion eintreffen, besonders in Erinnerung geblieben. Die Maschinen drucken internationale Meldungen auf einer Papierrolle ab. Was Journalisten als wichtig beurteilen, wird abgerissen und bearbeitet.
Damit war es mit den Anfängen des Internets in den 1990ern vorbei. Die ratternden Maschinen verschwinden nach und nach. Das Internet und die Digitalisierung nehmen Gaby und ihren Kolleginnen immer mehr Aufgaben ab. „Ich habe in 40 Jahren zugesehen, wie unsere Arbeit und mit ihr unser Team immer weiter geschrumpft ist“, sagt sie. Gaby ist die Letzte, die übrig geblieben ist.
Der 6. Februar 2020 war Gabys letzter Arbeitstag in der Kanalstraße. Sie tippte zum letzten Mal die Anzeigen ab, räumte ihr Büro und wurde zum letzten Mal von ihrer Schwester Monique von der Arbeit abgeholt. Dabei hatte Gaby gemischte Gefühle – aber die Vorfreude auf das, was kommt, überwog.
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Das waren noch Zeiten, Heutzutage ist das Tageblatt voll von ‚Hurenkindern‘ und ‚Schusterjungen‘ und den jungen Spunden fällt das nicht mal auf, trotz Desktop-Publishing.
Dass die Zeilen von den verschiedenen Spalten nicht mehr zueinander passen mal gar nicht zu reden.