/ 400 Kilogramm Integration: Syrischer Flüchtling und deutscher Bauer gründen arabische Käserei
Sie haben es geschafft: Der syrische Flüchtling Abdul Saymoa und der deutsche Bauer Mathias Riehm stellen im Saarland arabischen Käse her – jeden Tag fast eine halbe Tonne.
Stolz steht Abdul Saymoa (28) in der Käserei in Wustweiler. Das 2.500-Einwohner-Dorf liegt rund hundert Kilometer weit von Esch/Alzette entfernt im Saarland. Die Kühlschränke sind voll mit in Gläsern abgefüllten syrischen Käsearten. Sie heißen: Sourki, Baladia oder Chalali. Mit und ohne Gewürze eingelegt in Olivenöl darf Käse in der syrischen Küche nicht fehlen. Alles ist blitzblank. Draußen steht der Kleintransporter mit dem Schriftzug „Cham Saar“. Abdul Saymoa ist die Gelassenheit in Person. Nichts deutet auf das hin, was hinter ihm liegt.
Bei seiner ersten Flucht verlässt er seine Heimat Syrien. Abdul stammt aus Idlib. 2011, da ist er 19 Jahre alt, drängen die syrischen Behörden ihn, die Uniform anzuziehen und Dienst zu leisten. Bald gibt es Krieg, das ist absehbar.
Er schlägt sich nach Ägypten durch, handelt in Hurghada mit Kleidung für Touristen. Es geht ihm gut, er heiratet Sara. Als der Arabische Frühling den Ferienort erreicht, kommen immer weniger Gäste und Abdul verdient nichts mehr. Er steckt in der Klemme. Seine Papiere sind abgelaufen. Neue zu bekommen, ist aussichtslos. Der seit 2013 das Land regierende General Abdel Fattah el-Sisi hat angekündigt, sie jedem ohne Militärdienst zu verweigern. Zurück nach Hause kann er auch nicht. Dort herrscht Krieg.
Der Weg zum Unternehmer ist hart – helfende Hände
Er flüchtet ein zweites Mal. In Ägypten besteigt er ein Fischerboot, zusammen mit 450 anderen Flüchtlingen. Das Ziel: Europa. Zwei Wochen nach dem Start gehen Diesel, Wasser und Essen auf hoher See aus. Ein Ölfrachter unter chinesischer Flagge nimmt sie auf. „Wir konnten nach der langen Schaukelei auf See an Bord des riesigen Schiffs zuerst gar nicht richtig stehen“, sagt er. „Meine Hose war so dreckig und ausgetrocknet, dass ich sie durchbrechen konnte“, sagt Saymoa, der in Jeans und einem Hemd in der Käserei steht. Europa erreichen er, seine Frau, die zwei Kinder ihrer Schwester und ihr Bruder in Sizilien 2014.
Über Rom, Mailand, Nizza und Straßburg kommt die Familie schließlich ins Saarland. „Der 26. September 2014 war mein erster Tag in Deutschland“, sagt Abdul fast feierlich. In dem Jahr kommen nach Angaben des saarländischen Innenministeriums insgesamt 2.046 Syrer in das Bundesland, das flächenmäßig fast der Größe Luxemburgs entspricht. 2015, ein Jahr später, steigt die Zahl auf 11.759 Flüchtlinge allein aus Syrien. Zur gleichen Zeit sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel im 800 Kilometer entfernten Berlin den historischen Satz: „Wir schaffen das“.
Da lebt Abdul mit seiner Familie in einer Wohnung im saarländischen Illingen und ist krank. Obwohl er in Rekordzeit von 25 Tagen das Bleiberecht erhält, plagen ihn Depressionen. Er findet keine Arbeit, grübelt über die Zukunft.
Im knapp drei Kilometer entfernten Wustweiler, einem Ortsteil von Illingen, lebt der Landwirt Mathias Riehm (63) ein wenig außerhalb auf einem Aussiedlerhof. Er betreibt in dritter Generation den Georgshof, einen konventionellen Milchviehbetrieb. „Beginne den Tag mit einem Lächeln und er gehört dir“, ist eins seiner Lieblingszitate. Fast täglich holt Abdul auf dem Georgshof große Mengen Milch in Kanistern ab. „Was machst du denn damit?“, fragt Riehm seinen Kunden. Abdul klärt ihn auf. Nach seiner Lehre als Elektriker in Syrien habe er schon einmal in einer Käserei gearbeitet. Nun stellt er in seiner Wohnung arabischen Käse für Familie und Freunde her. „Wir sind hier in Deutschland“, sagt Riehm zu Abdul, „hier gibt es Vorschriften und wenn da mal einer krank wird von deinem Käse, hänge ich mit drin.“
„Beginne den Tag mit einem Lächeln und er gehört dir“
Abdul schlägt vor, eine Käserei aufzubauen. Riehm gefällt die Idee. Beide Familien unterstützen das Projekt. „Es war die Gelegenheit, meine Milchwirtschaft aufzuwerten“, sagt der deutsche Bauer. Abdul hat endlich eine Zukunft. Und Mathias und seine Frau Christel (61) wollen ihn dabei unterstützen. „Die ganzen Populisten haben in der Schule nicht aufgepasst“, sagt Mathias, „wo wäre denn Deutschland ohne die Einwanderer, die ihr Wissen und ihre Arbeitskraft hier eingebracht haben?“ Die Kollegen, die ihn anfangs belächeln, fragen mittlerweile, ob er nicht ein bisschen Käse für ihren Hofladen beisteuern könnte. Er lehnt freundlich ab.
Der eingeschlagene Weg birgt Hürden. Dem Bauer ist schnell klar, dass sein Schützling von deutscher Bürokratie und Arbeitskultur keine Ahnung hat. „Veterinäramt, Hygienevorschriften, Berufsgenossenschaft, Businessplan und Sachkundeprüfung“, zählt er eine Auswahl der Hürden bis zur Käserei auf. Ordner füllen sich, zahllose Telefonate folgen. Nach einem Praktikum Abduls in einer Biokäserei steht die Geschäftsidee. „Wir machen eine arabische Käserei, deutsche gibt es schon genug“, schlägt Christel vor.
Die Sachkundeprüfung bleibt der größte Brocken. Nach einem ersten Fehlversuch begleitet Mathias seinen Schützling nach Potsdam zur „Milchwirtschaftlichen Lehr- und Untersuchungsanstalt Oranienburg e. V.“ Es ist eine harte Woche. Beide lernen tagsüber acht Stunden Theorie. Abends paukt Mathias mit Abdul bis in die Nacht hinein die Fachbegriffe. Es klappt. „Abdul ist der einzige Syrer in Deutschland, der diese Prüfung bestanden hat“, sagt Christel. Nach der Prüfung feiern die beiden Absolventen im nahen Berlin bei Verwandten von Abdul. „Da lernt man echte Gastfreundschaft kennen“, sagt Mathias. Der Vater in Idlib, ein Teppichhändler, hat Tränen in den Augen, als er über Skype von dem saarländischen Beistand und dem Erfolg des Sohnes hört.
Mittlerweile stellt Abdul täglich 400 Kilogramm Käse her. Er hält mit 40 Prozent die Mehrheitsanteile an der „Cham Saar GmbH“, die restlichen Anteile teilen sich Mathias’ Sohn und dessen Frau. Nur acht Monate nach dem Start im Sommer 2018 beliefern sie europaweit Kunden. Gerade ist die erste Lieferung nach Österreich raus. Französische, niederländische und schwedische Kunden nehmen neben denen aus Deutschland schon länger Käse ab. Zu den zwei fest angestellten Mitarbeitern sollen in Kürze zwei weitere kommen.
Kunden aus ganz Europa
Eine Existenzgründung wie diese ist ungewöhnlich. Im Falle von Abdul und Mathias tun sich ein deutscher Unternehmer – der Bauer ist seit 40 Jahren selbstständig – und ein Flüchtling zusammen. Die Geschichte interessiert bundesweit. Das „Business Angels Netzwerk Saarland“, das Förderprogramm des Landkreises Neunkirchen „Landaufschwung“ und saarländische Banken unterstützen die Käserei finanziell.
Zusammengebracht hat sie Stefanie Valcic-Manstein (55). Die Mitarbeiterin des Instituts für Technologietransfer (FITT) ist auf Existenzgründungen dieser Art spezialisiert. „Die Gründungsneigung bei geflüchteten Migranten ist hoch“, sagt sie, „sie geht allerdings schnell verloren, wenn sie nicht mit geeigneten Programmen und Beratung unterstützt wird.“
Zahlen aus dem Gründungsmonitor vom Januar 2019 der KfW-Bank bestätigen dies. Migranten stellten in den Jahren 2013-2017 jeden fünften Gründer in Deutschland. Allerdings unterscheidet die Studie nicht zwischen schon länger in Deutschland lebenden Migranten und kürzlich Geflüchteten. Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber es gibt ein überzeugendes Motiv: „Menschen, die ein Fluchtrisiko auf sich genommen haben, sind häufiger bereit, auch ein unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen“, sagt René Leicht vom Institut für Mittelstandsforschung in Mannheim. Bildungsstand, positive Erfahrungen mit einer Selbstständigkeit in der Familie und Herkunftsland sind weitere Faktoren, die die Mannheimer Forscher als Antrieb für Gründer mit Migrantenhintergrund identifiziert haben.
Mathias und seine Frau sind mittlerweile raus aus dem Geschäft. Sie liefern zwar die Milch, sind aber nicht mehr an der Käserei beteiligt. „Abdul muss selbstständig sein und er ist gut vernetzt“, sagt Christel. Ihr Freundeskreis hat sich erheblich erweitert: Sie werden jetzt zu syrischen Kindergeburtstagen eingeladen. Christel darf die Frauen sogar ohne Schleier sehen. Die Riehms und Abdul haben es zusammen geschafft.
Die Helfer
Die FITT gemeinnützige GmbH ist das Institut für Technologietransfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW). An der anwendungsorientierten Forschungseinrichtung sind über 90 Menschen beschäftigt. „1985 gegründet, gilt sie heute als ein Best-Practice-Beispiel zur Organisation der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Professorenschaft, Hochschule und externen Partnern“, heißt es auf der Webseite. Eine der Aufgaben des FITT ist die Beratung von Existenzgründern im Saarland.
www.forschung-fuer-das-saarland.de
www.business-angels-saarland.de
www.aufschwung-nk.de
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Genial 🙂 !!! Ee Beispill fir Integratioun