Reportage / 54 Escher Sozialwohnungen stehen leer: Ein Ortsbesuch mit Bürgermeister Weis
Esch hat etwa 260 bewohnte Sozialwohnungen – und 54 leer stehende. Der Grund: Sie müssen renoviert werden. Das Tageblatt hat sich diese Gebäude mit CSV-Bürgermeister Christian Weis und „Coordinateur social“ Emmanuel Cornelius genauer angeschaut.
Emmanuel Cornelius, „Coordinateur social“ der Stadt Esch, klirrt mit dem Schlüsselbund vor der Tür eines alten Hauses. Das zweistöckige Gebäude, Nummer 7 in der rue Jean Origer, wirkt zwischen seinen beiden hohen Nachbarn zwergenhaft. CSV-Bürgermeister Christian Weis erklärt gerade, dass sich in dem Bauwerk sogar zwei Wohnungen befinden, als Cornelius den richtigen Schlüssel findet und die Tür öffnet. Im Innern gibt es kaum Zuflucht vor der eisigen Kälte, die an diesem Mittag durch die Escher Gassen fegt. Das Haus steht nämlich leer. Die Heizungen laufen nicht. Beim Eintritt muss man zuerst über einen Berg an Werbungen steigen, die durch den Postschlitz in der Tür geworfen wurden. Ein Tageblatt lugt aus dem Papierhaufen heraus – die Ausgabe stammt aus dem Jahr 2016.
Der soziale Wohnungsbestand in Esch
Die Stadt Esch veröffentlichte vergangenes Jahr, zusammen mit dem „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (LISER), den „Observatoire social de la ville d’Esch-sur-Alzette“, der sich auf das Jahr 2022 bezieht. Darin stehen unter anderem Zahlen zum sozialen Wohnraum in der Minettmetropole. So besaßen SNBHM, „Fonds du logement“ und die Stadt Esch zu diesem Zeitpunkt 602 soziale Mietwohnungen – im Jahr 2020 waren es 560. Hinzu kommen 116 Wohnungen in sozialer Mietverwaltung. Von den 602 Mietwohnungen gehören 335 der Gemeinde, davon standen 2022 67 Wohnungen leer und mussten renoviert werden. Heißt: 268 Wohnungen waren bewohnt – zwei Jahre zuvor waren es 266. Dort wohnten 444 Menschen.
Das kleine Haus ist im Besitz der Gemeinde und steht seit 2015 leer. Es gehört zu den 54 Wohnungen, die renoviert werden müssen, bevor sie als Sozialwohnraum genutzt werden können. Warum wurde dieser Wohnraum nicht früher renoviert? „Für fast jedes Gebäude könnte man eine Erklärung finden“, sagt Weis. Die heruntergekommene Nummer 7 kann in ihrem momentanen Zustand nicht vermietet werden – das Gesetz vom 20. Dezember 2019 verbietet es. Darin wird klar definiert, in welchem Zustand sich die Wohnräume befinden müssen. Im passenden nationalen Reglement sind Mindestwerte für Fenstergröße, Steckdosen-Anzahl und Sitzplätze in der Küche oder im Aufenthaltsraum festgelegt. Auch Sicherheitskriterien sind vorgegeben.
Obwohl Weis sich vorgenommen hat, die leer stehenden Wohnungen schneller zu renovieren, ist er der Meinung, dass Esch wesentlich mehr im Bereich des erschwinglichen Wohnraums unternimmt als andere Gemeinden. „Ich kenne Kommunen, die nicht einmal an einen minimalen Bruchteil von unserem Angebot herankommen.“
Leeres Herrenhaus
Cornelius schließt die Tür wieder ab, die Prozession zieht zum nächsten Haus. Gelbe Ziegelsteine schmücken das Herrenhaus, vor dem Weis und der „Coordinateur social“ stehen bleiben. Die Nummer 19 in der rue Jean Origer ist im Gegensatz zum vorigen Exemplar groß – sofort fallen die hohen Decken ins Auge. „Das Haus ist wirklich schön, und es tut einem fast leid, dass hier seit 2018 niemand mehr wohnt“, sagt Weis. Doch auch hier muss alles komplett renoviert werden. „Das ist eine Heidenarbeit und ein Investment von mehreren Millionen Euro“, so der Bürgermeister.
Bisher hat der „Service logement“ der Gemeinde noch keine ausführlichen Pläne für das Gebäude zusammengestellt. „Hier muss man sich fragen, ob man es nicht anders nutzen kann. Ich will nicht unbedingt sagen, dass wir es verkaufen werden. Aber: Man kann ein solches Objekt verkaufen und dann mit dem Geld Appartements kaufen.
Trotzdem taugen größere Gebäude auch für Sozialwohnungen. Per Gesetz müssen Kinder über 14 Jahren ein eigenes Schlafzimmer bekommen – sind sie jünger, können sie sich auch einen Raum zu zweit teilen. Die Kommune darf Großfamilien also nicht in kleineren Wohnungen unterbringen und die Nachfrage nach solchem Wohnraum ist groß. Die meisten Bewerber benötigen allerdings eine Zweizimmerwohnung. Momentan liegen bei der Stadt Esch 400 Anfragen für soziale Mietwohnungen vor.
Das Bett neben der Küche
Das nächste Gebäude befindet sich sofort um die Ecke vom Herrenhaus. Die Nummer 37 in der rue des Remparts wirkt von außen vernachlässigt – seit 2021 wohnt niemand mehr hier. Allerdings wurde schon wesentlich länger nichts mehr am Haus gemacht. Das ist noch besser im Innern des Hauses zu erkennen. Der damalige Mieter wohnte ausschließlich im Erdgeschoss. Vom gemachten Bett aus kann man in die offene Küche schauen. Die Tür zum winzigen Badezimmer liegt neben dem Esstisch. „So etwas konnte man sich vielleicht früher vorstellen, aber heute akzeptieren die Menschen das eher nicht – wenn man natürlich nichts hat, ist das auch gut“, sagt Cornelius. Das Problem ist allerdings nicht nur, dass es nicht hübsch ist. „Die Leitungen entsprechen nicht den Normen. Wir können das Risiko nicht eingehen, dass etwas passiert“, so Cornelius.
Bei jedem Haus gibt es andere Ursachen, warum es renoviert werden muss. „Manchmal, weil die Farbe nicht schön ist, manchmal wohnten die Vormieter so lange in dem Objekt, dass die Wohnung nicht mehr den Normen entspricht“, sagt der Koordinator. Im zweiten Stockwerk wohnt schon länger niemand mehr. Solange das Gebäude allerdings nicht komplett leer ist, kann es nicht renoviert werden. Zum Gebäude gehört auch ein kleiner Garten. „Hier ist es am logischsten, dass ein kleines Einfamilienhaus hinkommt“, sagt Weis.
Doch wie wird entschieden, wer welche Wohnung bekommt? Nach einer ersten Auswahl, die sich auf die generelle Lebenssituation und das Gehalt bezieht, geht ein Sozialarbeiter zu den Kandidaten, um zu verstehen, wie dringend es ist. Die Sozialarbeiter beschreiben die Zustände dann einem Gremium von fünf Personen, das die endgültige Entscheidung trifft. In diesem Rat sitzen zwei ‚Assistantes’ des ‚Service logement’, eine administrative Angestellte dieses Dienstes, ein Sozialarbeiter aus einem anderen Gemeindeservice und Emmanuel Cornelius. „Wir versuchen, eine neutrale Entscheidung zu treffen“, sagt Cornelius. „Meistens laufen diese Diskussionen sehr kollegial ab – manchmal auch kontrovers.“
Mit dem Gesetz über erschwinglichen Wohnraum, das am 21. Juli 2023 von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, wird es in Zukunft eine nationale Warteliste geben. Der Text hält ebenfalls eine Maximalhöhe des Gehalts der Bewerber fest. Das heißt allerdings nicht, dass jemand aus dem Norden plötzlich in Esch untergebracht wird. „Weil ich eine Assistante sociale nicht nach Ulflingen schicke“, sagt Cornelius. Die Kommune erhält von diesem neuen „registre national des logements abordables“ (RENLA) eine Kandidatenliste, die bereits nach Prioritäten aufgeteilt ist. Danach läuft das Auswahlverfahren gleich an. Das neue System soll voraussichtlich ab dem 1. Mai greifen.
In gutem Zustand
„Ich glaube, dass wir fünf bis sechs Wohnungen ganz kurzfristig renovieren können. Wir haben uns eine Wohnung angeschaut, da habe ich gesagt: Was ist hier das Problem? Anstreichen und auf den Markt setzen“, sagt Weis auf dem Weg zum nächsten Gebäude in der Grand-rue. Dort sind zwei Appartements frei – die Gemeinde nutzte eines davon bis 2017 als Büro. Das ist noch gut an den Dutzend Steckdosen pro Raum zu erkennen. Eine Küche gibt es nicht – ein richtiges Badezimmer sucht man ebenfalls vergeblich. Es befinden sich allerdings zwei Toiletten in der Wohnung. Eine davon teilte sich den Raum mit dem Fotokopierer.
Die andere Wohnung steht seit 2021 leer. „Hier muss das elektrische Netz den Normen angepasst werden“, sagt Cornelius. Im Raum steht noch ein großer Schrank – die zukünftige Mieterin wird das Möbelstück übernehmen. „Die Frau, die über dieser Wohnung lebt, soll hierhin ziehen und dann wird ihre Wohnung auch renoviert“, sagt Cornelius. In sechs bis acht Monaten soll hier alles bezugsfertig sein.
„Nicht alles zusammen“
Die letzte Haustür, die Cornelius an dem Mittag aufschließt, ist die Nummer 37 in der rue St. Vincent. Ursprünglich war angedacht, das Gebäude abzureißen und das Schulgelände zu vergrößern. „2020 habe ich dann als Schulschöffe gesagt, dass wir das nicht machen“, erklärt Weis. Der Grund: Das Projekt hätte 20 Millionen Euro gekostet. Neue Klassenräume wären dadurch nicht entstanden. „Das hätte keinen Sinn ergeben.“ Da ursprünglich geplant war, das Gebäude abzureißen, hat die Gemeinde auch hier lange nichts renoviert. Das muss nun nachgeholt werden. „Das kann man nicht mit einem Schlag alles zusammen machen. In den nächsten fünf Jahren müssen wir versuchen, die einen sauber zu bekommen und bei den anderen zu entscheiden, ob wir sie als Wohnungen behalten oder anders nutzen“, sagt Weis.
Damit der „Service logement“ in Zukunft besser funktioniert, hat die Gemeinde ein Audit durchgeführt. „Dabei ist herausgekommen, dass wir diesen Dienst neu aufstellen müssen“, sagt Weis. In den nächsten zwei Jahren soll diese Umgestaltung abgeschlossen werden. „Das heißt nicht, dass nächstes Jahr alles renoviert wird“, so Weis. In zwei bis drei Jahren soll allerdings geklärt sein, was genau mit den Gebäuden passiert.
Und: „Wir wollen verhindern, dass unsere Wohnungen wieder in einen solchen Zustand kommen, wie in der rue Jean Origer, wo während Jahrzehnten nichts gemacht wurde“, sagt Weis. 2022 investierte Esch laut Budget 15,5 Millionen Euro in den sozialen Wohnraum. Für 2023 waren ursprünglich 41,6 Millionen Euro vorgesehen, im rektifizierten Budget waren es nur 12,7 Millionen Euro. Für 2024 will die Gemeinde nun voraussichtlich 34,7 Millionen Euro in den sozialen Wohnraum pumpen. „Im Budget steht, was wir vorhaben, was aber nicht heißt, dass wir nur das machen. Da stehen nur die großen Projekte“, sagt Cornelius. Immerhin sei es auch möglich, verschiedene Wohnungen nur mit kleinen Anstricharbeiten bewohnbar zu machen.
Die Warteliste ist lang
Auf der Warteliste der Stadt Esch für soziale Mietwohnungen standen 2020 laut „Observatoire social“ 291 Bewerber – 2022 waren es bereits 356. „Wir sind mittlerweile bei über 400“, sagte Emmanuel Cornelius dem Tageblatt diese Woche. 2022 standen 513 Erwachsene und 448 Kinder auf dieser Liste. Das entspricht also etwa der doppelten Menge an Menschen, die momentan in den sozialen Mietwohnungen der Gemeinde untergebracht sind. Im Juli 2022 standen die Haushalte durchschnittlich seit 20 Monaten auf der Warteliste. Etwa die Hälfte ist verheiratet, ein Viertel geschieden, getrennt oder verwitwet. Ein Drittel ist alleinstehend. 31 Prozent der Anfragen stammen von Portugiesen, 25 Prozent von Nichteuropäern und 20 Prozent von Luxemburgern.
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Eng Sozialwunnung ! Renovei’ert. 3 Johr verlo’unt.
Dono net mei‘ verlounbar well muss renovei’ert gin.
Lo’unen ass keen Frei’fahrtsschein fir alles futti go’en ze loossen !
Renovei’eren get mat Stei’ergelder bezuehlt !
Ech wunnen elo 15 Johr an mengen Haus, an daat muss net schons renovei’ert ginn, well so’ubaal eng Arbecht ze machen ass gett et gemeet !
Een lamentabelen Bilan fir eng cSv an nach vill mei lamentabel fir d‘Beamten, nemmen belleg Excusen.
Awer fir all Kulturinstitutioun an -évent ass Geld an eng schnell Décisoun getraff.
Lamentabel.
Macht Politik fir d‘Escher Leit an net ären Ego.
<>
Da fragt man sich doch, ob ‘Herrenhäuser’ denn unbedingt von solch geldgierigen Heiden renoviert werden müssen, welche das fünf- bis zehnfache des normalen Tarifs berechnen.
Jedenfalls, die Renovierungskosten von mehreren Millionen für ein sogenanntes Herrenhaus bekäme ich gerne mal von einem ehrlichen und demütigen Christen vorgerechnet.
Vielleicht ist das schmucke Haus in manchen Augen auch einfach zu schade, um als Sozialwohnung her zu halten.
Lieber auf der Straße leben wie in einem solch verschimmelten Loch!
Waat huet daat elo mat der CSV ze din?
Haat d’Vera keng Zéit fir eppes ze ennerhuelen?