Klimabürgerrat legt Abschlussbericht vor / 56 Vorschläge für mehr und schnellere Nachhaltigkeit
Mehr direkte Bürgerbeteiligung an der Politik war ein Versprechen der Dreierkoalition. Nach acht Monaten Arbeit liegt nun ein konkretes Beispiel einer solchen partizipativen Kultur vor: der Abschlussbericht des Klimabürgerrates, der, aufgeteilt in sechs Themenbereiche, 56 Vorschläge für eine Beschleunigung und Intensivierung des Kampfes gegen den Klimawandel beinhaltet.
Etwa 1.000 Bürger des Landes hatten sich gemeldet, um an den Arbeiten teilnehmen zu können. 100 wurden per Los ausgewählt: 60 effektive und 40 Ersatzmitglieder des Rates. Von Experten und Vertretern gleich mehrerer Universitäten unterstützt, erstellten sie innerhalb von acht Monaten 56 teils recht weitgehende Vorschläge, die am Donnerstag erst der Regierung und später der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Raphaël Kies von der Universität Luxemburg führte ins Thema ein und verwies darauf, dass der Klimabürgerrat (KBR) seine Arbeit im Oktober ebenfalls dem Parlament vorstellen wird. Von der Politik erhofft er sich, dass die Vorschläge ernst genommen werden.
Auch wenn einige der Vorschläge bereits umgesetzt sind oder sich als Gesetzesprojekt auf dem Weg der Umsetzung befinden, so hat der Abschlussbericht, der auch auf die Dringlichkeit der Maßnahmen hinweist, das Verdienst, ein recht umfassendes Werk zu sein, das sich intensiv mit den Bereichen Landwirtschaft, erneuerbare Energien, nachhaltiges Bauwesen, Abfallwirtschaft, Mobilität und Transport sowie mit transversalen, themenübergreifenden Aspekten befasst.
Von Tempolimit 110 bis CO2-Steuer
Innerhalb dieser Bereiche sammelt der KBR-Bericht teils bekannte Positionen diverser Parteien und Organisationen, überrascht aber daneben mit wenig bekannten Forderungen wie etwa einer CO2-Steuer, die von allen gleich bezahlt wird und dann an die Bürger rückvergütet wird – allerdings je nach Grad der persönlichen Kohlendioxidverursachung. In dem Zusammenhang „sauberere“ Menschen würden also finanziell belohnt werden, große Treibhausgasverursacher würden nach dem Prinzip „pollueur-payeur“ bestraft werden. Der KBR sieht diese Maßnahme zudem als sozial, da Einkommensschwache mit kleineren Wohnungen und kleineren Autos tendenziell eher weniger CO2 produzieren.
Ein Tempolimit von 110 km/h wird bei den Vorschlägen wohl eher polarisieren als die Anregungen, alle landwirtschaftlichen Produkte mit einem Öko-Indikator zu versehen, der dem Konsumenten als Entscheidungshilfe dienen könnte, oder in den Läden eine besondere Verkaufsfläche für Produkte mit geringem CO2-Fußabdruck einzurichten.
Mehr Biolandwirtschaft oder das Pflanzen von Hecken und Sträuchern für den Erhalt der Biodiversität sind eher bekannte Positionen, die im Kapitel Landwirtschaft und Weinbau zu finden sind. Die Vorschläge werden in dem Bericht zudem von wissenschaftlichem Material untermauert: So wird darauf hingewiesen, dass die Zahl der Wiesenschmetterlinge zwischen 1990 und 2017 um 39 Prozent abnahm und in Luxemburg die Zahl der Vögel stärker abnahm als in allen anderen europäischen Ländern, mit Ausnahme Belgiens.
80 Prozent Erneuerbare bis 2030
Dass die Beschleunigung des Kampfes gegen den Klimawandel dem KBR wichtig ist, ist auch bei den energiepolitischen Forderungen nachzulesen. So wird eine Erhöhung der Produktion von Energie durch nachhaltige Methoden von aktuell 11,7 Prozent auf 80 Prozent im Jahr 2030 gefordert – anstatt, wie von der Regierung geplant, einen Anteil von 23 bis 25 Prozent. Ob dies realisierbar ist, bleibt offen. Immerhin verknüpft der KBR diese gewünschte Maßnahme mit der Forderung, die Genehmigungsprozedur für Windräder von durchschnittlich sieben auf weniger als vier Jahre zu verkürzen.
Durchaus sinnvoll, auch abseits von Klimaüberlegungen, erscheint der Vorschlag im Kapitel Bauwesen, die Bautenreglemente aller Gemeinden anzugleichen und im Rahmen der Bebauungspläne alternative Wohnformen zuzulassen (das Negativbeispiel Esch bei Wohngemeinschaften ist allgemein noch in schlechter Erinnerung). Um das zur Verfügung stehende Baugelände effizient zu nutzen, verlangt der KBR der öffentlichen Hand nach drei Jahren fehlender Nutzung, das entsprechende Terrain zu 90 Prozent des Marktpreises verkaufen zu müssen. Auch ein nationales Register leerstehender Wohnungen solle geschaffen werden.
In Sachen Abfallwirtschaft orientiert sich der KBR an den Prinzipien „Reduzieren, Wiederverwerten, Reparieren, Recyceln“. Diese sollen u.a. mit der Zahlung eines Bonus für Reparaturen, wie es ihn seit kurzem in Österreich gibt, erreicht werden.
Gratis-ÖV über Grenzen hinweg
Individuelle Transportmittel, besonders Autos, sollen weniger, alternative Gemeinschaftstransportmittel hingegen stärker genutzt werden. Zu diesem Zweck verlangt der Klimabürgerrat einen weiteren Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und u.a. die Ausweitung des kostenlosen Gemeinschaftsverkehrs auf die Grenzregionen. Die Kosten sollten zwischen den betroffenen Staaten und der Privatwirtschaft aufgeteilt werden. Eine komplette digitale Plattform, die alle Transportformen inklusive Mitfahrgelegenheiten enthält, soll laut KBR-Forderung ständig die schnellsten und ökologisch wertvollsten Wege zum Wunschziel anzeigen. Telearbeit soll künftig die Regel und nicht die Ausnahme sein und der Dienstwagen soll zumindest durch ein Dienstfahrrad ergänzt werden. Auch Luxemburger Schiffe beschäftigten den KBR: Sie sollen künftig alle emissionsfrei unterwegs sein.
Unter den transversalen Vorschlägen finden sich die Forderung nach der Aufwertung des Handwerks, die Förderung der Kreislaufwirtschaft und eine allgemeine Sensibilisierung der Gesellschaft für klimatechnisch nachhaltige Maßnahmen.
Die nächsten Monate und Jahre werden nun zeigen müssen, wie ernst der Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung genommen wird und inwiefern Politik und Beamtentum bereit sind, dieses Beispiel einer ernsthaft durchgeführten und mit großem Engagement zusammengestellten Arbeit umzusetzen.
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