Luxemburg / 95 Jahre im Minett: Roger Ehleringer über die Zeit auf der Schmelz und die Liebe in Esch
Der Tag der Arbeit ist vorbei. Einer, der sich nur allzu gut mit harter Arbeit, vor allem im Süden Luxemburgs, auskennt, ist Roger Ehleringer aus Bascharage. Denn rund 37 Jahre hat der heute 95-Jährige auf der Schmelz in Rodange geschuftet.
Wer Roger Ehleringer in seinem Zimmer in der „Seniorie St Joseph“ in Petingen besucht, merkt schnell: Mit einem wahren „Minettsdapp“ hat man es hier zu tun. Vor mehr als 95 Jahren wird er am 26. März 1928 in Bascharage geboren, wo er mit seiner Familie „op der Biff“ lebt. Rund 94 Jahre seines Lebens verbringt er in dem Ort – bis er dann ein Zimmer in der rund 1,5 Kilometer entfernten „Seniorie St Joseph Pétange“ bezieht. Dort ist er wieder mit seiner Frau Maggy Barth vereint, die wegen gesundheitlicher Probleme bereits seit rund zwei Jahren hier lebt.
Die Verbundenheit zum Süden zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografie von Roger Ehleringer. Schon in jungem Alter hilft er während des Zweiten Weltkrieges in der Brauerei in Bascharage einem Deutschen bei der Fertigung von Holzfässern. Keine freiwillige Entscheidung, wie der 95-Jährige im Gespräch im Beisein seiner beiden Söhne Jeannot und Patrick wissen lässt: „Ich stand bei den Deutschen im schwarzen Buch.“ Denn der junge Roger wollte damals die Versammlungen der Hitlerjugend nicht besuchen. Er bekam einen Schulverweis und musste früh arbeiten gehen.
Arbeit auf der Schmelz
Nach dem Krieg findet der junge Mann 1947 bei der Schmelz in Rodange Arbeit. „Ich wäre lieber nach Differdingen gegangen, denn dort wurde damals mehr Luxemburgisch gesprochen. In der Schule hatte ich nur Französisch lernen können, bis dann eben die Deutschen kamen“, erinnert er sich mit wachem Blick hinter seiner dunkelumrandeten Brille. Um dann hinzuzufügen, was er in Rodange doch ganz gut fand: „Im Gegensatz zu anderen Schmelzen hatten wir das Glück, sonntags nicht arbeiten zu müssen. Denn dann wurde das Eisen angeliefert.“
Die Arbeit erfolgt im Schichtdienst: manchmal morgens ab 6 Uhr, an anderen Tagen ab 22 Uhr abends. Anfangs gibt es acht Urlaubstage im Jahr. Roger Ehleringer arbeitet im Lager. Dort fasst er Eisenstangen zu Bündeln zusammen und sorgt dafür, dass diese mit dem Kran verladen werden können – „Accrocheur“, so die offizielle Berufsbezeichnung. Das Material ist oft noch so warm, dass die Hitze sogar durch die Schuhe dringt. „Einmal hatte ich Pech: Ich hatte ein Bündel nicht gut zusammengebunden und die Stangen lösten sich.“ Er erleidet Verbrennungen am Bein, muss ins Krankenhaus und kann ein halbes Jahr lang nicht arbeiten.
Liebesbeginn in Esch
Seine große Liebe lernt Roger Ehleringer – schon fast wenig überraschend, könnte man sagen – auch im Süden des Landes kennen: bei einer Tanzveranstaltung mittags in Esch. „Ich hatte Maggy zuvor schon einmal gesehen und weil sie aus Luxemburg-Stadt kam, dachte ihre Freundin, ich würde an dem Wochenende in die Stadt kommen. Die Freundin mochte mich nicht und deshalb gingen sie absichtlich nach Esch. Aber ich war auch dort“, erinnert sich der Senior verschmitzt lächelnd. Sein Gedächtnis ist gut, nur selten müssen seine Söhne ihm während des Gesprächs auf die Sprünge helfen. Das Paar heiratet 1954.
Rund 37 Jahre seines Lebens verbringt der „Minettsdapp“ auf der Schmelz. Fotos aus dieser Zeit besitzt er nicht, denn das Aufnehmen von Bildern war bei der Arbeit verboten. Die insgesamt zwölf Kilometer zur Schmelz und wieder nach Hause fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad. „Weil er für den Bus zu geizig war“, witzeln die Söhne. Ihr Vater lässt offen, ob das zutrifft. Und erzählt stattdessen, dass er mit Bekannten gerne nebeneinander zur Arbeit geradelt ist. Doch: „Später wurde uns das zu gefährlich, denn der Verkehr wurde immer stärker.“
Auch die zu dem Zeitpunkt im Süden verkehrende Tram nutzt der Schmelzarbeiter. Später dann auch den Bus. „Das war weitaus komfortabler als die Bahn mit den hölzernen Bänken.“ Autofahren findet Roger Ehleringer anstrengend, den Führerschein macht er in seinem langen Leben nicht. Seine Frau aber besteht die Prüfung im Alter von etwa 40 Jahren. Er selbst sagt heute lachend: „Ich hatte keine Zeit dafür. Denn ich hatte nur meine Rätsel im Kopf.“ Und diesem Hobby geht der 95-Jährige, der sich seit 1984 im wohlverdienten Ruhestand befindet, immer noch gerne nach.
Verbundenheit zum Süden
Die Leidenschaft für das Knobeln ist – neben guten Genen – dann auch seine persönliche Erklärung dafür, warum er auch mit 95 immer noch so schnell im Kopf ist. „Ich war stets an allem interessiert. Ich schaue mir zum Beispiel lieber eine Wissenschaftssendung als einen Film im Fernsehen an. Außer mittwochs und samstagabends: Da schaue ich Wrestling“, sagt der wissbegierige Senior lachend. Durch das tägliche Zeitungslesen hält er sich nach wie vor auf dem Laufenden. Aus der Zeitung hat er auch ein Foto des Weltalls kopiert und es an eine Magnettafel in seinem Zimmer angebracht.
Oft bastelt er – etwas, was er schon immer gerne gemacht hat, wie seine beiden Söhne erklären. Als Geschenk gab es zum 95. Geburtstag deshalb eine Schneidmaschine. Gefeiert wurde im Seniorenheim mit der gesamten Familie. Und die soll dann auch der Grund für die gute Gesundheit des Vaters, Opas und Uropas sein. „Wir Kinder haben ihn jung gehalten“, meint Sohn Patrick und denkt dabei an seinen Bruder Jeannot sowie an Schwester Sanny, die Enkelkinder Claude und Jean-Marie sowie Urenkelin Amy. Die Vierjährige hat ihrem Uropa ein Bild gemalt – auch das hat er in seinem Zimmer aufgehängt.
Nur wenige Male in seinem Leben verlässt Roger Ehleringer für etwas längere Zeit den von ihm so geschätzten Süden. Um für die Arbeit nach Schlindermanderscheid zu gehen, später einmal für Ferien im Schwarzwald und ein anderes Mal an der belgischen Küste. Schön fand er die Urlaube und stellt doch rückblickend auf ein 95 Jahre langes Leben im Minett fest: „Wenn man es gewohnt ist, hier zu sein, ist man eben am liebsten an diesem Ort. Ich bin im Süden aufgewachsen und es ist mein Zuhause.“
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