Bettelverbot / Abgeordnete sorgen sich um Rechtsstaatlichkeit
Es war das erste Mal, dass die Oppositionsparteien – bis auf die ADR – geschlossen auftraten. „Und nicht das letzte Mal, wenn die Regierung weiter so wie jetzt drauf ist“, hieß es. Der Versuch von CSV und DP, das Bettelverbot durchzusetzen, wird nicht zuletzt als eine Missachtung von Rechtsstaat, Gewaltenteilung und demokratischen Institutionen gesehen.
„Die glorreichen Sieben“ verteidigen in dem gleichnamigen Western ein mexikanisches Dorf vor Gesetzesbrechern. Im aktuellen Fall der Debatte um das Bettelverbot waren es sieben luxemburgische Abgeordnete, die sich besorgt über die Umgehung von Gesetzen zeigten und deshalb vor die Öffentlichkeit traten. Taina Bofferding und Paulette Lenert (beide LSAP), Sam Tanson und Meris Sehovic („déi gréng“), Marc Baum und David Wagner („déi Lénk“) sowie Marc Goergen (Piratenpartei) – die Volksvertreter aus vier Parteien hatten zur Pressekonferenz eingeladen, nicht etwa so sehr, um sich über den konkreten Inhalt des Bettelverbots zu äußern. Es ging vielmehr „um die Art und Weise, wie die Debatte geführt wird“, erklärte Taina Bofferding. Oder besser gesagt, wie die Regierung und die Bürgermeisterin der Hauptstadt das Thema behandeln. Jedenfalls gelingt Armutsbekämpfung nicht, indem man das Betteln als eine der drastischsten Ausdrucksweisen von Armut aus dem Stadtbild verdrängt und unsichtbar macht.
„Die Regierung ist auf dem Holzweg“, so die LSAP-Fraktionschefin und als frühere Innenministerin Vorgängerin des aktuellen Amtsinhabers Léon Gloden (CSV). Betteln sei eben nicht strafbar, betonte sie einmal mehr. Ihr Nachfolger und die hauptstädtische Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) versuchten jedoch, den Code pénal umzuinterpretieren und sich über ihn hinwegzusetzen. Die Oppositionspolitikerin nahm dabei Bezug auf Äußerungen von Georges Oswald vom Bezirksgericht Luxemburg im Rahmen eines Radio-Interviews vergangene Woche.
Der Staatsanwalt hatte darauf hingewiesen, dass Betteln seit 2008 kein Straftatbestand mehr sei. Das Bettelverbot sei demnach abgeschafft worden. Mehrere Gerichtsurteile hatten die Aufhebung des Verbots bestätigt. Der entsprechende Artikel in der hauptstädtischen Polizeiverordnung müsse daher, weil er rechtswidrig sei, gestrichen werden. Oswald hatte zudem erwähnt, dass bei der Gesetzanpassung 2008 versehentlich ein Satz im Code pénal umgestellt worden sei, sodass der Text so interpretiert werden könne, dass neben dem aggressiven Betteln oder jenem in Banden auch das „einfache“ Betteln untersagt sei. Oswald sprach von einer „juristischen Unklarheit“, die zwar in den vergangenen 16 Jahren immer wieder diskutiert wurde, aber bis heute nicht nachgebessert worden sei.
Wo bleibt Luc Frieden?
Daran müsste sich die Politik halten. Schließlich hätten sowohl Gloden als auch Polfer und Justizministerin Elisabeth Margue einst Jura studiert. Statt aber die Gesetze zu respektieren, bewegten sich die Genannten nun „in eine Sackgasse“, betonte Bofferding. Damit würden Tür und Tor geöffnet für eine „gefährliche Entwicklung“, die das Misstrauen in die Politik und den Rechtsstaat verstärke und sogar dahin führen könne, „dass wir bald keinen Rechtsstaat mehr haben“. Bofferdings klare Antwort darauf: „Es reicht!“
Erstaunt zeigte sich die Ex-Ministerin nicht zuletzt über das Abtauchen von Premierminister Luc Frieden in der Diskussion: „Wo ist der Premier in der ganzen Geschichte?“ Er betreibe eine Vogelstraußpolitik, die jedoch nicht funktioniere. Dabei sehe er sich doch gerne als „Chef der Regierung, der gerne mit der Faust auf den Tisch haut“. Bofferding forderte, dass der frühere Justizminister Frieden endlich Stellung beziehe: Stehe der „neue Luc“ auch für ein neues Verständnis von Rechtsstaatlichkeit?
Hinter Bechern herlaufen
„Wir wollen nicht, dass der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird“, sagte Sam Tanson, ihres Zeichens unter anderem frühere Justizministerin. Auch die Grünen-Politikerin betonte: „Es gibt keine legale Basis für das Bettelverbot.“ Auch eine Bürgermeisterin müsse sich an die Gesetze halten. Wenn Angst geschürt werde vor einer durch das Betteln angeblich entstandenen Unsicherheit und sowohl Künstler als auch Medien angegriffen würden, dann fördere dies das Erstarken rechtsextremer Parteien, warnte Tanson. Dazu zitierte sie den US-Historiker Timothy Snyder, der angesichts der Gefahr, dass Donald Trump dieses Jahr wiedergewählt werden könnte, sagte: „Die Demokratie ist permanent in Gefahr. Institutionen sind nie stark genug. Es gibt keine Institutionen, die uns beschützen. Es gibt nur das, was wir täglich tun.“
Marc Goergen gab zu bedenken, dass trotz Personalmangels bei den Ordnungshütern Polizisten zur Umsetzung des Verbots rausgeschickt würden, „um Leuten hinterherzulaufen, die mit einem Becher dasitzen – als hätten die Polizisten nichts anderes zu tun“. Dazu meinte er: „Es werden also Beamte abgezogen, um eine Symbolpolitik umzusetzen (…) und eine rechte Ideologie“. Dies sei ein „bedenklicher Weg“, der hiermit eingeschlagen worden sei, so Goergen.
Derweil hielt Marc Baum es „für sehr außergewöhnlich“, dass noch nicht einmal „die hundert Tage Welpenschutz vorüber sind – und schon müssen vier Oppositionsparteien sich zusammensetzen und den Rechtsstaat verteidigen“. Dies wegen etwas, was weder in einem Wahlprogramm noch im Koalitionsabkommen stehe, so der Linken-Abgeordnete. Er wies darauf hin, dass die „mendicité simple“ nicht verboten sei. Minister und Bürgermeisterin setzten sich über die Gerichtsurteile hinweg und umgingen die Justiz. Die Rechte von Menschen, die sich in einer sozial extrem prekären Situation befinden und sich nicht wehren können, würden dabei mit Füßen getreten. Das alles ergebe ein „gefährliches Amalgam“.
Cowboy Orbán
Paulette Lenert warf ein, dass sowohl Gloden als auch Polfer davon ausgehen, das einfache Betteln sei im Strafgesetzbuch verankert, und fügte hinzu: „Wir haben keine Rechtssicherheit. Zwei Meinungen stehen im Raum.“ Selbst wenn die Regierung das Bettelverbot wieder ins Strafgesetzbuch aufnehmen wolle, würde es am Veto des Staatsrats scheitern, meinte Marc Baum. Weil das einfache Betteln aber nicht mehr im Strafgesetzbuch stehe, welches über den Polizeiverordnungen einer Gemeinde steht, kann auch niemand dafür bestraft werden. Nicht zuletzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass einfache Bettelei ein Menschenrecht ist. Der Grünen-Co-Parteichef Meris Sehovic meinte, bezogen auf die Bezeichnung der US-Zeitung Politico von Luc Frieden als „Orbán-Flüsterer“, er hoffe, dass Frieden nicht noch Viktor Orbáns Politik kopieren werde. Der ungarische Ministerpräsident hat sich als rechtskonservativer Politiker nicht gerade Meriten in Sachen Rechtsstaatlichkeit erworben. Dafür aber hat er für seinen Politikstil von Politico schon den Titel „Cowboy“ erhalten. Ein „Rechts-Staat“ liegt Orbán sicher näher als der Rechtsstaat. Das dürfte den „glorreichen Sieben“ zu denken geben.
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…die so anschaue kann ich mir vorstellen das einige dabei sind, denen die Bettler egal sind aber nich die Ihnen an der Nase vorbei gegangenen Minister Gehälter
Wir haben so viele Probleme und nun wird schon Wochen über dieses Problem geredet! Wann werden die wichtigen Probleme bearbeitet. Nun sieht man wieder, gerade sind die Wahlen vorbei und schon geht’s weiter mit dieser armseligen „Sloppy Work“.
Wenn in einer Demokratie die Regierung das Gesetz nicht respektiert ist das sehr wohl das grösste Problem das wir haben.
@ cniggel : Daat ass alles wat d’Sozien faerdeg brengen !
Vun deenen aaneren wichtegen Sachen verstinn se Naischt !
Da froot emol d’Bierger waat Sie iwert den Heescheproblem, d’Migratio’un an aaner Problemer denken, an dann sollen d’Politiker dono handelen !!
@Nomi
Luxemburg ist eine Demokratie mit Gesetzen an die sich auch eine Regierung Frieden halten muss. Da darf man sich als Opposition schon Gedanken machen, zumal die damalige Innenministerin dem Anliegen nach einem Bettelverbot nicht nachgekommen ist. Zudem hat der Europäische Gerichtshof 2021 bestätigt, dass betteln ein Menschenrecht sei.
Es ist das soziale Gewissen, welches schmerzlich fehlt.
@Nomi / Et sin vill Leit déi nët esou denken wéi d’Nomi.
Hun schon mat etlechen Migranten ze din gehaat, z.B. aus dem fréiheren Balkan z.B. déi séch schnell hei integréiert hun an muench echt Lëtzebuerger an hirer Mentalitéit an de Schied stellen an wëssen wat Diskriminéierung am Fong ass.
Wat sin Är Problemer dann, mat den Migranten?
Werden Obdachlose vom Staat eigentlich finanziell unterstützt oder sind sie so etwas wie Selbständige klassiert? Dann wäre es nachvollziehbar, dass man gegen eine zeitlich begrenzte Einkommensbeschaffung ist…