Versorgungsengpässe / Abnehmen auf Kosten von Diabetikern: Das schmutzige Geschäft um die „Wunderspritze“ Ozempic
Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Abnehmen ohne nervige Diäten oder ein rigoroses Fitnessprogramm. Ozempic macht es möglich – allerdings nicht ohne Folgen für Typ-2-Diabetiker, für die das Medikament eigentlich gedacht ist. Der Missbrauch der „Wunderspritze“ führt europaweit zu Problemen.
Diabetiker, die ohnehin schon von ihrer Krankheit gebeutelt sind, durchleben derzeit schwierige Zeiten – nicht nur in Luxemburg. Seit Ende 2022 herrscht nämlich europaweit ein Engpass des Diabetesmedikaments Ozempic, wie das Gesundheitsministerium dem Tageblatt bestätigte. Die angespannte Versorgungslage sei auf die gestiegene Nachfrage des Arzneimittels der therapeutischen Klasse (injizierbare Agonisten der Peptid-Glukagon-Rezeptoren vom Typ GLP 1) zurückzuführen und die Hersteller hätten große Probleme, ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen. Die Nachfrage sei jedoch nicht nur wegen der zunehmenden Verwendung bei Typ-2-Diabetes derart gestiegen, sondern auch wegen des vermehrten Missbrauchs des Arzneimittels.
In den sozialen Medien wird der Stoff als Wundermittel zum Abnehmen angepriesen. Grob zusammengefasst führt das Medikament zu einer Verringerung des Appetits und einem erhöhten Sättigungsgefühl. Allerdings ist Ozempic rezeptpflichtig. Wie also kriegen es all die Menschen, die es zum Abnehmen missbrauchen, überhaupt in die Finger? Ein Dokumentarfilm des Youtube-Kanals STRG_F legt offen, dass in Deutschland manche Ärzte das Medikament – wohl wissend, dass viele Diabetiker auf die Spritze angewiesen sind und es Versorgungsengpässe gibt – dennoch für Abwehrzwecke verschreiben und so die dafür anfallenden Behandlungskosten einstecken. Darüber hinaus soll es sogar einen Schwarzmarkt für gefälschte Rezepte und illegal im Netz erhältliches Ozempic geben.
„Nicht die Rolle des Apothekers“
Aber zurück nach Luxemburg: Nun stellt sich natürlich die Frage, ob auch hierzulande solche zwielichtigen Geschäfte mit der „Abnehmspritze“ getrieben werden? Das scheinen jedoch die entsprechenden Ansprechpartner nicht zu wissen oder nicht wissen zu wollen: „Es ist unmöglich zu wissen, ob und vor allem wie viele luxemburgische Ärzte an der Abzweigung des Produkts zu Schlankheitszwecken beteiligt wären“, meint das Gesundheitsministerium. Allerdings seien derzeit weder dem Gesundheitsministerium noch der Luxemburger Apothekervereinigung SPL solche Fälle bekannt, heißt es wiederum auf Nachfrage des Tageblatt. Das SPL betont zudem, dass zwar jeder Patient ein Rezept brauche, es aber „nicht Rolle des Apothekers sei, die ärztliche Verschreibung infrage zu stellen“.
Doch wenn Apotheker nicht (gezielt) auf die Authentizität von Rezepten für verschreibungspflichtige Medikamente achten, wer dann? Diese Rolle übernimmt die Gesundheitskasse, wie eine Pressesprecherin der CNS dem Tageblatt mitteilte. Die Gesundheitskasse würde regelmäßig Kontrollen ärztlicher Verordnungen durchführen – in Form von Stichproben, aber auch Kontrollen bestimmter Dienste. Um welche Dienste es sich dabei genau handelt, verriet sie jedoch nicht.
Demnach hat die CNS in der Vergangenheit bereits Fälle von Missbrauch oder Betrug feststellen können, heißt es. „Auch Fälle von gefälschten Rezepten werden der CNS gemeldet, insbesondere von Apotheken bei gefälschten ärztlichen Rezepten“, meinte die Pressesprecherin der Gesundheitskasse. Also scheinen die Apotheker in dem Kontrollprozess doch nicht ganz unbeteiligt zu sein. Ob sich darunter auch Fälschungen für Ozempic befanden, wurde trotz Nachfrage nicht eindeutig beantwortet.
Ein tiefgreifendes Problem
Das Problem um die Diabetesspritze reicht allerdings noch tiefer: Nicht nur die Rezepte werden gefälscht, sondern auch die Medikation an sich, wie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) auf ihrer Website mitteilt. Diese sei vorwiegend in deutschsprachigen Verpackungen vertrieben worden, die ohne besondere Genehmigung aus einem Drittland von Händlern eingeführt wurde. Auf luxemburgischem Staatsboden sei bisher allerdings noch keine Ozempic-Fälschung gefunden worden, teilt das Gesundheitsministerium mit. Das Medikament werde hierzulande in einer belgischen Originalverpackung verkauft. Dennoch habe das Ministerium Apotheker und Großhändler aufgefordert, wachsam zu bleiben.
Um künftigen Missbrauch zu verhindern, gibt die SPL den Ball an das Gesundheitsministerium weiter. Dieses verweist wiederum auf zwei Rundschreiben vom 18. Oktober 2022 und 7. November 2023 hin, in denen es Ärzte und Apotheker aufgefordert habe, Ozempic ausschließlich für Patienten mit Typ-2-Diabetes zu reservieren. Das Ministerium gibt zudem an, dass das Medikament nur von der CNS erstattet wird, „wenn es verschrieben, abgegeben und entsprechend seiner Indikation angewendet wird“.
„Der Arzt, der das Rezept ausstellt, muss nun auf dem Rezept den Umfang der Verwendung gemäß den im Rahmen der Marktzulassung genehmigten Indikationen angeben“, heiß es weiter. Das Gesundheitsministerium schließe allerdings nicht aus, dass es Ärzte gebe, die Rezepte ausstellen, die nicht den offiziellen Empfehlungen entsprechen. Dem Ministerium seien jedoch keine derartigen Fälle bekannt.
Darüber hinaus ist die Einnahme von Ozempic – wie bei anderen Medikamenten auch – nicht risikofrei. Zu den häufigsten Nebenwirkungen, die mehr als eine von zehn Personen betreffen können, zählen Durchfall, Erbrechen und Übelkeit.
„Nachschub teilweise schwierig“
Das SPL meint, dass die Kunden bisher Verständnis gezeigt hätten, wenn ihr Arzneimittel nicht mehr vorrätig war, da die Situation in ganz Europa die gleiche ist. Sämtliche Beschwerden würden an die Gesundheitsbehörden weitergeleitet. Wann die Apotheken mit Nachschub rechnen dürften, wisse das SPL nicht. Es gebe zwar Alternativen, aber auch für diese sei „der Nachschub teilweise schwierig“.
Belgien und Großbritannien haben die Verwendung von Ozempic zur Gewichtsabnahme inzwischen vorübergehend verboten. Aufgrund der Engpässe erwägt die deutsche Aufsichtsbehörde Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Ausfuhr von Ozempic zu verbieten. Sogar die Einführung von Wegovy, einer hochdosierten Version von Ozempic, die tatsächlich auch als Abnehmspritze entwickelt wurde, konnte die Ozempic-Engpässe in Deutschland, Großbritannien, Norwegen und Dänemark nicht verhindern. Denn auch für Wegovy waren die Mengen aufgrund von Produktionsengpässen begrenzt, schreibt Reuters.
Die WHO hat im April 2021 den Globalen Diabetes-Pakt ins Leben gerufen, womit sie versuchen will, den Zugang zu Diabetes-Medikamenten, einschließlich Insulin und SGLT2-Inhibitoren, zu vereinfachen – besonders für Menschen aus benachteiligten Gesellschaftsschichten und Regionen. Die Versorgung sei zunehmend gefährdet. Demnach stehe dieses Thema auch im Mittelpunkt der Gespräche mit den Herstellern von Diabetes-Medikamenten und Gesundheitstechnologien, meint das Gesundheitsministerium.
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Das Medikament ist zur Behandlung von Diabetes gedacht, nicht zur Gewichtsabnahme von Menschen, welche ihre Ernährung nicht im Griff haben und ohne Vernunft und Verzicht abnehmen wollen.
Ist doch krank, wenn sich Essgestörte mit ihren Kilos vordrängen und Diabetikern ihr Medikament „stehlen“.