EU-Parlament / Abrechnung mit Viktor Orban: Heftige Debatte mit dem ungarischen Premierminister
Nachdem bereits die Hälfte der Zeit der ungarischen Ratspräsidentschaft um ist, hat Ungarns Regierungschef Viktor Orban am Mittwoch dem EU-Parlament in Straßburg endlich die Prioritäten seines Vorsitzes präsentiert. Dass die Debatte hitzig verlaufen würde, kündigte sich bereits am Vortag an.
Dabei ging Orban seine Präsentation sehr sachlich an, versuchte keine Angriffsflächen zu bieten und hielt eine nicht untypische EU-Rede. „Schwierige Aufgaben“ gebe es zu bewältigen, es tobten „ernsthafte Konflikte“, Europa stehe vor „Weichenstellungen“. Bezugnehmend auf jüngst veröffentlichte Berichte zur Wettbewerbsfähigkeit der EU und einer Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mahnte Orban einen Wandel an. „Der ungarische Ratsvorsitz ist ein ehrlicher Makler und sucht die konstruktive Zusammenarbeit mit allen Institutionen“, empfahl der Ungar seine Dienste. Doch er hielt auch nicht mit seinen Ansichten bei strittigen Themen hinter dem Berg. Die Abkoppelung von russischer Energie habe das Wachstum in Europa bedroht, es sei eine „Illusion“, die grüne Transformation als die Lösung des Problems anzusehen. „Illegale Migration“ sei nur mit „externen Hotspots“, also Auffanglagern von Migranten in Drittstaaten, zu bekämpfen und die europäische Asylpolitik würde ohnehin nicht funktionieren, meinte der ungarische Regierungschef weiter. Dabei wurde das vor weniger als einem Jahr verabschiedete umstrittene Migrations- und Asylgesetzespaket noch nicht einmal vollständig von den EU-Staaten umgesetzt. Und Orban schloss mit dem an Trump angelehnten Slogan: „Lassen Sie uns Europa erneut groß machen.“
Tosender Applaus rechts-außen im Saal, wo Orbans Fraktion der „Patrioten für Europa“ sitzt, die Linke stimmte das antifaschistische Lied „Bella ciao“ an und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trat ans Rednerpult. Was dann folgte, darüber ärgerte sich Orban im Anschluss ausführlich und war in weiten Teilen eine Abrechnung mit Orbans Politik und seiner Haltung zur EU.
Wir sprechen verschiedene Sprachen. In keiner europäischen Sprache jedoch ist Frieden gleichbedeutend mit Kapitulation.EU-Kommissionspräsidentin
Die „drängendste Frage“ für die EU sei der Ukraine-Krieg, eröffnete die Kommissionschefin. Den hatte Viktor Orban mit keinem Wort erwähnt. Den Ungarn im Blick, sagte Ursula von Leyen: „Und doch gibt es immer noch einige, die diesen Krieg nicht dem Aggressor anlasten, sondern den Angegriffenen. Sie sehen die Ursache nicht in Putins Machtgier, sondern in der Sehnsucht der Ukraine nach Freiheit. Diese Menschen würde ich gern fragen: Würden sie jemals den Ungarinnen und Ungarn die sowjetische Invasion von 1956 vorwerfen?“
Und so ging es weiter, Schlag auf Schlag. „Wir sprechen verschiedene Sprachen. In keiner europäischen Sprache jedoch ist Frieden gleichbedeutend mit Kapitulation“, fuhr die Kommissionspräsidentin fort und kam zum Thema Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen, das in den kommenden Monaten die EU-Staaten beschäftigen wird. Was von der Leyen dazu sagte, darauf blieb Orban eine Antwort schuldig. „Wie kann eine Regierung mehr europäische Investitionen anziehen, wenn sie gleichzeitig europäische Unternehmen diskriminiert, indem sie sie stärker besteuert als andere? Wie kann sie mehr Unternehmen anlocken, wenn sie über Nacht Exportbeschränkungen verhängt? Wie sollen europäische Unternehmen Vertrauen haben, wenn eine Regierung sie willkürlich kontrolliert, ihre Genehmigungen blockiert und wenn öffentliche Aufträge immer wieder an eine kleine Gruppe von Begünstigten gehen?“, sagte die Kommissionspräsidentin und sprach damit nicht nur die im Land grassierende Korruption an, sondern auch die Probleme, mit denen vor allem deutsche und österreichische Unternehmen in Ungarn konfrontiert sind.
Dank Luc Frieden doch nicht völlig isoliert
Schließlich nahm sich von der Leyen Orbans Umgang mit der Migrationspolitik an und fragte, wie es sein könne, „dass Ihre Behörden letztes Jahr verurteilte Schleuser und Menschenhändler auf freien Fuß gesetzt haben, ehe sie ihre Strafe abgesessen hatten“. Spätere Redner gaben an, dass an die 2.000 Menschenschmuggler in Ungarn freigelassen wurden. „Bekämpfung der illegalen Migration in Europa sieht anders aus“, warf die Kommissionschefin dem Ungarn vor.
In der anschließenden Debatte gingen nicht alle mit dem ungarischen Regierungschef derart hart ins Gericht. Im Gegenteil. Es zeigte sich ein gespaltenes Parlament, wobei der Riss rechts der EVP verortet werden kann. Doch die Kritiker waren in der Mehrheit, allen voran der EVP-Fraktionschef Manfred Weber, den Orban als „Ungarnhasser“ bezeichnete. Zuvor attestierte Weber seinem ehemaligen Parteikollegen, sich in der EU völlig isoliert zu haben. Beim ersten ungarischen Ratsvorsitz 2011 habe Ungarn „im Zentrum Europas gestanden“. Heute aber wolle niemand mehr Orban sehen, niemand komme nach Budapest, meinte Manfred Weber. Womit er sich jedoch irrte. Denn Webers Parteikollege, der luxemburgische Premierminister Luc Frieden, hielt es für angebracht, dem ansonsten von allen Geschmähten im September in Budapest seine Aufwartung zu machen.
Und Orban musste sich Weiteres anhören. „Das Einzige, was sie von Europa nicht zurückweisen, sind die Schecks“, hielt ihm die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion Valérie Hayer entgegen. „Sie sind hier nicht willkommen“, sagte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion Terry Reintke und meinte: „Orban ist der Anführer der korruptesten Regierung in der Europäischen Union.“ Der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, wiederum meinte: „Es war ein großer Fehler, Ihnen die Ratspräsidentschaft anzuvertrauen.“ Er warf dem ungarischen Regierungschef vor, Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte in Ungarn anzugreifen.
Eine „Art Intifada“ und „linke Lügen“
Viel Lob und Anerkennung erhielt Viktor Orban ausschließlich von den rechtspopulistischen und rechtsextremen Fraktionen. Manche entschuldigten sich, wie der österreichische FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky, für die „Flegeleien“, mit denen der Ungar im Plenum bedacht werde. Andere wie der luxemburgische ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser verteidigten und unterstützten Orban auch inhaltlich. Er erkenne den Mut an, den der Ungar gezeigt habe, als er sich um Friedensverhandlungen im „Ukraine-Konflikt“ bemüht habe, so der ADR-Politiker. Orbans Reise zum russischen Machthaber Wladimir Putin zu Beginn des ungarischen EU-Ratsvorsitzes wurde allerdings allseits heftigst kritisiert. Selbst in den Reihen von Kartheisers EKR-Fraktion.
„Es ist eine Art Intifada, die hier organisiert wird“, erboste sich Viktor Orban, sprach von „linken Lügen“ und „politischer Propaganda“, die gegen ihn aufgefahren werde. Von der Kommission als Hüterin der Verträge verlangte er Neutralität. Sie habe sich aber mit der Rede von der Leyens als „politische Waffe“ gezeigt, mit der „die Patrioten in Europa und ihre Parteien angegriffen werden“, so der Ungar. Die Diskussion habe gezeigt, dass „Europa vor den Linken geschützt“ werden müsse.
Die Rolle der EU-Ratspräsidentschaft sei es, Einheit zu schaffen, meinte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, zum Abschluss der Debatte, gestand aber ein, dass es die „politisch brisanteste Debatte“ gewesen sei, der er im EP beigewohnt habe.
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