/ Abschlussschüler setzen sich für Aufklärung über Homosexualität in Schulen ein
In der Pubertät beschäftigen wir uns in der Regel erstmals intensiv mit der eigenen Sexualität. In dieser Zeit wird manchen von uns bewusst, dass sie anders fühlen, als die Gesellschaft es oftmals von ihnen verlangt. Der Ort, an dem wir uns in dem Alter am häufigsten aufhalten, ist die Schule – das Umfeld dort und dessen Einstellung zur Homosexualität spielen eine Schlüsselrolle, und das sowohl für die Person, die sich outet, als auch für den Menschen, dem sie sich anvertraut.
„Wer von euch erinnert sich daran, im Schulunterricht über Homosexualität aufgeklärt worden zu sein?“, fragt Sofia (18) die Schüler der 4e-Klasse, die auf den ausklappbaren Stühlen des Multimediasaales im Lallinger Lycée Platz genommen haben. Keiner hebt die Hand. Sofia und ihre vier Mitschüler Rayan (18), Andrea (20), Vera (18) und Stéphane (21) besuchen eine Abschlussklasse ebenjenes Lyzeums. Sie sind der Meinung, dass Schulen in Luxemburg ihre Verantwortung nicht ernst genug nehmen.
Sofia war selbst 14 und in der 4e, als sie sich geoutet hat: „Die meisten haben ihr Coming-out im Alter zwischen 14 und 16. Dort wollten wir ansetzen.“ Die Fünfergruppe beschließt also, selbst etwas dafür zu tun, dass das Thema Homosexualität offener und häufiger angesprochen wird. „Wir mussten ein Abschlussprojekt auf die Beine stellen, wollten aber etwas tun, das uns wirklich interessiert und womit wir etwas bewirken können“, erzählt Rayan. Sie beschließen, ein Video zu drehen, um ihre Message zu verbreiten und so viele Menschen wie möglich zu erreichen – bisher mit beachtlichem Erfolg: Der 18-minütige Kurzfilm „H.E.R.O. – A message to you“ wurde auf YouTube bereits über 4.500 Mal angeklickt. H.E.R.O. steht für „Helping to Educate in Regard of Orientation“.
Zusätzlich ließen die Abschlussschüler Fragebögen zum Thema in den 4e-Klassen ihres Lyzeums ausfüllen. Die befragten Schüler luden sie vergangene Woche zur Präsentation ihres Videos ein – und klärten allem voran erst einmal über gängige und weniger gängige Begriffe wie Homo-, Bi-, Trans- oder Pansexualität auf. Anschließend konnten die eingeladenen Schüler der Gruppe ihre Fragen stellen. Auch Blogger Yannick Schumacher, der im Video von seinen Erfahrungen erzählt, und Barbara Loverre, Sozialpädagogin beim Cigale, standen den neugierigen Anwesenden Rede und Antwort.
Das Wort „Angst“
Im Video erzählen abwechselnd Betroffene und deren Vertrauenspersonen von ihren Erlebnissen. Als die Abschlussschüler den Kurzfilm vorspielen, geht bei Minute 2:36 ein Raunen durch den Multimediasaal der Lallinger Schule. Auf dem Bildschirm zu sehen ist Premierminister Xavier Bettel, der ganz offen über Selbstakzeptanz, sein Coming-out und seine Erfahrungen mit Homophobie spricht. „Ich habe mir gesagt, dass ich nur ein Leben habe und es sich nicht lohnt, mich zu verstecken. Es gibt aber auch heute noch viele junge Menschen, die sich das Leben nehmen, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen – und das ist dramatisch“, gibt Bettel zu denken.
Erschreckend ist jedenfalls, wie oft das Wort „Angst“ in dem Video vorkommt. Alle Betroffenen beschreiben die Angst, die sie hatten, ihrem Umfeld von ihrer sexuellen Orientierung zu erzählen. „Es kann genauso gut sein, dass derjenige, dem du es erzählst, danach nie wieder mit dir spricht“, sagt Yannick Schumacher in die Kamera. „Als es raus war, habe ich erst richtig angefangen, zu leben“, beschreibt Sofia die Erleichterung, die sie nach ihrem Coming-out verspürt hat. Ihre Interviewpartner haben die fünf Abschlussschüler auf unterschiedliche Weise gefunden. Einige sind Bekannte, die auf Anfrage sofort zugesagt haben. Yannick Schumacher und Clay Retter kennt Andrea durch die sozialen Medien. „Ich habe die beiden angeschrieben. Sie fanden die Idee toll und waren auf Anhieb dabei“, berichtet die 20-Jährige.
Xavier Bettel im Interview
Xavier Bettel mit ins Boot zu holen, war anfangs „nur so eine Idee, die uns aber nicht realistisch schien“, so die Schüler. Sie erzählten Roby Antony, dem Präsidenten des schwul-lesbischen Informationszentrums Cigale, das das Projekt unterstützt, von ihrer Idee mit dem Premierminister. Dieser reagierte optimistisch: „Wir können ja mal schauen“, sagte er – und teilte den Schülern ein paar Tage später mit, dass Xavier Bettel bereit sei, sich für das Projekt interviewen zu lassen. Ein zusätzlicher Ansporn für die Gruppe, ihren Film so professionell wie möglich zu gestalten.
Ein Professor bringt die Fünf in Kontakt mit dem „Uelzechtkanal“. Dadurch ist eine Zusammenarbeit entstanden: „Sie haben angeboten, unser Video zu schneiden; zudem drehen sie eine Reportage über uns und unser Projekt“, erklärt Rayan. Entstanden ist ein sehr emotionales, aufschlussreiches Video, das jedem einen Einblick in die Gefühlswelt jener Menschen gibt, die sich nicht zugehörig fühlen.
„Homophobie ist, genau wie es Xavier Bettel in dem Video gesagt hat, immer noch ein Problem“, so Rayan. „Es gibt auch 2019 noch Menschen, die mich dumm ansehen, wenn sie mich mit einem anderen Mädchen sehen. Die Gesellschaft ist noch nicht so offen, wie sie es eigentlich sein sollte“, ergänzt Sofia. Das zu ändern, ist die Mission der fünf Abschlussschüler – die zahlreichen Kommentare auf YouTube und Facebook, in denen sich Menschen bei ihnen bedanken, zeigen, wie wichtig das Projekt auch heute noch ist.
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