Aus unserem Archiv / „Abuelo“ Fausti wird 80: „Die Menschen nehmen einen irgendwann nicht mehr ernst“
Faustino Cima wird am heutigen Freitag 80 Jahre alt. Sich selbst nennt er liebevoll „Abuelo“ Fausti. Im Tageblatt-Interview hat er im vergangenen Sommer zugegeben, dass er kein Italienisch, stattdessen aber Spanisch spricht. Er erzählte von Groupies, die früher nackt vor seinem Wagen auf ihn gewartet haben, und offenbarte, dass er sich nicht vorstellen kann, im Altersheim zu leben. Wie oft er während des Gesprächs angefangen hat zu singen, konnte leider nicht mitgezählt werden.
Tageblatt: Fausti, schmerzt Ihr Knie noch?
Faustino Cima: Manchmal noch ein bisschen. Ich habe ein wenig Probleme beim Treppensteigen. Aber ich denke nicht dauernd an mein Knie. (beginnt zu singen) „Mäi Knéi deet mir sou wéi, en deet vill mi wéi, mi wéi wi däääin.“
Leider mussten Sie in den letzten Jahren ein paar Rückschläge erleben. Nicht nur gesundheitliche.
Am 1. September 2017 habe ich mitten in der Nacht einen Herzinfarkt erlitten. Meine Frau Alice war zu der Zeit bereits sehr krank. Einen Monat später ist sie gestorben. Das war für mich ein schwerer Schlag. Alice hat mich immer verwöhnt und sich um sämtliche administrativen Dinge gekümmert. Das ist überhaupt nicht meine Welt. Nachdem sie nicht mehr da war, habe ich gewaltige Probleme gehabt, das alles zu lernen.
Macht es die Digitalisierung unserer Gesellschaft noch schwerer?
Ja, schon. Ich musste zur Bank, damit sie mir zeigen, wie Web-Banking funktioniert. Das war am Anfang gar nicht so einfach. Ich tue mich sehr schwer mit allem, was Computer ist. Ich kenne viele Menschen, denen es so geht.
Aber das Internet hat auch seine guten Seiten …
Auf jeden Fall. Zuhause habe ich Youtube und da schaue ich mir manchmal Messi an. Der schießt unglaubliche Tore.
Ich wusste gar nicht, dass Sie Fußball-Fan sind.
Bin ich eigentlich auch nicht. Ich schaue mir nur gerne das Beste an: die Tore. Und auf Youtube hat jemand nur die Tore von Messi zusammengeschnitten. Das macht mir richtig Freude, diesem Talent zuzusehen.
Wie haben Sie Ihre Frau Alice kennengelernt?
Das war in Bad Mondorf auf einer Veranstaltung, bei der Künstler aufgetreten sind, vielleicht war es die Loterie Nationale. Dort war ich im Orchester engagiert, um Akkordeon zu spielen – oder „Brëttelspiano“, wie ich es nenne. Genau vor mir, zwischen den Menschen, saß ein wunderschönes Mädchen. Ich war damals 15 und Alice war drei Jahre älter. Ich dachte mir: Dieses Mädchen musst du kriegen. Und ich habe sie gekriegt. Dafür musste ich kämpfen wie ein Verrückter. Ich habe sie oft eingeladen und ihr immer die Tür aufgehalten – wie ein echter Gentleman. Langsam hat sich die Liebe entwickelt und dann haben wir geheiratet.
Und Sie haben zwei Kinder bekommen?
Genau, zwei Jungs. Faustino und Daniel, genannt Titi und Butz. Sie liegen nur 16 Monate auseinander. Beides gute Jungs, die sogar schon ohne Einkaufszettel einkaufen gehen. Titi ist Lokführer. Er arbeitet bei meiner Firma: „Cima Fausti Lëtzebuerg“. (lacht) Meine Jungs sind, wie ich, zwei lustige. Ich bin richtig froh, dass ich diese Welt verlassen kann im Wissen, dass meine Kinder klarkommen.
Ihr ältester Sohn heißt Faustino, genau wie sein Vater und sein Großvater. Was hat es damit auf sich?
Das war eine Tradition bei uns in der Familie. Mein Vater hat leider nicht mehr erlebt, dass meine Frau einen Sohn geboren hat. Aus Respekt für ihn hat meine Frau unseren ältesten Sohn Faustino genannt. Der mag das aber gar nicht. Deshalb haben wir ihn Titi genannt. Mein Vater wurde Fausto genannt und ich Fausti, damit wir nicht beide angerannt kamen, wenn meine Mutter einen von uns gerufen hat.
Sie haben auch Kindergeschichten eingesprochen. Haben Sie Titi und Butz ebenfalls Geschichten erzählt, als sie noch klein waren?
Ich war eigentlich immer viel unterwegs und hatte leider wenig Zeit. Ich bin acht Jahre durch Deutschland gefahren, um Geld für meine Familie zu verdienen. Als Musiker ist das nicht immer selbstverständlich, es ist ein finanziell sehr unsicherer Beruf. Deshalb habe ich jedes Engagement angenommen. Aber wenn ich zuhause war, haben wir viel Schabernack getrieben. Beim Erbsen-Essen habe ich eine nach der anderen ausgespuckt (zieht eine Grimasse und spuckt imaginäre Erbsen aus). Dann konnten sie nicht mehr vor Lachen.
Haben Sie Enkel?
Ja, ich bin der Opi von Melanie. Ein ganz süßes Kind. Sie fängt gerade an zu tanzen. Titi spricht Luxemburgisch mit ihr, ihre Mutter Thailändisch.
Ihr Vater war Italiener. Hat er Italienisch mit Ihnen und Ihren sechs Geschwistern gesprochen?
Leider nicht. Die paar Worte Italienisch, die ich kann, habe ich aus Liedern gelernt. Mein Großvater war 1896 einer der ersten Italiener, die nach Luxemburg gekommen sind. Mein Vater kam hier zur Welt, war ein „Diddelenger Jong“ und hat immer schon Luxemburgisch geredet. Er hat immer gesagt: „Wir reden hier kein Italienisch, wir reden Luxemburgisch. Ich kann euch ernähren, weil ich hier in Luxemburg mein Geld verdiene.“ Er war ein vehementer Verteidiger der luxemburgischen Sprache – obwohl er nicht immer richtig gesprochen hat. Meine Mutter musste ihn häufig korrigieren.
Spanisch können Sie besser …
Dabei habe ich es nie gelernt. Darin bin ich sehr gewitzt. Ich habe damals im Kabarett viele spanische Lieder gesungen und ich hatte von Beginn an eine Liebe für die Phonetik dieser Sprache. Die habe ich mir dann aufgeschrieben, damit alles, was ich singe, auch richtig ist. Mit meinen Notizen habe ich Spaziergänge gemacht, auf denen ich geübt habe (singt ein spanisches Lied nach dem anderen).
Das mit der Phonetik hat auch noch mit anderen Sprachen geklappt.
Ich bin einmal im rumänischen Fernsehen aufgetreten. Dort habe ich ein rumänisches Lied gesungen (singt wieder das Lied). „Tu n’est pas belle quand tu pleures“ heißt das. Immer, wenn ich einem Rumänen das vorsinge, freut er sich sehr.
Wurden Sie in Ihrem Leben mit Rassismus konfrontiert?
Als ich klein war – ich bin zwar heute noch klein. (lacht) Aber damals in der Schule wusste sogar der Lehrer, dass ich es nicht leiden konnte, wenn die anderen mich „Italiener“ genannt haben. Dabei hätte ich eigentlich stolz darauf sein müssen.
Was hat Geld in Ihrem Leben für eine Rolle gespielt?
Ich hatte eigentlich Glück. Neben dem Geld, das ich für meine Auftritte verlangt habe, habe ich meistens noch ein Trinkgeld bekommen. Das habe ich mir immer zur Seite gelegt. Es war toll, dass ich durch meine Akkordeon-Auftritte auf der Kirmes mit 13 schon helfen konnte, die Haushaltskasse aufzubessern. Montags hat meine Mutter mich immer dafür belohnt. Sie hat mir dann 50 Franken gegeben. Ich habe mir davon eine ganze Kiste „Crème-Kichelcher“ gekauft und alle auf einmal gegessen – danach war mir speiübel. Das war jeden Montag so (lacht herzhaft).
Was hätten Sie getan, wenn Geld nie eine Rolle gespielt hätte?
Ich hätte das Geld zur Bank gebracht und ich hätte vielleicht mal eine Schiffsreise als Kunde gemacht. Ich war ja 23 Jahre auf der „Päischtcroisière“ dabei, um Musik zu machen. Ich hätte die Dinge gemacht, die ältere Menschen sich gönnen. Und ich wollte schon immer einmal nach Kuba.
Sie sind an einem Ort geboren, den eigentlich alle Luxemburger kennen.
Ich bin in dem Haus im Grund geboren, in dem sich heute das englische Pub „Scott’s“ befindet. Deshalb bin ich Mitglied in der „Amicale di aal Grënnesch“. Als das Haus zu klein wurde, weil wir zu viele Kinder waren, sind wir umgezogen in die heutige „Maison de la presse“. Dort hatten wir natürlich royale Nachbarn, für die ich später auch immer wieder spielen durfte.
Wie kommt denn ein „Stater Bouf“ nach Redingen an der Attert?
Meine Frau stammte von dort, deshalb sind wir dahingezogen. Dort wohne ich bis heute.
Hatten Sie Groupies?
Ich hatte mein Auto immer bis obenhin voll mit Instrumenten. Da hat außer mir niemand mehr reingepasst. (lacht) Aber es stimmt, wer als Musiker erfolgreich ist, ist dem ausgesetzt. Irgendwo in der Ecke sitzt dann vielleicht ein Mädchen, das dich haben will und alles Erdenkliche dafür tut. Das ist eine große Versuchung und es ist sehr schwer, immer Nein zu sagen. Das ist ein schwarzer Punkt im Leben. Du hast eine Familie und Kinder und das wird zu einem riesigen Drama. Wenn dann nach dem Auftritt vor dem Wagen ein Mädchen steht, nur noch mit Ohrringen bekleidet, um keinen Schnupfen zu bekommen, dann braucht es einen sehr starken Willen.
Gab es eine Abwimmelungstaktik?
Ich habe mich in mein Auto gesetzt und Vollgas gegeben. (lacht) Am anderen Tag saß sie wieder da. (Fausti bittet die Journalistin, seine Kekse zu essen.)
Was ist eigentlich Faustis Lieblingsessen?
„Eng gutt Spaghetti“. Das darf ich aber nur sehr selten essen, die haben sehr viele Kalorien. Ich bin derzeit auf meinem Idealgewicht.
Sie achten sehr auf Ihre Gesundheit. War das schon immer so?
Nein, das kam mit dem Alter. Aber ich weiß sehr gut Bescheid über Vitamin D3 und K2. Das eine kann ohne das andere nicht aufgenommen werden. Darüber habe ich zwei Bücher gelesen. Deshalb esse ich sehr viel Gouda, darin ist K2 enthalten. Am Sonntag fliege ich nach Teneriffa in mein Ferienhaus, um meinen Vitamin-D-Speicher aufzufüllen. Ein Ticket für den Rückflug habe ich noch nicht.
Müssen wir Angst haben, dass Sie nicht mehr zurückkommen?
Nein, ich vermisse mein Zuhause nach einer Zeit immer zu sehr. Und mein Zuhause ist hier in Luxemburg.
Sie waren ein Leben lang von vielen Menschen umgeben. Stört es Sie, alleine zu sein?
Jeder Mensch ist manchmal gerne allein. Bei mir ist das meistens mit Dingen verbunden, die ich noch regeln muss. Seit meine Frau gestorben ist, lebe ich ein bisschen im Chaos. Aber so langsam kriege ich das in den Griff, ich bin über den Berg. Ich fange auch an, Dinge zuhause zu verändern.
Haben Sie die Texte Ihrer Lieder und Kindergeschichten eigentlich selbst geschrieben?
Nein, die hat Jang Linster geschrieben. Er hatte die Ideen und ich habe meinen Senf dazugegeben.
Ist Ihnen bewusst, dass Sie unglaublich viele Menschen geprägt haben? Großeltern und Eltern mit der Musik und Kinder mit den Geschichten.
Wenn man so darüber nachdenkt, stimmt das eigentlich. Heute noch kommen viele junge Menschen zu mir und sagen mir, dass sie das lange, komplizierte Wort aus „de Gakapei“ vom „Kréckelnéckel“ noch kennen. Männer, die heute Kinder haben. Die sagen mir dann, dass ich sie geprägt habe. Dabei kriege ich dieses Fantasiewort heute selbst nicht mehr auf die Reihe. Aber die Kinder zum Lachen zu bringen hat mir immer viel Freude bereitet. Kinder lieben es, wenn ein Erwachsener sich nicht benimmt wie alle anderen Erwachsenen. (Verstellt seine Stimme in typischer Fausti-Manier: „Häss de gär eng Schell, Annabell?“)
Kann Fausti sich vorstellen, im Altersheim zu leben?
Eigentlich nicht so richtig. Ich weiß nicht, ob ich dort zufrieden sein könnte.
Was war der Teil Ihrer Karriere, den Sie am liebsten mochten?
Ich habe die Menschen immer am liebsten zum Lachen gebracht. Schon als Kind habe ich meine Mutter mit Imitationen so zum Lachen gebracht, dass sie nicht mehr konnte. Als Musiker ist man so etwas wie ein Hofnarr.
Das hat aber auch seine Schattenseite …
Das Negative daran ist, dass die Menschen einen irgendwann nicht mehr ernst nehmen. Sie denken, sie könnten zu dir sagen, was sie wollen. Das stimmt aber nicht und das will ich nicht – dann verteidige ich mich.
Werden Sie als Musiker unterschätzt?
Wenn das so ist, merke ich das und dann bin ich traurig für mein Gegenüber.
In welchem Teil Luxemburgs sind die besten Partys gestiegen?
Mit der Zeit lernt man, welche Musik man für welche Menschen spielen muss. Ich neigte immer ein wenig dazu, zu lange zu spielen. Dann habe ich die Menschen kaputt gemacht. Aber im Minette hätten die Menschen mich kaputt gemacht. Ich hätte immer weiterspielen können und sie hätten getanzt „bis Mokuchsdag“. Und die konnten so schön tanzen.
Können Sie auch tanzen?
Aber sicher, ich konnte alles tanzen. Samba, sogar Salsa.
Waren Sie nie genervt von „Zwou Bulle Mokka“?
Wenn ich das gesungen habe, habe ich immer und immer wieder das Ergebnis gesehen. Die Menschen freuen sich und singen mit. Dann denke ich nicht an etwas Negatives oder an mich selbst. Ich werde belohnt damit, dass es den Menschen gefällt. Den Kindern habe ich immer gesungen „… da fälls de bal vum Stillchen“.
Sie waren immer an Orten, an denen die Menschen viel Alkohol getrunken und zum Teil auch Drogen konsumiert haben. Hat das in Ihrem Leben eine Rolle gespielt?
Nein, nie.
Ist Fausti eine Rolle?
Ich habe mich immer so gegeben, wie ich auch im Privatleben bin. Dabei denkt vielleicht der eine oder andere, ich hätte sie nicht mehr alle, aber manchmal liege ich alleine im Bett und ich lache mich kaputt über einen Gedanken, den ich habe. Dann muss ich aufstehen und das sofort aufschreiben.
Wird Fausti manchmal wütend?
Wenn ich ungerecht behandelt werde und mich von Menschen betrogen fühle, sie mich als Idioten hinstellen wollen, dann verliere ich die Kontrolle über mich. Wie ein Tier. Wie der Löwe, der ich im Sternzeichen bin.
Gibt es den politischen Fausti?
Ich habe sehr viele Bücher über die Amerikaner gelesen. Darüber, wie sie sich benehmen und denken. Ich lese über Rothschild. Das Buch des ehemaligen Stern-Chefredakteurs Rolf Winter „Ami go home“ hat mich so beeindruckt, dass ich es schon zweimal verschenkt habe. Bei jeder Seite dieses Buches kratzt man sich am Kopf. Es geht um die Sklavenarbeit in Amerika, den Völkermord an den Indianern und so weiter. Das ist die Politik, über die ich viel weiß.
Gibt es einen Traum, den Sie sich noch nicht erfüllt haben?
Ich bin 21 Jahre lang geflogen. Ich hatte eine Lizenz, um mit kleinen Flugzeugen, wie einer Cessna, zu fliegen. Das war eine schöne Zeit, es wurde mir aber irgendwann leider zu teuer. Das würde ich eigentlich gerne noch einmal machen. Einen Traum habe ich allerdings noch, nämlich selbst einen CriCri zu bauen, das kleinste zweimotorige Flugzeug der Welt.
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Einmal aus dem Arbeitsprozess, als Rentner und über 60, wird man eh nicht mehr ernst genommen. Da gehört man einfach zum alten Eisen und zählt nicht mehr.
Merci fir dei flott Momenter, ob freier um Jéersbal zu Dummeldeng oder speider am Stall op der Fouer