Lieferkettengesetz / Aktivist Jean-Louis Zeien: Luxemburg soll Exzellenzzentrum für Menschenrechte werden
Luxemburg soll zu einem Exzellenzzentrum für Menschenrechte werden. Mit einem von der Zivilgesellschaft geforderten Lieferkettengesetz könnte diese gelingen. Davon ist der Aktivist Jean-Louis Zeien fest überzeugt. Das Tageblatt hat sich mit ihm getroffen und sich darüber unterhalten, wo es noch hapert und welche Chancen für die Luxemburger Wirtschaft bestehen.
Blutdiamanten, Kinderarbeit, Ausbeutung von ArbeiterInnen, Umweltzerstörung. Diese Dinge lassen die wenigsten Menschen kalt und niemand kann sich wohlfühlen bei dem Gedanken, dass sein Lebensstil – und vor allem sein Konsum – dazu beträgt. Für Verbraucher ist allerdings nur schwer nachvollziehbar, wo alle Bestandteile eines neuen Smartphones oder einer neuen Jacke herkommen.
Kein Wunder also, dass in Luxemburg ein breiter Konsens über die Einführung eines Lieferkettengesetzes besteht. Mit einem solchen Gesetz würden Unternehmen, die in Luxemburg tätig sind, dazu verpflichtet, zu prüfen und zu kommunizieren, wo ihre Materialien herkommen, und könnten bestraft werden, wenn sie das nicht machen. Die Umsetzung eines solchen Gesetzes lahmt allerdings schon seit Jahren, wie aus unserem Gespräch mit dem Aktivisten Jean-Luis Zeien hervorgeht.
„Ein solches Gesetz würde Unternehmen in Luxemburg dafür verantwortlich machen, sich selber die Mittel zu geben, um Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette und bei ihren Aktivitäten zu vermeiden“, sagt Jean-Louis Zeien. Der Aktivist tritt seit Jahren für ein solches Gesetz ein, z.B. über die Luxemburger Gruppe „Devoir de vigilance“.
Ein solches Gesetz wäre nicht kompliziert, wie Zeien erklärt: „Es ist recht einfach. Ein Unternehmen soll darauf achten, was in seiner Lieferkette vorgeht. Ein gutes Unternehmen macht das sowieso. Es kontrolliert die zugelieferten Materialien, um darauf zu achten, ob Preis und Qualität stimmen und dass der Liefernachschub gewährleistet ist.“ Diese Achtsamkeit, die gute Unternehmen jeden Tag an den Tag legen, soll einfach nur auf andere Bereiche ausgedehnt werden: „Wir verlangen, dass der gleiche Anspruch im Bereich der Menschenrechte gilt. Ein modernes Unternehmen im 21. Jahrhundert kann es sich nicht mehr leisten, mit Menschenrechtsverletzungen in seiner Lieferkette etwas zu tun zu haben.“
Studie vorgelegt
Tatsächlich wird in Luxemburg an einem Lieferkettengesetz gearbeitet, doch für Zeien mit viel zu wenig Nachdruck. „In unseren Augen besteht kein guter Grund, weshalb nicht weiter an einem Gesetz gearbeitet wird. Im Mai 2021 ist endlich die Studie von Dr. Basak Baglayan von der Uni Luxemburg veröffentlicht worden“, sagt Zeien und beschreibt die Hintergründe dieser Studie wie folgt: „Eine solche Studie steht im Koalitionsabkommen. Wir – die Vertreter der Zivilgesellschaft – hatten uns dafür starkgemacht, dass eine saubere wissenschaftliche Studie gemacht wird und nicht, dass lediglich in einem Arbeitskreis darüber diskutiert wird.“
Und wieder hakt es: „Daraufhin hat die Regierung entschieden, ein ,Comité interministériel‘ zu schaffen. Das sollte bis zum Ende letzten Jahres einen Bericht vorlegen, der aber noch immer nicht veröffentlicht worden ist.“ Die Zivilgesellschaft hat sogar Vorarbeit geleistet: „In der Zwischenzeit – weil wir glauben, dass es viel zu lange dauert, und obwohl es nicht unsere Aufgabe ist – haben wir von der Zivilgesellschaft ein ganz konkretes Dokument vorgelegt, das aufzeigt, wie so ein Gesetz aussehen soll.“
Die Aktivisten fühlen sich durch die Studie von Dr. Basak Baglayan in ihrer Auffassung bestätigt: „Diese Studie zeigt für uns klar, dass ein solches Gesetz machbar ist. Eine andere wichtige Erkenntnis aus der Studie ist, dass ein nationales Gesetz und ein europäisches Gesetz sich nicht ausschließen. Das heißt, wir können ein nationales Gesetz machen und uns immer noch auf europäischer Ebene engagieren. Es wäre sogar glaubwürdiger, ein nationales Gesetz zu haben, wenn man sich auf europäischer Ebene dafür starkmacht.“
Ein europäisches Gesetz? Ein solches befindet sich auf dem Instanzenweg. Doch die Mühlen der europäischen Legislative mahlen langsam: „Didier Reynders zeigt guten Willen. Man darf aber bezweifeln, dass es damit schnell vorangeht“, so Zeien. Zeien, der normalerweise einen unumstößlichen Optimismus an den Tag legt, zeigt sich hier pessimistisch: „Um die Verordnung über vier Konfliktmetalle zu machen, hat es bereits acht Jahre gebraucht. Dabei sind in der EU gerade einmal 600 Unternehmen betroffen. Von der neuen Direktive wären weit über 10.000 Unternehmen betroffen.“ Zeien spricht von einem „gesunden Grund für Skepsis“.
Was hat es mit der angesprochenen Verordnung über Konfliktmineralien auf sich? Eine solche wurde verabschiedet und die nationale Umsetzung befindet sich seit dem März 2021 auf dem Instanzenweg. „Das Gesetz beschränkt sich auf lediglich vier Konfliktmineralien: Zinn, Tantal, Gold und Wolfram. In einem Handy sind bereits über 30 unterschiedliche Metalle verarbeitet. Das bedeutet, dass für 26 Metalle keine Sorgfaltspflicht gefordert wird“, moniert Zeien. Und noch ein Problem zieht der Aktivist: „Die EU-Verordnung über Konfliktmineralien umfasst nur den Import von Rohstoffen. Fertigprodukte und Halbfertigprodukte, in denen sie verarbeitet sind, fallen nicht darunter.“ Die Luxemburgische Konsultative Menschenrechtskommission hatte sich ganz ähnlich dazu geäußert. „Es ist ein unzureichender Anfang. Dieses Gesetz ist extrem eng gefasst“, sagt Zeien.
Lobby-Problem
Doch wo liegt das Problem? Warum geht es nicht weiter mit einem Gesetz, das ein augenscheinlich unumstrittenes Thema betrifft? „Für mich ist es ganz klar ein Lobby-Problem. Auf europäischer Ebene ist ein richtiger Sturm ausgebrochen“, so Zeien. „Man braucht sich nur die Luxemburger Patronatsvereinigungen anzusehen – und das sage ich ganz unpolitisch und ganz objektiv. Wenn sie in Brüssel Gutachten eingereicht haben, haben sie immer freiwillige Maßnahmen gefordert oder gesagt, dass die aktuellen Guidelines ausreichend sind. Die Patronatsvereinigungen waren immer gegen eine europäische, internationale Gesetzgebung.“ Zeien befürchtet, dass der europäischen Direktive über die Lieferkette das gleiche Schicksal droht wie der Direktive über die Gleichstellung in den Vorständen börsennotierter Unternehmen. Nämlich, dass sie ewig schleift und verwässert wird.
Dabei betont Zeien, dass viele Unternehmen hinter einem solchen Gesetz ständen: „Wir haben mit 46 Unternehmen, aus der Finanzwirtschaft, aus der Industrie, aus dem Einzelhandel usw. gesprochen, die sich für ein nationales Lieferkettengesetz ausgesprochen haben. Menschenrechte gehören in die DNS eines Unternehmens im 21. Jahrhundert“, sagt er. „Wir verlangen nichts Unmögliches. Wir verlangen nur, was eine Reihe von Akteuren bereit sind zu tun oder sowieso schon tun.“
„Immer wieder wird gesagt, dann würden Unternehmen wegziehen. Das stimmt so nicht. Es liegen Studien vor – etwa eine des niederländischen Außenministeriums –, die besagen, dass Regulierungen nicht ein Grund sind, weshalb Unternehmen ihre Zelte hier abbrechen.“ Als Beispiel nennt er Frankreich: „Als Frankreich 2017 ein Gesetz gemacht hat, ist kein einziges Unternehmen aus Frankreich abgezogen. Im Gegenteil: Die Direktinvestitionen in Frankreich haben nach 2017 zugenommen. Natürlich kann man nicht sagen, ob wegen oder trotz dieses Gesetzes, aber man muss die Fakten betrachten.“
„Oft werden als Argument gegen ein solches Gesetz KMU angeführt. Aber unserer Meinung zufolge sollten KMU, die nicht in einem Risikogebiet oder einem Risikosektor arbeiten, auch nicht darunterfallen“, erklärt er. „Weit über 90% der Unternehmen würden nicht unter das Gesetz fallen.“
Bei Tochtergesellschaften, so Zeien, müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Mutterkonzern sie prüft. Dennoch gebe es Unternehmen, die sich damit herausreden, dass die Niederlassung – z.B. in Sierra Leone – eine andere Entität ist. „Wir kontrollieren die zwar zu 100%, aber wir haben an sich nichts damit zu tun“, sagt Zeien sarkastisch.
Finanzbranche nicht vergessen
Besonderen Wert legt Zeien auf den Finanzsektor: „Wir kommen nicht daran, vorbei, auch über die Finanzbranche zu sprechen. Der Finanzsektor hat sowohl bei dem Vorschlag für eine Verordnung wie bei der Taxonomie mit dafür gesorgt, dass auf europäischer Ebene möglichst verwässerte bis hin zu wirkungslosen Bestimmungen für sie gelten sollen“, so Zeien. „Nach diesem Vorschlag braucht eine Bank nur beim Abschluss eines Vertrages eine Menschenrechtsüberprüfung zu machen und müsste danach nie wieder danach schauen. Hallo, geht’s noch?“, fragt Zeien. Und weiter: „Das ist ein flagranter Widerspruch zu den Leitprinzipien der Vereinten Nationen, die verlangen, dass während der gesamten Laufzeit Überprüfungen stattfinden müssen.“
Der Aktivist glaubt, dass die Finanzbranche profitieren kann. „Wir glauben, dass es eine Chance für den Finanzplatz und andere Akteure sein kann, wenn Luxemburg zu einem Exzellenzzentrum für Menschenrechte wird.“
Interessiert Investoren Nachhaltigkeit überhaupt? „Es wird doch derzeit ein unglaubliches Marketing für die grüne Finanz betrieben“, argumentiert Zeien. „Wir verlangen nichts anderes, als dass den Worten Taten folgen. Natürlich muss man sich die Mittel dafür geben. Zum Beispiel muss die Aufsichtsbehörde CSSF die nötigen Mittel und das Personal erhalten, diese Arbeit ernsthaft zu machen.“
Er verlangt: „Wir müssen uns Gesetze geben, die dafür sorgen, dass wir zu einem Leader in Sachen Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Klima werden. Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir diese Botschaft richtig vermitteln, Kapital anlocken können, das genau dies will.“ Er geht sogar weiter: „Ich glaube, es ist ein strategischer Fehler der Finanzindustrie – auch in Luxemburg – nur das Nötigste zu tun, was die EU vorschreibt.“
Als positives Beispiel führt er Luxemburgs grüne Börse an. „Mit ihrer Green Stock Exchange ist die Börse damals weiter gegangen als sie müsste. […] Mann hätte klagen können, dass Luxemburg strenger ist als notwendig und damit weniger Gelder nach Luxemburg bringt. Fakt ist aber, dass die Green Stock Exchange heute die weltweit größte ihrer Art ist.“
Risikomanagement
„Das Grundprinzip ist den Banken und dem Finanzsektor vertraut“, erinnert Zeien. „Etwas, auf das sich Banken verstehen, ist das Risikomanagement. Wir verlangen lediglich, dass das Prinzip des Risikomanagements nicht nur die Bonität ihres Kunden beinhaltet, sondern auch die Menschenrechte. Die Grundprinzipien Due Diligence und Risikomanagement sind ihnen doch besser vertraut als anderen Branchen.“
Aber auch in der Finanzwelt gäbe es positive Beispiele: „Wenn die EU-Verordnung betreffend Konfliktmineralien entstanden ist, dann ist das nicht nur, weil die Zivilgesellschaft im Norden und im Süden Druck gemacht hat, dann war es nicht nur, weil es engagierte Politiker gab. Es war auch, weil es Investoren mit Millionenbeträgen gab, die gesagt haben: Uns reicht es jetzt. Wir wollen nicht mehr in diesen Bereichen in der aktuellen Form investieren. Es kam Druck von großen institutionellen Investoren.“ (a.d.Red. Unter institutionellen Investoren versteht man z.B. Rentenfonds und Staatsfonds)
Zeien urteilt: „Also fragen wir: Wer kann und will sich heute noch erlauben, offensiv gegen die Achtung der Menschenrechte zu sein. Eigentlich würde das unserem Finanzplatz sehr gut zu Gesicht stehen.“
Auch im Rahmen des Krieges in der Ukraine könnte ein Lieferkettengesetz ein probates Mittel sein, um zu reagieren, findet Zeien. Würde die Ukraine zum Beispiel von Russland besetzt, dann wäre sie im Rahmen eines Lieferkettengesetzes, so wie Zeien es versteht, ein Risikogebiet. Im aktuellen Vorschlag der EU allerdings nicht.
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