Forschung / Aktivisten stellen 5.000 Arbeiten zu Coronaviren online
Die Corona-Pandemie verdeutlicht erneut die Bedeutung von Wissenschaft und dem freien Austausch von Forschungsergebnissen. Aktivisten haben eine „illegale“ Sammlung mit 5.000 Arbeiten über Coronaviren zusammengestellt, die ansonsten hinter einer Paywall gestanden hätten. In der Zwischenzeit haben auch die großen Wissenschaftsverlage viele Artikel frei zugänglich gemacht.
Studierende und Forschende kennen das: Um auf einen wissenschaftlichen Fachartikel zugreifen zu können, muss man oft ganz tief in die Tasche greifen. 35 Dollar ist kein seltener Preis, damit man das Recht erhält, einen Artikel zu lesen. Das ist doppelt ärgerlich, wenn man nach der Lektüre feststellen muss, dass der Artikel nicht dem entspricht, was man sich erwartet hat, und für die eigene Arbeit aber komplett irrelevant ist.
Aktivisten, wie zum Beispiel Marc Schiltz, Generalsekretär des „Fonds national de recherche“, kritisieren dieses System. Die Forschung werde schließlich zu einem großen Teil mit öffentlichen Geldern bezahlt und an den Universitäten durchgeführt. Die großen Wissenschaftsverlage machen die Profite. Bürgerinnen und Bürger und die Universitäten selbst müssen zahlen, um Zugriff auf die Forschungsergebnisse zu bekommen.
Peer-Review
Im wissenschaftlichen Prozess erfüllen die Fachzeitschriften eine nicht unwichtige Rolle. Vor Veröffentlichung werden die Artikel an andere Forscher geschickt, die sie genau prüfen. Man spricht von Peer-Review. So soll erreicht werden, dass nur solide wissenschaftliche Arbeiten ohne Fehler veröffentlicht werden. Im Interview mit dem Tageblatt zeigte Marc Schiltz Alternativen auf: „Es gibt bereits eine Reihe von sogenannten ’Open Access Journals’ (dt.: Zeitschriften mit offenem Zugang). Mittlerweile gibt es auch Plattformen, die so funktionieren und zum Teil von Universitäten und Forschungsinstituten betrieben werden.“
Studierenden und Forschenden steht es zwar offen, die Artikel über das Netzwerk der Uni-Bibliotheken einzusehen, doch selbst diese müssen Unsummen aufbringen, um sich zu abonnieren. Einige Universitäten, wie die einflussreiche University of California, wehren sich mittlerweile gegen diese Praktik.
Schattenbibliotheken
Eine andere Möglichkeit bieten sogenannte „Schatten-Bibliotheken“ wie Sci-Hub. Diese Webseiten sammeln wissenschaftliche Arbeiten und stellen sie umsonst zur Verfügung. Mittlerweile umfasst Sci-Hub 80 Millionen Artikel. Die Meinungen, was solche Schatten-Bibliotheken angeht, gehen auseinander. Während die einen meinen, sie leisteten einen großen Dienst, monieren Kritiker, sie würden die Verlage in den Ruin treiben. Sci-Hub sieht sich regelmäßig mit juristischen Problemen konfrontiert. Weil immer wieder Gerichte Internet-Provider zwingen, den Zugang zur Seite zu sperren (etwa in Schweden und Frankreich), ändert die Internetadresse von Sci-Hub regelmäßig. Außerdem ist die Seite über das Tor-Netzwerk abrufbar. Unter anderem ermittelt das US-amerikanische Justizministerium gegen die kasachische Sci-Hub-Gründerin Alexandra Elbakyan. Laut Washington Post wird Elbakyan von amerikanischen Kritikern u.a. vorgeworfen, sie arbeite für den russischen Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije).
Angesichts der Corona-Pandemie arbeiten Forscher aus der ganzen Welt Hand in Hand zusammen. Viele der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten um Corona stehen gratis zur Verfügung. Sobald die Gene entschlüsselt waren, wurde der RNA-Code des Virus im Internet veröffentlicht. Forschungsinstitute und andere Akteure arbeiten zusammen, um das Virus in den Griff zu bekommen. In Luxemburg arbeiten zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen in der „Research Luxembourg Covid-19 task force“ zusammen daran.
Corona-Erkenntnisse für 35,95 Dollar
Doch immer noch stehen Forscher vor Hürden. Jemand, der auf der Internetplattform Reddit unter dem Pseudonym „Shrine“ auftritt, konnte es nicht fassen, als er auf einen Artikel zum neuen Coronavirus gestoßen war, für den der Verlag 35,95 Dollar verlangte. Zusammen mit ein paar Freunden hat er 5.000 Arbeiten zur Familie der Coronaviren gesammelt, katalogisiert und im Internet zur Verfügung gestellt. Die Artikel reichen von 1968 bis 2020.
In seinem Beitrag auf Reddit schrieb Shrine im Februar: „Unser Projekt ist illegal, aber es ist das Richtige, das wir in dieser Krise tun. Wir weigern uns, das Urheberrecht über Menschenleben zu stellen.“ Unter Berufung auf einen Artikel in der Washington Post schreibt er weiter: „Es ist wichtig, dass wir alles, was wir über das Virus wissen, miteinander teilen, weshalb Wissenschaftler aus der ganzen Welt ihre Erkenntnisse über das Coronavirus in einer noch nie dagewesenen Weise offen zugänglich machen.“
Ebola-Warnung für 45 Dollar
Shrine erinnert an die Ebola-Epidemie 2013 in Westafrika. Für die Menschen in Liberia kam diese Epidemie überraschend. Das hätte nicht sein müssen, behaupteten 2015 die liberianische Medizinerin und spätere Gesundheitsministerin Bernice Dahn und ihre Kollegen in einem Meinungsartikel in der New York Times. Eine wissenschaftliche Arbeit von 1982 stuft Liberia als potenzielles Ebola-Gebiet ein. Das Problem? Die Studie wurde von deutschen Wissenschaftlern gemacht. Diese veröffentlichten ihre Arbeit nach der gängigen Praxis. „Selbst heute noch würde das Herunterladen des Artikels einen Arzt hier 45 Dollar kosten, etwa ein halbes Wochengehalt“, schreiben die liberianischen Mediziner.
Um ihre Sammlung zu erstellen, machte sich die Gruppe um Shrine Sci-Hub zunutze. Sie haben die Bibliothek auf Artikel über Coronaviren gescannt. Die Titel der gefundenen Artikel und ihre Referenznummern (DOI) haben sie in einen Katalog eingetragen. Die Artikel wurden als PDF auf The-Eye.eu hochgeladen. Spätestens seit dem 15. April ist diese Seite nicht mehr zu erreichen. Die Sammlung kann aber immer noch auf anderem Wege (über das „InterPlanetary File System“) erreicht werden.
Verlage machen mit
„Man kann den Verlagen zugutehalten, dass sie in den letzten Tagen ein paar Dutzend Papiere frei zugänglich gemacht haben, die ihr im ’Novel Coronavirus Information Center’ von Elsevier und in der Coronavirus-Sammlung von Wiley finden könnt“, schrieb Shrine im Februar. Inzwischen hat bei den großen Verlagen ein Umdenken stattgefunden. Die meisten Artikel zu Corona stehen jetzt bei den großen Verlagen gratis zur Verfügung.
Shrine ist überzeugt: „Mitten in einer globalen humanitären Krise die Wissenschaftler der Welt mit einer Paywall zu spalten, ist ein inakzeptabler und unverzeihlicher Akt krimineller Gier.“
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos