Kristina Lunz / Politikwissenschaftlerin will Außenpolitik anders denken und hat ein Buch dazu geschrieben
Ohne hohe Gewinne schafft sie es 2019 auf die „30under30“-Liste in der Kategorie „Leadership“ des Forbes Magazine. Dem deutschen Außenministerium hilft sie, die Frauen Lateinamerikas zu vernetzen. Im Sinne der Frauen- und Menschenrechte ist sie in Kolumbien und Myanmar unterwegs. Die Mitbegründerin des „Center for Feminist Foreign Policy“ (CFFP) Kristina Lunz (32) will Außenpolitik neu denken und hat ein Buch dazu geschrieben. Ende April kommt sie zu einer Lesung nach Luxemburg.
Tageblatt: Sie bezeichnen sich selbst als „Aktivistin gegen die Ungerechtigkeit“. Was ist denn so ungerecht?
Kristina Lunz: Der Status quo der ganzen Welt auf allen Ebenen. Wir leben seit 4.000-6.000 Jahren in patriarchalischen Gesellschaften. Das bedeutet, dass überall Männer in Staat und Familie das Sagen und damit eine Vormachtstellung haben. Das bringt Ungerechtigkeiten mit sich und Allgegenwärtigkeit von männlicher Gewalt.
Beispiele dafür?
Es gibt keinen einzigen, einflussreichen Bereich wie Medien, Wirtschaft oder Politik, in dem Männer nicht überrepräsentiert sind. Die 22 reichsten Männer der Welt haben mehr Vermögen als alle Frauen auf dem afrikanischen Kontinent zusammengenommen. In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es ihm. Eine Studie aus dem letzten Jahr in Großbritannien hat gezeigt, dass 97 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 24 im öffentlichen Bereich sexuell belästigt worden sind. Die Frage ist eher, was ist gerecht? Und dazu fällt mir kaum was ein.
Das Niveau an Gleichberechtigung in einem Land ist der Faktor schlechthin, ob dieses Land nach innen oder außen gewaltbereit ist, sagt eine Studie. Was heißt das konkret?
Das ist Forschung von Valerie Hudson und ihrem Team (US-amerikanische Professorin für Politikwissenschaft an der Texas A&M University, Anm. d. Red.). Interessanterweise wird ihre Forschung vom amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert. Das heißt konkret, je patriarchaler eine Gesellschaft innerhalb der eigenen Staatsgrenzen ist, umso wahrscheinlicher zieht dieses Land in den Krieg mit anderen und hält sich nicht an internationale Abkommen und Menschenrechte. Wenn Politiker innerhalb der Landesgrenzen Menschengruppen gewaltsam unterdrücken, umso gewaltbereiter sind sie gegenüber anderen Staaten.
Sie fordern eine feministisch orientierte Außenpolitik. Was heißt das in der Praxis?
Das heißt, dass wir das traditionelle Verständnis von Außenpolitik hinter uns lassen. Bisher steht militärische Sicherheit und militärische Stärke im Vordergrund. Feministische Außenpolitik legt den Fokus auf die Lebensrealität aller Individuen und auf menschliche Sicherheit. Das bedeutet Nahrungssicherheit, Zugang zu Bildung und Gesundheit, Klimaschutz.
Das klingt irgendwie sehr nach pazifistischen Ideen. Wo ist der Unterschied?
Pazifismus bedeutet die Abkehr von jeglicher Gewalt und die Priorität von friedlichen Mitteln. Nachhaltigen Frieden will feministische Außenpolitik auch. Im Pazifismus findet sich aber kein nuanciertes Verständnis dafür, was Menschen unsicher macht. Feministische Außenpolitik will strukturelle Gewalt in ihrer Unterschiedlichkeit verstehen. Wie erleben Frauen den Krieg? Was bedeutet es für Angehörige der LGTBQI*-Community? Warum werden „People of colour“ in Polen in Haftzentren gesperrt, während weiße Personen mit offenen Armen empfangen werden? Das sind wichtige Fragen im Kontext von feministischer Außenpolitik.
Sie sagen, es gibt weltweit Staaten, die eine feministische Außenpolitik betreiben. Welche sind das?
Es gibt Staaten, die offiziell sagen, sie hätten eine. Das ist oft noch ein Unterschied zur Realität. Das sind Mexiko, Luxemburg, Spanien, Schweden, Frankreich und Kanada. Zuletzt hat Chile Anfang März 2022 verkündet, dass es eine feministische Außenpolitik betreiben will. Dann haben wir noch Deutschland, das seit Anfang November 2021 die feministische Außenpolitik im Koalitionsvertrag der neuen Regierung stehen hat. Oder Länder wie die Schweiz und Finnland, die über sich sagen, sie hätten ein sehr feministisches Verständnis ihrer Außenpolitik. Man muss nicht Frau sein, um so zu denken.
Welches Land ist Ihrer Meinung nach denn am nächsten dran?
Ich würde sagen, in der Theorie ist Mexiko richtig stark. Aber sie haben erst seit 2020 offiziell eine feministische Außenpolitik, diese muss sich also erst noch in der Praxis bewähren. Da muss man später untersuchen, ob sie das geschafft haben. Aber Schweden macht schon richtig viel gut. Und es ist der Staat, auf den alle schauen, wenn es um ihre eigenen feministischen Ansätze in der Außenpolitik geht. Margot Wallström (Sozialdemokratin, von 2014 bis 2019 schwedische Außenministerin, Anm. d. Red.) hat in der Beziehung einiges richtig gemacht.
Und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen)?
Ich finde, sie macht einen guten Job. Sie ist erst seit vier Monaten im Amt und legt ihren Fokus auf die feministische Sicht. In ihrer Rede zur neuen Sicherheitsstrategie Deutschlands spricht sie von „menschlicher Sicherheit“. Bei ihrem Antrittsbesuch in Spanien hat sie zuerst die Sonderstaatsanwaltschaft für Gewalt gegen Frauen besucht. Mit Jennifer Morgan (deutsch-amerikanische Politikerin, Umweltaktivistin und Lobbyistin, Anm. d. Red.) sitzt erstklassige zivilgesellschaftliche Expertise zum Thema Klimagerechtigkeit im Auswärtigen Amt. Und sie hat schon vor der Ukrainekrise eine ganz klare, deutliche Haltung gegenüber dem russischen Außenminister Sergei Lawrow gezeigt und gleichzeitig deeskalierend gewirkt.
Im Falle von Wladimir Putin sprechen Sie von einem „toxischen maskulinen Männerbild“. Was meinen Sie damit?
In der Welt, in der wir leben, werden wir alle in Boxen gepackt. Frauen sind fürsorglich, empathisch, lieb, zurückhaltend und machen die „Care-Arbeit“ möglichst umsonst. Männer sind die Starken, die Mächtigen, die Entscheider, die hart auftreten und das Geld nach Hause bringen. Wenn man das auf die Spitze treibt und nur noch auf Dominanz, Durchsetzung, Macht und Aggression setzt, dann ist das für mich ein toxisch maskulines Männerbild.
Wie bewerten Sie die Waffenlieferungen an die Ukraine?
Die feministische Außenpolitik ist ja ein langfristiges Projekt, eine Utopie. Um dahin zu kommen, muss noch richtig viel geändert werden. Da gibt es immer wieder „clashes“, wenn die Realität auf die Utopie trifft. Und das passiert gerade. Es ist einfach nicht normal in einer Welt zu leben, wo es neun nuklear aufgerüstete Staaten gibt und wo jedes Jahr ein Vielfaches für Militarisierung und Aufrüstung ausgegeben wird anstatt zur Wahrung des Friedens. In der Situation von akuter Gewalt wie in der Ukraine muss den Menschen so geholfen werden, wie sie es fordern. Wenn sie kurzfristig Waffen brauchen, um ihr Leben zu schützen, dann müssen die geliefert werden. Trotzdem muss gesagt werden, dass mittel- und langfristig mehr Waffen mehr Gewalt auslösen werden. Deshalb braucht es Ausgleich durch Investitionen in Friedenserziehung in der Zivilgesellschaft und in Initiativen, um die Menschenrechte zu verteidigen.
War es Zufall, dass eine Frau in eine russische Nachrichtensendung platzt, ein Schild mit „No War“ hochhält und viel riskiert?
Es hat mich – ehrlich gesagt – nicht gewundert. Der Widerstand in Russland hat aber viele Gesichter, männlich wie weiblich. Nawalny aber auch Pussy Riot. Aber die feministische Sicht auf Politik wird ganz klar von Frauen geleitet. Das ist die Bevölkerungsgruppe, die am meisten benachteiligt ist und sich am meisten dafür einsetzt, dass sich das ändert.
Was ist die Mission des „Center for Feminist Foreign Policy“ (CFFP), das Sie mitbegründet haben?
Wir wollen feministische Außenpolitik weltweit als Standard verankern. Demilitarisierung, Menschenrechte, Klimagerechtigkeit und einen Fokus auf menschliche Sicherheit.
Die wichtigsten drei Ergebnisse der Arbeit der letzten Jahre?
Das ist für mich persönlich mein Buch, das jetzt seit ein paar Wochen auf dem Markt ist und sehr breit öffentlich diskutiert wird. Für das CFFP ist es die Tatsache, dass wir einen Beitrag dazu geleistet haben, dass feministische Außenpolitik im Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Bundesregierung steht. Und wir haben als Graswurzelorganisation trotz wenig Fördergelder unsere Arbeit machen können und werden ernst genommen.
Sie wollen als Kind Bürgermeisterin werden. Abgehakt?
Abgehakt.
Center for Feminist Foreign Policy (CFFP)
Das CFFP ist eine gemeinnützige Forschungs- und Beratungsorganisation zu „Feministischer Außenpolitik“. Es wurde 2016 gegründet, hat neun Mitarbeiter und seinen Sitz in Berlin.
Zur Person
Kristina Lunz ist im fränkischen 80 Einwohner zählenden Reckendorf (D) geboren. Sie hat einen Bachelor in Psychologie, sowie einen Master-Abschluss der University College London in Global Governance and Ethics und einen weiteren Master-Abschluss der University of Oxford in Global Governance and Diplomacy. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie u.a. für die Vereinten Nationen in Myanmar und für eine NGO in Kolumbien. Kristina Lunz hat etliche aktivistische Kampagnen wie „Nein heißt Nein“ und eine Kampagne gegen den Sexismus in der Bild-Zeitung (mit-)initiiert. Im Februar 2022 veröffentlicht sie ihr Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch – Wie globale Krisen gelöst werden müssen“. ISBN: 978-3-430-21053-9. Am 22.4. liest sie im „CID Fraen a Gender“ aus ihrem Buch. www.kristinalunz.com; cid-fg.lu
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