Schulanfang / „Alles halb so wild mit Covid-19-Infektionen bei Kindern“ – Die riskanten Aussagen des Ministeriums
Obwohl der aktuelle Forschungsstand Aussagen wie „Wir wissen, dass junge Menschen das Virus wahrscheinlich weniger weitergeben“ nicht mehr für akkurat hält, spricht Bildungsminister Claude Meisch sie bei jeder Gelegenheit aus. Da es sich hierbei um eine Verharmlosung des Infektionsrisikos bei Kindern handelt, kann man dies sicherlich eine gewagte oder gar riskante Strategie des Bildungsministeriums nennen. Auf Nachfrage hat uns das Ministerium erklärt, wieso es weiterhin an diesen Aussagen festhält.
Seitdem der Analyse-Bericht „L’école face à la Covid-19“ über Infektionen an den Luxemburger Schulen Mitte August veröffentlicht wurde, hat sich das Blatt gewendet. Davor ging man eher davon aus, dass Kinder keine Rolle bei Infektionen gespielt haben. Nun kristallisiert sich mehr und mehr das Gegenteil heraus. Kinder spielen demnach eine Rolle bei den Infektionen in Luxemburg. Diese These entspricht weitgehend auch dem internationalen Forschungsstand.
Wir wissen, dass die jungen Menschen weniger davon betroffen sind und dass die jungen Menschen das Virus wahrscheinlich weniger weitergebenBildungsminister
Das Bildungsministerium, das diesen Analysen-Bericht in Auftrag gegeben hat, scheint diesen Wissensstand allerdings zu ignorieren. Am vergangenen Donnerstagnachmittag konnten aufmerksame Zuschauer feststellen, dass der alte gebetsmühlenartige Spruch des Bildungsministers Claude Meisch immer noch vorgetragen wird. Im Videostream, den das Ministerium auf YouTube ausstrahlte und der über die „Rentrée“ informieren sollte, sagte Meisch in der ersten Minute Folgendes: „Heute wissen wir, dass es nicht in den Bildungseinrichtungen ist, wo das Virus sich besonders stark verbreitet, wir wissen, dass die jungen Menschen weniger davon betroffen sind und dass die jungen Menschen das Virus wahrscheinlich weniger weitergeben. Das macht uns zuversichtlich, dass wir auch in diesem Schuljahr die Schule gut funktionieren lassen können und trotzdem das Virus im Zaum halten können.“
Wie bitte? Der Bildungsminister erkennt seinen eigens in Auftrag gegebenen Bericht nicht an? Darin steht nämlich Folgendes: „Lors des semaines 25 à 30 (du 15 juin au 26 juillet), les enfants et jeunes sont donc normalement représentés par rapport à leur présence au Luxembourg, semblant indiquer que les enfants sont aussi susceptibles à une infection au SARS-CoV-2 que les adultes.“ Kinder scheinen dem Virus demnach genauso ausgesetzt zu sein als Erwachsene. Das steht also im Bericht, der vom Bildungsministerium in Auftrag gegeben wurde.
Auch im Informationsbrief, den das Ministerium im Vorfeld der „Rentrée“ an die Lehrkräfte des Sekundarunterrichts verschickte, wird der Analyse-Bericht ignoriert und steht im Kontrast zu den neuen Erkenntnissen in der Forschung. Im Informationsbrief an die Lehrer heißt es wortwörtlich: „Le rapport d’analyse, qui vient d’être publié en août 2020, précise que ‚la plupart des études ainsi que les données du Luxembourg montrent que l’école n’est pas un endroit privilégié de transmission du virus et que les enfants et les jeunes sont en général moins affectés que les adultes’ tout en soulignant l’importance de mesures sanitaires afin de minimiser le risque de transmission intrascolaire. La protection de la santé reste donc la priorité absolue de cette rentrée.“
Aussage zur Rolle von Kindern ist nicht akkurat
Auch hier wird suggeriert, dass junge Menschen weniger vom Virus betroffen sind als Erwachsene. Das französische Wort „affecter“ lässt allerdings Interpretationsspielraum zu. Damit es aber keine Interpretationsdivergenzen gibt, können wir an dieser Stelle aus dem Gespräch zitieren, welches das Tageblatt vergangene Woche mit Prof. Paul Wilmes führte. Wilmes ist mitverantwortliches Mitglied der Taskforce und hat an dem Analysen-Bericht, also dem Bericht „L’école face à la Covid-19 au Luxembourg“, mitgearbeitet. Die Aussage von vor zwei, drei Monaten, dass Kinder bei der Übertragung von Covid-19 keine Rolle spielen, sei nicht akkurat, sagte er. Auch bei der Ansteckungsgefahr scheint es keinen großen Unterschied zwischen Minderjährigen und Erwachsenen zu geben.
Wir haben eine ähnliche Prävalenz bei den Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerungmitverantwortliches Mitglied der Taskforce
Kinder und Jugendliche seien hauptsächlich in der zweiten Welle ein Spiegelbild von dem, was insgesamt in der Gesellschaft los ist. „Wir haben eine ähnliche Prävalenz bei den Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung.“ Kinder und Jugendliche sind also nicht weniger ansteckungsgefährdet als Erwachsene. Doch welche Rolle spielen Kinder und Jugendliche bei der Übertragung von Covid-19? International werde diese Frage noch heftigst debattiert, so Wilmes. Man könne sich nicht darauf einigen, ob es nun Vektoren sind oder nicht. Auch der Bericht „L’école face à la Covid-19 au Luxembourg“, der auf den in Luxemburg erhobenen Daten basiert, könne diese Frage nicht beantworten.
Auch wenn der Luxemburger Bericht wenig Aufschluss darüber gibt, welche Rolle Kinder und Jugendliche bei der Übertragung von Covid-19 spielen, so wurde Anfang September eine neue Studie aus Südkorea publiziert. „Wenn das alles stimmt, dann würde dies bedeuten (…), dass die Rolle der Kinder bei der Übertragung von Covid-19 nicht unerheblich wäre“, so Wilmes.
Ist es schiere Unaufmerksamkeit seitens des Bildungsministeriums oder ist die neue Wahrheit weniger bequem? Auf Nachfrage wurde dem Tageblatt folgende Begründung für die Sicht der Dinge gegeben: „Bei den Aussagen zur Infektiösität basieren wir uns auf dem Bericht, den Rudi Balling (Direktor des LCSB von der Uni.lu) und Isabel de la Fuente Garcia (Kinderärztin in der Kannerklinik CHL) herausgegeben haben. Darin sagen die zwei Autoren: ‚Wie oben dargestellt wurde, sind Kinder im Vergleich zu anderen Altersgruppen erheblich weniger von SARS-CoV-2-Infektionen betroffen als ältere Menschen (Dong et al., 2020; Sun et al., 2020). Die Symptome sind in der Regel sehr leicht und in 35-80 Prozent der Fälle verläuft die Infektion sogar asymptomatisch.’“ Der Artikel auf science.lu wurde am 17. Mai 2020 publiziert.
Deshalb ist das Ministerium anderer Meinung
Nun wird klar, wieso das Bildungsministerium immer noch der Meinung ist, dass Kinder erheblich weniger von Infektionen betroffen sind als Erwachsene. Es glaubt immer noch an den alten und überholten Forschungsstand. Um seine Sicht zu verteidigen, verweist das Ministerium auf folgende Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die immer noch Bestand habe: „Children are less often reported as cases when compared with adults, and the illness they experience is usually mild. From data reported to WHO, children and adolescents up to 18 years of age represent 1 to 3% of reported infections, even though this age group makes up 29% of the global population.“ („Kinder werden im Vergleich zu Erwachsenen seltener als Fälle gemeldet, und die Krankheit, die sie erleben, verläuft in der Regel mild. Aus den der WHO gemeldeten Daten geht hervor, dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre 1 bis 3% der gemeldeten Infektionen ausmachen, obwohl diese Altersgruppe 29% der Weltbevölkerung ausmacht.“)
Die WHO ist allerdings nicht gerade bekannt dafür, schnell auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Auch nicht in der Corona-Pandemie. Wieso also die WHO zitieren, wenn es doch in Luxemburg Berichte gibt, sogar selbst vom Bildungsministerium in Auftrag gegebene, die einen neueren Wissensstand aufweisen? Wahrscheinlich wird sich die WHO demnächst updaten und von diesem überholten Forschungsstand Abstand nehmen.
Zur weiteren Erklärung fügt das Bildungsministerium an: „In der sogenannten zweiten Welle, die im Juni und Juli unser Land getroffen hat, sind mehr junge Menschen positiv getestet worden als in der ersten Welle.“ Die Resultate seien nur schwer miteinander zu vergleichen. Durch das Large Scale Testing seien auch asymptomatische Personen oder solche mit leichten Symptomen getestet worden. Damit seien natürlich auch mehr junge Menschen und Jugendliche positiv getestet worden. Heute könne man sagen, dass die zweite Welle über die aktive Bevölkerung weiter verbreitet wurde.
Die Kernaussage des Analysen-Berichts „L’école face à la Covid-19 au Luxembourg“ sei aber folgende, so das Bildungsministerium: „Die Kinder haben das Virus aber nicht in den Bildungseinrichtungen signifikant weitergegeben. Es konnten keine bedeutenden Infektionsketten in einer Schule festgestellt werden.“
Aussage birgt ernsthafte Gefahren für Kinder
Es ist klar, dass dies die Kernaussage des Berichts ist. Dennoch stehen im Bericht weitere Aussagen zum Ansteckungsrisiko bei Kindern und Jugendlichen, die im Einklang mit dem derzeitigen Stand der Forschung sind und die vom Bildungsministerium komplett ignoriert werden. Diese Attitüde ist nicht nur grob fahrlässig, sondern birgt ernsthafte Gefahren für unsere Kinder. Viele Eltern sagen sich, dass ja alles schließlich nicht so wild sei, denn Kinder können sich ja kaum anstecken. Sie wähnen sich in falscher Sicherheit.
Auch in Deutschland hat man im August einen anderen Stand der Forschung als einige Monate zuvor. In einer Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission SARS-CoV-2 der Gesellschaft für Virologie haben mehrere Forscher, darunter Prof. Christian Drosten, Präventionsmaßnahmen zum Schulbeginn nach den Sommerferien in unserem Nachbarland aufgestellt. Darin warnen die Forscher vor der Vorstellung, dass Kinder keine Rolle in der Pandemie und in der Übertragung spielen. Weiter heißt es: „Solche Vorstellungen stehen nicht im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen. (…) Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen und konkrete Beobachtungen in einigen Ländern deuten darauf hin, dass die initial teilweise angenommene, minimale Rolle von Kindern infrage gestellt werden muss.“
Zur Erklärung steht wörtlich Folgendes darin: „Die Mehrheit der früheren Studien wurden unter den (Ausnahme-) Bedingungen weitgreifender kontaktreduzierender Regelungen (sogenannter ‚Lockdown’) mit Schulschließungen oder in der Zeit der niedrigen Grundinzidenz unmittelbar nach dem Lockdown in Deutschland durchgeführt. Sie haben somit als Entscheidungsgrundlage nur einen eingeschränkten Aussagewert für die in naher Zukunft zu erwartende Situation in Deutschland. Unter bestimmten Umständen kann es sein, dass Kinder einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Infektionen mit SARS-CoV-2 ausmachen. Inzwischen liegt der prozentuale Anteil von Kindern an der Gesamtzahl der Neuinfektionen in einer Größenordnung, die dem Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung entspricht.“
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In diesem Fall hat Meisch Recht. Wie die Schweden hat er erkannt,dass Kinder zwar Überträger sind aber kaum oder gar nicht erkranken.Wie schon bei dem völlig überzogenen Lockdown im März( 2 Monate Stillstand )von dem inzwischen sogar unsere Lehnert Nationale abstand genommen hat,genügen die drei Hauptregeln vollkommen. Allerdings sind wir anscheinend nicht alle imstande diese einzuhalten. Und noch einmal.Auf kurz oder lang werden wir alle durchseucht sein.Wir haben einen Schnitt von 45 pro Tag mit den aktuellen Maßnahmen.Infektionen..nicht Kranke oder Tote. Die Kinder müssen zur Schule und sie müssen spielen dürfen,sonst können wir einpacken. Natürlich müssen die Risikogruppen geschützt bleiben in Erwartung des Impfstoffes.
Man sollte nicht so tun als hätte man das Virus im Griff. Die Wissenschaft rätselt noch immer und man gibt es ja auch zu, dass man noch weit weg ist zu verstehen wie es arbeitet. Warum ist die Omma plötzlich vom Virus befallen obwohl sie nur Kontakt mit der „gesunden“ Enkelin gehabt hatte. Was sind die Spätfolgen bei Kindern?
Ich finde es etwas unverantwortlich von einem Minister solche Aussagen zu machen, wo sich die Wissenschaftler bei Vielem unsicher sind. Niemand weiss heute, op Kinder nicht noch nach Jahren Spätfolgen haben können. Man sollte nicht zu viel Panik machen aber umgedreht auch nicht so tun als wäre alles halb so schlimm, wenn man nichts weiss.
Deshalb habe ich persönlich auch einen grossen Respekt vor Frau Ministerin Lenert. Wenn Frau Lenert etwas nicht weiss, wenn Dinge nicht so gelaufen sind wie sie es sollten, dann wird das auch zugegeben und erklärt. Im Unterrichtsministerium ist meiner Meinung nach seit Jahren genau das Gegenteil der Fall. Man tut alles um so zu tun als hätte man alles in Griff, als würden alle Reformen super umgesetzt und würde Früchte tragen. Man stellt alles in ein positives Licht, was aber oft überhaupt nicht so zutrifft. Kritik, auch konstruktive Kritik wird einfach untergraben. Das hat negative Auswirkungen nicht nur auf Schule sondern auch auf Staatsausgaben.