Spanischer Film / „Alles über meine Mutter“ war Almodóvars endgültiger Durchbruch
Der spanische Filmregisseur Pedro Almodóvar wurde mit schrillen und provokanten Tragikomödien bekannt. Vor 25 Jahren gelang ihm mit dem Oscar-prämierten Melodram endgültig der internationale Durchbruch.
Was die Filme betrifft, die mir am bedeutendsten erscheinen oder die ich sogar zu meinen Lieblingsfilmen zähle, kann ich mich noch gut daran erinnern, in welchem Kino ich sie zum ersten Mal gesehen habe: Pedro Almodóvars „Todo sobre mi madre“ sah ich in einem Kino in der Avenida Corrientes in Buenos Aires an, der Heimatstadt der Hauptdarstellerin Cecilia Roth. Seit 1976 in Spanien, trat sie Anfang der 80er Jahre häufig in Filmen von Almodóvar auf. Der 1949 geborene, aus einem Dorf in der Region La Mancha stammende Regisseur, der in seiner Jugend in der Extremadura die Liebe zum Film entdeckt hatte, drehte während der zu Ende gehenden Franco-Ära Super-8-Filme, verfasste Comics und Fotoromane und arbeitete zwölf Jahre lang als Angestellter der staatlichen Telefongesellschaft Telefónica.
Außerdem war er Mitglied einer Theatergruppe und Mitgründer einer Punkband. Almodóvar gehörte zur damaligen spanischen Subkultur und avancierte zum Star der „Movida madrileña“, der pulsierenden Aufbruchs- und Avantgardebewegung in Film, Musik und Mode ab den späten 70er Jahren. Die „Movida“ war eine exaltierte und hedonistische Antwort auf die Jahre der Anpassung und Unterdrückung unter dem jahrzehntelangen Regime von Francisco Franco, das 1977 mit den ersten freien Wahlen in Spanien nach der Diktatur zu Ende ging.
Aufbruch nach der Diktatur
Almodóvars erster Langfilm „Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón“ (1980) war bereits ein Erfolg in den Madrider Kinos. Dabei wurde bereits der für seine Filme typische, mit vielen Zitaten versehene Stilmix aus schrill-schrägen, grell-kitschigen und surrealen Elementen deutlich. Auch der nachfolgende Streifen „Laberinto de pasiones“ (1982) besteht aus einem bizarren Inventar exzentrischer Figuren. Die von Almodóvar offen gelebte Homosexualität war in seinen Filmen von Anfang an ein thematischer Schwerpunkt, sodass der Regisseur zu einer Symbolfigur der Lesben- und Schwulenbewegung wurde. Nach der langen Repression, der Homosexuelle während der Franco-Diktatur ausgesetzt waren, wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen in Spanien erst 1979 entkriminalisiert. Trotzdem wurden noch 1987 zwei Frauen wegen eines Kusses festgenommen. Als Reaktion darauf kam es zu massiven Protesten, zum Beispiel mit Kiss-ins an der Madrider Puerta del Sol.
Während sich einige spanische Filme in der Zeit der Transition zur Demokratie mit der jüngeren spanischen Geschichte und der Franco-Diktatur befassten, interessierte sich Almodóvar mit seinen provokativen und überdrehten Streifen für das Hier und Jetzt. „Laberinto de pasiones“ war der Auftakt einer Trilogie von Komödien, jeweils mit Cecilia Roth. Almodóvar rückte Frauen und ihre Schicksale ins Zentrum seines filmischen Universums: „Mein Ideal einer Geschichte ist eine Frau, die sich in einer Krise befindet“, beschrieb er die narrative Grundkonstellation seiner Filme in einem Interview. Typisch dafür: „Mujeres al borde de un ataque de nervios“ (1988) mit Antonio Banderas und Carmen Maura.
Die Frauen in den Almodóvar-Filmen „werden von Männern betrogen und belogen, gefesselt und ausspioniert, vergewaltigt und verlassen“, stellt die Filmwissenschaftlerin Ursula Vossen fest, doch „eint diese Protagonistinnen ihre Stärke und unerschütterliche Lebensbejahung“. Bei den männlichen Figuren „dekonstruieren Almodóvars Filme hingegen die der Vätergeneration angehörenden Vertreter des spanischen Machismo“. Ihnen werde ein neuer Männertypus gegenübergestellt, „der fähig ist, Aspekte von Weiblichkeit zu assimilieren“.
Zeit der Reife
Im Schaffen des häufig als „Enfant terrible“ bezeichneten Regisseurs – „ich habe mich nie als Enfant terrible gefühlt“ – zeichnet sich bereits mit „La flor de mi secreto“ (1996) eine Veränderung ab. Der Film über eine von Marisa Paredes gespielte erfolgreiche Autorin von Kitschromanen, die sowohl ihre Identität als Künstlerin im Sinne einer literarisch ernsthaften Schriftstellerin als auch als Frau sucht. Der Streifen ist das Resultat eines künstlerischen Reifeprozesses. Der Regisseur nennt ihn nicht zufällig seinen ersten „erwachsenen“ Film. Mit der Ruth-Rendell-Verfilmung „Carne tremula“ (1997) behandelt Almodóvar erstmals die franquistische Diktatur. Mit „Todo sobre mi madre“ konfrontiert er die spanische Gegenwart mit der Vergangenheit der „Movida“ und deren Lebensgefühl. Die Besetzung der Hauptrolle mit Cecilia Roth ist nicht zufällig: Anderthalb Jahrzehnte nach „Laberinto de pasiones“ steht der einstige „Movida“-Star wieder bei Almodóvar vor der Kamera.
Der Film ist Bette Davis, Gena Rowlands und Romy Schneider gewidmet, und „für alle Schauspielerinnen, die Schauspielerinnen gespielt haben, für alle Frauen, die (schau)spielen, für die Männer, die (schau)spielen und zu Frauen werden, für alle Menschen, die Mütter sein wollen, für meine Mutter“. Mit dieser Widmung endet „Todo sobre mi madre“. Seine bis dahin erfolgreichste Produktion verhalf dem Regisseur endgültig zur Anerkennung als Regisseur „ernster“ Filme. Er wurde unter anderem in Cannes für die „Beste Regie“ ausgezeichnet und erhielt 2000 den Oscar für den „Besten nicht englischsprachigen Film.
Die Handlung des Films besteht aus einer Reihe von Schicksalsschlägen, Geburten, Krankheiten und Todesfällen. Die Enddreißigerin Manuela (Cecilia Roth), Krankenschwester in der Transplantationsabteilung einer Madrider Klinik, verliert ihren Sohn Esteban an dessen 17. Geburtstag: Mutter und Sohn schauen sich das Theaterstück „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams, in dem Manuela früher selbst spielte, – mit der Schauspielerin Huma Rojo (Marisa Paredes) in der Hauptrolle der Blanche – an. Esteban möchte ein Autogramm ergattern und wartet im Regen auf die Diva. Als sie im Taxi davonfährt, läuft er ihr nach und wird von einem Auto überfahren – eine Szene, die auf John Cassavetes’ „Opening Night“ (1977) anspielt.
Nach Estebans Tod flüchtet Manuela aus Madrid nach Barcelona und begibt sich auf die Suche nach dem Vater ihres Sohnes. Ihre Trauer zieht sich dabei als Leitmotiv durch den ganzen Film und taucht immer wieder unvermittelt auf. „Todo sobre mi madre“ ist nicht zuletzt ein Film über Verlust und Schmerz, zugleich aber auch über das Weiterleben und über die Fähigkeit, auch im größten Unglück zu bestehen, indem man immer aufs Neue tragfähige Beziehungen knüpft. So begegnet Manuela ihrer alten transsexuellen Freundin La Agrado, findet einen Job als Mädchen für alles bei der Diva Huma Rojo und deren drogenabhängiger Geliebten Nina und wird von der Nonne Rosa zur Ersatzmutter erkoren. Rosa ist schwanger von Manuelas Ex-Mann, der trans Person Lola. Rosa schließt sie sich Manuela an und erfährt wenig später, dass sie sich bei Lola mit HIV infiziert hat.
Mehr als eine Hommage
Almodóvar selbst hat den Film in Anlehnung an die US-amerikanischen Screwball Comedies der 40er Jahre als „Screwball Drama“ bezeichnet. Von besonderer Bedeutung für sein filmisches Schaffen ist vor allem die Tatsache, dass er sich an das klassische Melodram der 50er Jahre orientiert. Die ins Auge springenden knalligen, satten Farbtöne (vor allem rot) stehen zwar in guter Almodóvar-Tradition und verorten die Handlung in den 80er Jahren, zugleich beschwören sie Erinnerungen an das leuchtende Technicolor aus den Filmen von Douglas Sirk wie etwa „All That Heaven Allows“ (1955) oder „Written on the Wind“ (1956) herauf. Farben und Symbole, die virtuose Kameraarbeit des Brasilianers Affonso Beato und die Musik von Alberto Iglesias ziehen die Zuschauer in einen Sog.
Immer wieder erinnert Almodóvar an seine Vorbilder und zitiert einzelne Filme wie etwa im Titel mit der Anlehnung an „All about Eve“ (1950) von Joseph L. Mankiewicz. Manuela und Esteban sehen sich diesen Film im Fernsehen an. Doch der Verweis auf andere Filme ist weder eine nostalgisch verklärte Hommage an ein Genre noch eine postmoderne Spielerei. Die Melodramen der 50er boten einer Generation von Frauen nach dem Krieg emotionale Abwechslung. Die gesellschaftliche Norm verlangte damals die Verleugnung von Gefühlen und zugleich die starre Einhaltung von Regeln und Rollenstereotypen. Bei Almodóvar sind es die Frauen, die die Gesellschaft zusammenhalten und neu erfinden. Männer kommen nur am Rande vor. Im Gegensatz zu den mit den Geschlechtergrenzen spielenden Schauspielerinnen und trans Personen bleiben sie eindimensional.
„Todo sobre mi madre“ zeigt nicht zuletzt, dass der Regisseur reifer geworden ist. Der bissige Witz und die exzentrischen Charaktere sind zwar geblieben, doch die Handlung ist komplexer geworden. Almodóvars große Hymne an die Menschlichkeit und an die weibliche Solidarität, wie ein Kritiker den Film einmal nannte, spielt in einem Universum der großen archaischen Gefühle. „Das einzig Echte an mir sind meine Gefühle“, sagt La Agrado. Das gilt auch für Almodóvars Film, dessen Darstellung von Gefühlen stets authentisch und glaubwürdig ist.
Heute Abend um 18 Uhr 30 zu sehen in der hauptstädtischen Cinémathèque
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