Referendum 2015 / Als Koalition, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Medien und Kirche bloßgestellt wurden
Es ist eines jener Jubiläen, an das sich regierende Parteien nur ungern erinnern: Am 7. Juni vor fünf Jahren musste die Dreierkoalition beim Dreifach-Referendum eine herbe Niederlage einstecken. Nicht nur das vorgeschlagene Wahlrecht für Nicht-Luxemburger wurde mit einer erdrückenden Mehrheit zurückgewiesen, sondern ebenfalls die zeitliche Begrenzung der Ministermandate und das Herabsetzen des aktiven Wahlalters. Das Ergebnis spiegelte die damalige Stimmung einer mehrheitlich für das Ausländerwahlrecht noch verschlossenen Bevölkerung wider, wurde jedoch auch als nachträgliche Ohrfeige an drei Parteien interpretiert, die zwei Jahre zuvor die CSV ausgebootet und dem Land ein Sparpaket aufgebrummt hatten.
Die neue Koalition war mit dem erklärten Ziel angetreten, die Fenster weit aufzureißen. Sie wollte das Land vom alten Mief des CSV-Staates befreien. LSAP und DP, bisher kleine Koalitionspartner einer starken CSV, sahen die Chance gekommen, ihre Reformfantasie ungezügelt ausleben zu können. Das Land sollte gesellschaftspolitisch an das 21. Jahrhundert angepasst werden, nachdem es wirtschaftlich längst das von der Schwerindustrie geprägte Zeitalter verlassen hatte.
Nicht zufällig stand das Kapitel über das „Renouveau démocratique“ gleich zu Beginn des Koalitionsabkommens im Jahr 2013. Im Zuge der neuen Verfassung, die man dem Land demnächst versprach, sollte der wahlberechtigte Anteil der Bevölkerung per Referendum über Kernelemente dieses demokratischen Neustarts befragt werden: Die institutionelle Entflechtung Kirchen/Staat, festgemacht an der Bezahlung der Priestergehälter durch den Staat, dann das Chamber-Wahlrecht für Nicht-Luxemburger, die Begrenzung der Mandatsdauer für Minister und schließlich das Herabsetzen des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre.
„Opgepasst! E Kräiz ass séier gemaach“
Überraschend schnell konnte man sich mit den Glaubensgemeinschaften, insbesondere dem Bistum, auf die prinzipielle Trennung einigen, sodass diese Frage, die nicht nur CSV-Wähler beunruhigte, ausgeklammert werden konnte. Die Diskussionen während der langen Referendumskampagne sollten sich hauptsächlich auf die Öffnung des Wahlrechts für Nicht-Luxemburger fokussieren.
Getragen wurden die Vorschläge im Parlament lediglich von den „déi Lénk“-Abgeordneten. Die ADR lehnte resolut jegliche Diskussion über eine Nicht-Luxemburger-Beteiligung an den Parlamentswahlen ab. Die CSV sprach sich nicht prinzipiell gegen eine Vergrößerung der Wahlbevölkerung aus. Sie bevorzugte jedoch eine Vereinfachung des Zugangs zur Staatsangehörigkeit. Während der Parlamentsdebatte über das Referendumsgesetz 2015 schlug der damalige CSV-Fraktionsvorsitzende und spätere Spitzenkandidat Claude Wiseler u.a. vor, in Luxemburg geborenen Kindern die Luxemburger Staatsbürgerschaft automatisch zuzuerkennen. Die Wähler versuchte die Partei während der Kampagne mit dem Slogan „Opgepasst! E Kräiz ass séier gemaach“ zu verunsichern.
Die Erklärungsbemühungen von Parteien, Gewerkschaften und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft, es gehe bei der Frage um Wahlbeteiligung darum, einen seit langem bemängelten Demokratiedefizit zu beseitigen und um gesellschaftlichen Zusammenhalt, konnten die Vorbehalte der Gegner nicht beseitigen. Im Gegenteil, sie bekräftigten die Neinsager in ihrer Meinung, das Land vor Nicht-Luxemburger verteidigen zu müssen. Insbesondere in den sozialen Medien entbrannten heftige Wortgefechte und regelrechte Kampagnen gegen das Ausländerwahlrecht. Als Plattform diente dazu u.a. die „Nee2015“ des späteren ADR-Wahlkandidaten Fred Keup. Auf der Webseite der Chamber konnten sich Befürworter und Gegner für bzw. gegen die Wahlrechtsöffnung ausdrücken. Die Opposition entwickelte sich hauptsächlich außerhalb der klassischen Medienwelt. Zeitungen, Fernsehen und Radio propagierten unverblümt ein dreifaches Ja, auch wenn kritische Stimmen durchaus zu Wort kamen.
Übergewicht des öffentlichen Dienstes reduzieren
Das Lager der Ja-Sager konnte auf scheinbar einflussreiche Kräfte zählen. Die Arbeitgebervertreter sprachen sich nicht erst seit dem Regierungswechsel Ende 2013 für eine Öffnung des Wahlrechts für Nicht-Luxemburger aus, auch wenn sie dies nicht eindeutig formulierten. Bereits Anfang desselben Jahres hatten Handelskammer, Handwerkskammer und ASTI zu einer Konferenz zum Thema Ausländerwahlrecht eingeladen. Auf der Webseite der Handelskammer hieß es anschließend dazu: „Pierre Gramegna, Directeur Général de la Chambre de Commerce, a rappelé l’importance de l’apport des étrangers dans l’économie luxembourgeoise: les étrangers représentent 2/3 des salariés, 3/4 des créateurs d’entreprises et un peu moins de la moitié des résidents sur le territoire. Ils n’ont cependant pas de voix lors des élections législatives et il existe un réel déphasage entre la réalité socio-économique du pays et la donne politique.“ Eine Haltung, die das Patronat, u.a. durch seinen Dachverband UEL, auch während und nach der Referendumskampagne einnehmen sollte. Wobei außer der Beseitigung des Demokratiedefizits wohl auch der Gedanke mitgespielt haben dürfte, durch eine Öffnung des Wahlrechts das Übergewicht des oftmals konservativ eingestellten öffentlichen Dienstes im Wählerkorps zu reduzieren.
Unmissverständlich sprachen sich die beiden großen Gewerkschaften des Privatsektors, OGBL und LCGB, für das Ausländerwahlrecht aus. Der damalige OGBL-Präsident André Roeltgen sah in seiner 1.-Mai-Rede 2015 die Legitimität von Parlamentsentscheidungen verstärkt, wenn mehr Bürger sich an Wahlen beteiligen würden. Die Staatsbeamtengewerkschaft CGFP gab sich zurückhaltender. Sie bevorzuge es, die „Integration unserer ausländischen Mitbürger über den Weg der doppelten Nationalität voranzutreiben und nicht lediglich über das Zugeständnis des Wahlrechts“, so der damalige Generalsekretär Romain Wolff anlässlich eines Rundtischgesprächs auf Radio 100,7. Mit dieser nuancierteren Haltung handelte sich die Gewerkschaft den Vorwurf ein, mit der ADR und der CSV unter einer Decke zu stecken.
Das Ergebnis der Volksbefragung fiel eindeutig aus. Auch wenn zuvor vielen Ja-Befürwortern seit längerem gedämmert hatte, dass das Ganze schlecht ausgehen würde, überraschten die klaren Aussagen der Wählerschaft: 81 Prozent gegen das Herabsetzen des Wahlalters, 77 Prozent gegen das Ausländerwahlrecht und 69 Prozent gegen die Mandatsbegrenzung in der Regierung.
CSV und ADR sehen sich als Gewinner
Der Ausgang des Referendums war auch eine Schlappe für Gewerkschaften, Unternehmensverbände, Medien, katholische Kirche und alle sich zur intellektuellen Elite des Landes zählenden Bürger. Doch auch die Meinungsforscher holten sich eine blutige Nase. Nicht dass sie haushohe Siege der Regierungskoalition ermittelt hatten, doch ihr negatives Ergebnis war weit knapper ausgefallen, auch wenn der Anteil der Nein-Sager im Laufe der Referendumskampagne stets größer geworden war. Eine im Auftrag der damaligen Wochenzeitung Le Jeudi kurz vor der Befragung erstellte Umfrage hatte eine knappe Nein-Mehrheit bei der Frage des Ausländerwahlrechts errechnet.
Zu den Gewinnern am Referendumsabend zählte sich die CSV. „Diese Regierung hat unserer Meinung nach einfach nicht mehr den nötigen Rückhalt, um wichtige Reformen für das Land anzugehen. Blau-Rot-Grün steht vor einem Scherbenhaufen“, sagte CSV-Fraktionschef Claude Wiseler nach der Volksbefragung auf der hauseigenen Homepage.
Als Sieger sahen sich auch die ADR und die ihnen nahe stehende „Nee2015“, die sich später in „Wee2050“ umbenennen sollte. Anders als die CSV konnte zumindest ein Mann von „Nee2015“ den Erfolg von 2015 bis über die Parlamentswahlen von Oktober 2018 retten. Fred Keup dürfte bald ins Parlament rücken, wenn Gast Gibéryen seinen Rücktritt genommen haben wird.
Dreierkoalition kaum Schaden genommen
Der Dreierkoalition hat das Referendumsdebakel langfristig jedoch kaum geschadet. Die Ohrfeige von 2015 war wohl nicht so sehr ihrer fortschrittlichen Gesellschaftspolitik geschuldet, sondern vielmehr dem vielerorts als ungerecht empfundenen „Zukunftspak“ zur Ausbalancierung der Staatsfinanzen. Auch dürfte so manch naiv mitfühlender Wähler das Gejammer der CSV als bare Münze genommen haben, sie sei als stärkste Fraktion trotz Stimmenverlusten quasi unrechtmäßig aus der Machtzentrale gejagt worden.
Insofern sollte der damalige CSV-Abgeordnete und Vizepräsident des Institutionsausschusses im Parlament, Paul-Henri Meyers, recht behalten, als er 2014 vor den Tücken von Volksbefragungen gewarnt hatte. Er befürchte, dass ein Referendum nicht die gestellte Frage an sich beantworten werde, vielmehr werde man für oder gegen die aktuelle Regierung sein, sagte er in einem Interview für „Le Quotidien“.
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Dass es endlich einmal einen Versuch gegeben hat so einen Schritt zu tun ist schon mehr als lobenswert.Die Dino-Partei CSV hätte so etwas nie gemacht,wissen die Christen doch mit Demokratie nichts anzufangen. “ Halt den Mund und rühr dich nicht,ist die erste Bürgerpflicht.“ Aber die nächste Generation reift heran und die alten Grundmauern der Gesellschaft bekommen Risse. Grenzen fallen,nicht nur geographisch. Und ein Zusammenleben auf so engem Raum wie er bald in Luxemburg herrschen wird,sollte durch Mitbestimmung aller Bürger gesichert sein. Nachdem wir den lieben Gott aus den Schulen verbannt haben,sollten wir jetzt die konservativen Holzköpfe umprogrammieren und ihnen zeigen wo die Zukunft ist. „Fir de Choix?“- Nein,wir haben keine Wahl.Demokratie ist für alle da.
Für wie dumm halten Sie die Leute eigentlich? Monate vor dem Referendum wurde heiß diskutiert – über die 3 Fragen und nicht über die Parteien. Die waren den meisten in dem Fall herzlich egal.
Nur ein sehr kleiner Teil der Wahlberechtigten wollte den Parteien
eins auswischen. Die meisten haben nach Fakten gewählt.
Leider hat es eine Vermischung gegeben, als irgend jemand mit dem Slogan „3 x Nee“ publizierte. Der war unzweckmäßig, denn er hat die 3 Punkte auf einen reduziert: das Wahlrecht.
Aber mit der Behauptung, das Resultat des Referendums wäre nur Parteienbashing gewesen, scheinen einige Befürworter ein Schlopfloch schaffen zu wollen, um das Wahlrecht trotzdem einzuführen.
Wir werden aufpassen, dass das nicht passiert!
Was spricht dagegen, die Staatbürgerschaftsprozeduren weiter zu vereinfachen? Das wäre ein nachhaltiger Schritt. Ausländerwahlrecht wäre eine Hopp-On-Hopp-Off-Lösung, die dem Land nicht gut tun würde. Deshalb weiterhin ein klares NEIN.
So nobel und humanistisch das Anliegen (mancher) Fragen des Referendums waren – die Art und Weise, WIE die Regierung die Sache angegangen ist, hat wohl auch einiges zum Ergebnis beigetragen. Neben den im Artikel angeführten Gründen würde ich noch folgendes hinzufügen :
1. wieso wurden bei diesem ersten Versuch der partizipativen Demokratie gleich 3 Fragen an die Bevölkerung gestellt? Eine Stereotypierung der Inhalte liegt nahe… (mir bleibt die treffliche Karikatur einer luxemburgischen Wochenzeitung in Erinnerung, Stichwort „…und gegen die Tram bin ich auch“)
2. wo blieben die für ein Volksentscheid so wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen? *Unabhängige* Diskussionen!?Und damit hängt ein anderer wesentlicher Punkt zusammen :
3. wie soll ein Volk *frei* entscheiden, wenn die Regierung, die die Volksbefragung in Auftrag gibt, gleichzeitig Prop…pardon, Werbung für die eigene Position betreibt? Zunächst mal führt es die Idee der Volksbefragung ad absurdum („Wir wollen dass ihr dies wollt!“), und der Querulanten-Effekt ist dann wohl vorprogrammiert…
Verpasste Chance, schade drum!
Ich möchte erst einmal betonen das ich kein Rassist bin, aber ich bin der Meinung das in einem Land egal wo auf der Welt, in diesem Fall Luxemburg nur diejenigen zur Wahlurne gehen sollten die die Luxemburgische Staatsbürgerschaft haben, ich denke nicht das andere Länder ausländische Bewohner ohne deren eigene Staatsbürgerschaft wählen lassen, denn dann müßte man ja auch erlauben das fremde Abgeordnete hier in der Chambre des Deputés ihre Stimmen abgeben und somit die Geschicke unseres kleinen Landes beeinflussen.
Das wird dann aber sehr lustig, wir haben ja jetzt schon ein Kasperletheater.
Interessante Analyse. Die Art und Weise, WIE die Regierung die Sache angegangen ist, hat aber wohl auch einiges zum Ergebnis beigetragen – so nobel und humanistisch ihr Anliegen auch war. 3 Fragen meinerseits :
1. wieso wurden bei diesem ersten Versuch der partizipativen Demokratie gleich 3 Fragen an die Bevölkerung gestellt? Eine Stereotypierung der Inhalte liegt nahe… (mir bleibt die treffliche Karikatur einer luxemburgischen Wochenzeitung in Erinnerung, Stichwort “…und gegen die Tram bin ich auch”)
2. wo blieben die für ein Volksentscheid so wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen? *Unabhängige* Diskussionen!?Und damit hängt ein anderer wesentlicher Punkt zusammen :
3. wie soll ein Volk *frei* entscheiden, wenn die Regierung, die das Volk befragen will, gleichzeitig Werbung für die eigene Position betreibt? Zunächst mal führt es die Idee der Volksbefragung ad absurdum (“Wir wollen dass ihr dies wollt!”), und der Querulanten-Effekt ist dann wohl vorprogrammiert…
Verpasste Chance, schade drum!
@ HeWhoCannotBeNamed
Super Analyse!
Hinzufügen möchte ich noch Folgendes: Dilenttastismus. War froh daß es einen Wechsel hab und die „Fenster groß aufgerissen wurden“ aber ohne öffentliche Diskussion das Volk befragen war ein rotes Tuch, nicht nur für Querulanten. Die Geschicke de in der Geschichte Luxemburgs der letzten 400 Jahre, hätte die Elite / Intelligentia zum Nachdenken führen müssen.
Zuerst die Bedingungen zum Erwerb der Nationalität der verschiedenen Ländern vergleichen. Feststellung: Nirgends bekommt man den Pass so billig und einfach nachgeworfen wie in Luxemburg!