Forum / Alte und neue Gefahren, alte oder neue Kommission
Vom Weltall aus gesehen ist Europa ein kleiner Wurmfortsatz des asiatischen Superkontinents. Eine Art Blinddarm der geologischen Struktur des Planeten. Die Europäer kennen nicht einmal ihre Grenzen zu Asien und Afrika. Türkei und Israel spielen in den Europäischen Sportmeisterschaften. Russlands Grenze mit Asien wird theoretisch im Ural-Gebirge gezogen. In Wirklichkeit ist die Weltgeschichte ein fließendes Hin und Her von Kriegen, Völkerwanderungen, Eroberungen und Verschmelzungen.
Den „echten Luxemburger“ gibt es so wenig wie den „echten Europäer“. Einen Migrations-Hintergrund kennzeichnet viele EP-Kandidaten: Isabel Wiseler-Lima, Liz Braz, Mars Di Bartolomeo, Amela Skenderovic oder Jana Degrott stehen für eine gelungene Integration.
Das neugewählte Europäische Parlament ist rechts-gestrickter, aber auch bunter als das vorherige. Es gibt Abgeordnete aller Religionen und aller Hautfarben. Vor allem gibt es Abgeordnete aus vielen Dutzend verschiedener Parteien.
Die Bundesrepublik hatte 96 Sitze zu verteilen. Dafür bewarben sich 35 verschiedene Listen. Das sehr Europa-skeptisch eingestellte deutsche Verfassungsgericht sprach sich gegen eine bei deutschen Wahlen bestehende Untergrenze aus. Die 5%-Klausel sei in Deutschland zur „Stabilität“ der Regierung notwendig. In Europa wähle das Parlament keine Regierung, deshalb dürfe die Vielfalt der demokratischen Meinungen nicht eingeschränkt werden. Somit können nunmehr 14 deutsche Parteien im EP mitbestimmen, darunter Jux-Vereine wie „Die Partei“, „Integraler Tierschutz“ oder „Familie“.
Belgien, 22 Sitze, entsendet Vertreter von 13 Parteien. In Holland teilen sich zehn Parteien 31 Sitze. In Dänemark sind es zehn Parteien für 15 Sitze. In Litauen acht Parteien für elf Sitze. In Luxemburg entfielen die sechs Sitze auf fünf Parteien. Angetreten waren 13 Listen. Die acht leer ausgehenden Parteien vereinigten nahezu 14% aller Stimmen. Den Gegenwert eines vollen Sitzes. Was erklärt, weshalb sowohl ADR wie Grüne mit je 11,76% einen Restsitz günstig einheimsen konnten.
Zersplitterte Verantwortung
Diese zunehmende Zersplitterung ist nicht gut für Europa. Auch wenn die Karlsruher Verfassungs-Richter es nicht wahrhaben, ist das EP inzwischen ein Gesetzgeber mit weitreichenderen Befugnissen als der Bundestag.
Die europäische Architektur wird von den wenigsten verstanden. Die Kommission besitzt bei Gesetzgebung alleiniges Vorschlagrecht. Doch jeder Vorschlag der Kommission, ob eine Europäische Verordnung (die sich den nationalen Gesetzen überordnet) oder eine Europäische Direktive (die von 27 Parlamenten ins nationale Recht umzusetzen ist), muss doppelt und im gleichen Wortlaut genehmigt werden: vom Ministerrat in Vertretung der 27 Regierungen sowie vom Europäischen Parlament, den direkt gewählten Vertretern der Völker Europas.
So der hochgelobte „Green New Deal“ der Kommission von der Leyen. Damit sollte die EU vorbildhaft den Rest der Welt auf den Pfad der Klima-Tugend einschwören. Durch immer ambitiösere Ziele bei der Reduzierung von Klimagasen, bei der energetischen Transition und anderen hehren Zielen. Dabei hat sich der Anteil Europas am globalen Ausstoß von Klimagasen mehr als halbiert. Tendiert gegen 6%. Bei weiterhin weltweit ansteigenden Klimagasen. Praktisch der gesamte Rest der Welt teilt die europäische „Enthaltsamkeit“ nicht.
Ideologische Scheuklappen
Amerikaner wie Chinesen oder Inder setzten auch auf Fotovoltaik und Windturbinen. Verfolgen ebenfalls das Produzieren von Wasserstoff als saubere Energiequelle. Fördern Elektromobilität. Setzen auf weitere „grüne“ Ziele.
Aber ohne die ideologischen Scheuklappen der Europäer. Wie ein Beobachter feststellte: Die Chinesen haben einen Plan, die Amerikaner schaffen technologieoffene Anreize, die Europäer reglementieren alles bis ins kleinste Detail.
Allein die Europäer beschlossen das „Aus“ für den Verbrennungsmotor bis 2035. Nur für die Europäer ist Wasserstoff erst „grün“, wenn er über zusätzliche erneuerbare Quellen produziert wird. Die Europäer visieren die totale Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft. Karbonhaltiges Erdgas wird als Übergangslösung geduldet. Aber das Fördern von Schiefergas bleibt in Europa verboten. Wird bloß in flüssiger Form aus den USA importiert.
Atom-Energie bleibt in den meisten Teilen der Union ein Tabu. Obwohl der Weltklimarat IPCC festhält, ohne zusätzliche CO2-freie Kernenergie sei die globale Energiewende nicht zu schaffen. Chinesen, Inder, Indonesier, Amerikaner, Russen, Türken, Briten, Franzosen, selbst die ölreichen Golfstaaten bauen Kernkraftwerke. Unser Parlament bleibt einstimmig gegen Cattenom.
China ist führend bei der Produktion von Wind- und Sonnenkraft-Anlagen. Produziert ebenfalls die meisten Elektroautos. Nunmehr in der EU von Strafzöllen bedroht. Weil anscheinend Peking deren Produktion subventioniert. Erhielt Elon Musk keine Subventionen für den Bau seines Tesla-Werkes bei Berlin? Gibt es nicht auch in Luxemburg Zuschüsse beim Kauf eines E-Autos?
Eine Reindustrialisierung der Union ist absolut notwendig. Kommt jedoch nicht, wenn die Brüsseler Kommission und das Parlament in Straßburg dauernd neue Auflagen erfinden, wie beispielsweise das moralinhafte Lieferketten-Gesetz. Im Rest der Welt nicht umsetzbar.
Die USA haben sich mit ihren Klima-Gesetzen Instrumente gegeben, die allen Investoren Steuervorteile bieten, wenn sie in klimanützliche Technologien investieren. Wobei Washington im Gegensatz zu Brüssel keine bürokratische „Taxonomie“ der angeblich „nachhaltigen“ Aktivitäten in Stein meißeln ließ.
Weshalb Europas Biotechnologie, Chemie und selbst Metall-Industrie zunehmend in die USA emigriert. Die Europäer waren lange führend bei der Produktion von Autos, von Stahl und vielen anderen Produkten. Heute gibt es keinen Industriezweig und selbst keinen Bereich der Dienstleistungen mehr, wo die EU die Nummer eins stellt.
Dieser Tage tagte in Dubai der Weltkongress von IATA. Laut der internationalen Organisation der Luftfahrt steigt der Flugbetrieb nach Corona zu neuen Höhen auf. Dieses Jahr werden an die fünf Milliarden Menschen ein Flugzeug nützen. Die IATA rechnet in den nächsten 15 Jahren mit vier Milliarden zusätzlichen Passagieren. Davon rund 600 Millionen in Europa, der weitaus größte Teil in Asien, im Nahen Osten und selbst in Afrika. Dutzende neue Flughäfen entstehen in China, in Indien, in den Golf-Staaten. In Europa wird jede Pistenerweiterung bekämpft. Meistens unter Vorwand der Null-Emissionen bis 2040. Wohin mit neun Milliarden Passagieren bis dahin?
Die nächste EU-Kommission wird viele grüne Träume begraben und sich den globalen Realitäten stellen müssen. Für die rebellierende Bauernschaft wurde beim „grünen Deal“ schon manches abgebaut. Andere Korrekturen müssen erfolgen.
Deshalb sei die Frage erlaubt, ob Ursula von der Leyen wirklich die richtige Person für eine erneute Führung der Union ist? Weshalb nicht Mario Draghi, der als Präsident der Europäischen Zentralbank bei der Finanzkrise von 2008 im Alleingang den Euro vor den Attacken der Spekulanten rettete? Europa benötigt ein neues „Whatever it takes“, um seine planetarische Zukunft zu sichern.
- Was läuft am Wochenende? - 28. November 2024.
- EU-Parlament gibt grünes Licht für von der Leyens Kommission - 27. November 2024.
- Eine Person lebensgefährlich verletzt – Experten ermitteln, Straße bleibt noch gesperrt - 27. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos