Lügen, Propaganda und wirre Theorien / Alternative Medien und Verschwörungstheorien richtig erkennen – Schwurbel-Imperium Kla.TV
Die Corona-Pandemie hat sich als fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien erwiesen. Das hat mit der Professionalisierung sogenannter alternativer Medien zu tun. Das Tageblatt hat bei Medienexperten nachgefragt, wie man sich am besten vor ihren Fake News schützen kann.
Alternative Nachrichtenmedien haben während der Corona-Pandemie verstärkt Verschwörungstheorien unter die Menschen gestreut. Zu diesem Schluss kommt ein Team von Kommunikationswissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Doch worin unterscheiden sich „alternative Nachrichtenmedien“ von regulären Medien? Die Forscher schreiben, dass sich alternative Medien oft als „kritische Gegenstimme und Korrektiv zu journalistischen ‚Mainstream-Medien‘ verstehen“. Die von ihnen beleuchteten Stimmen und abweichenden Erkenntnistheorien würden im „Mainstream“ unterrepräsentiert, geächtet oder anderweitig marginalisiert dargestellt werden. Alternative Medien sind zudem hauptsächlich online aktiv, schreiben die Forscher.
Die Art der Berichterstattung alternativer Medien, besonders in den Zeiten der Pandemie, zeichne sich durch das Zurechtbiegen der Faktenlage sowie der Verbreitung von Gerüchten und Verschwörungstheorien aus. Nicht selten würden dabei Gegebenheiten wie der Klimawandel, die Flüchtlingskrise, das Coronavirus und Weltuntergangstheorien miteinander vermischt und kausale Zusammenhänge geschaffen werden.
„Die alternativen Medien verbreiten ihre Botschaften subtil in einer harmlos wirkenden Kommunikationsstrategie. Offensichtliche Falschmeldungen passen nicht zu dieser Vorgehensweise. Wir haben jedoch populistische Tendenzen in ihren Beiträgen festgestellt“, schreibt Thorsten Quandt, einer der Studien-Autoren und Medienexperte. Diese Feststellung basieren die Kommunikationswissenschaftler auf ihre Analyse von insgesamt 120.000 Facebook-Posts, wovon allein 15.000 von „alternativen Medien“ stammen. Die Studie wurde sehr früh zu Beginn der Pandemie durchgeführt und ist bis heute wegweisend, um die Kommunikationsmuster alternativer Medien besser zu verstehen.
LINK Hier finden Sie ein PDF der Studie.
Überlappende Kreise
Viele dieser Beiträge würden kritische und beleidigende Aussagen gegenüber Politikern enthalten, wodurch langfristig eine kritische Haltung gegenüber Politikern, Flüchtlingen, dem Klimawandel oder „dem System“ erzeugt werden soll, schreiben die Forscher.
Wie sich herausstellt, decken sich die Kreise verschiedener Impfgegner und Verschwörungstheoretiker zum Teil. In einer Telegram-Gruppe von Impfgegnern werden die wildesten Theorien geteilt: So zum Beispiel, dass Bill Gates die DNA der ganzen Menschheit umprogrammieren will. Eine weitere Theorie besagt, dass der Wasserwerfer, der bei der Demonstration am Samstag zum Einsatz kam, mit abgelaufenem Impfstoff gefüllt gewesen sein soll – und dass Premier Minister Bettel sogar selbst hinter dem Steuer einer dieser Fahrzeuge gesessen haben soll.
Das wilde Vermischen von verschiedenen Begebenheiten und Theorien lässt sich auch in Luxemburg beobachten. Auch die geplante Verfassungsreform wird gerne dafür genutzt. Die ADR sagte z.B. bei ihrer Infoveranstaltung in Walferdingen: „Morgen könnte man Ihnen verbieten, Haustiere zu halten“, wie das Land berichtet. Auch das Ausländerwahlrecht könnte laut ADR durch die Hintertür eingeführt werden. Pierrette Koehler, Präsidentin der ADR-Sektion Bettemburg, meinte auch: „Der Staat kann Ihre Kinder impfen lassen, ohne Sie zu fragen.“ Eine Falschaussage auf ganzer Linie.
Obwohl ein Referendum zur Verfassungsreform grundsätzlich nichts Schlechtes ist, fällt dennoch auf, dass gerade einige von Luxemburgs größten Antivax-Influencern sich für das Referendum einsetzen, so etwa Jessica Polfer, David Bettendorf und Sacha Borsellini.
LINK Hier erhalten Sie mehr Informationen zur Verfassungsreform.
Anlaufstelle für „Andersdenkende“
Eine Schweizer Plattform wird besonders oft in den Gruppen der Maßnahmen- und Impfgegner erwähnt und als Informationsquelle genutzt: Klagemauer TV – kurz Kla.TV. Auf den ersten Blick scheint die Webseite recht professionell aufgebaut zu sein und visuell einen soliden Eindruck zu machen. Dazu sagt die Medienwissenschaftlerin Katharina Christ der Universität Trier auf Nachfrage des Tageblatt jedoch: „Insgesamt habe ich in den letzten beiden Jahren beobachtet, dass alternative Medien, die u.a. verschwörungstheoretisches Gedankengut verbreiten, immer professioneller arbeiten, was man u.a. an Post-Production-Elementen wie Intros, Outros, eigenen Logos usw. erkennen kann.“
Sowohl sprachlich, inhaltlich als auch visuell sei eine Anlehnung an klassische Medien beobachtbar. So würden beispielsweise oft Begriffe wie „Sondersendung“ genutzt werden. Auch Bauchbinden, die die Namen der Sprecher und deren Funktion aufzeigen, würden eingeblendet sowie Mikrofone mit eigenem Logo gezeigt werden. „Die multimodale Aufmachung (Überschriften, Fließtexte, Thumbnails in verschiedenen Größen, Design, verschiedene Modalitäten wie Video und Bild) und die Farbe Blau könnten die Assoziation mit klassischen Nachrichtenseiten wecken, was vielleicht auch so gewollt ist, um einen gewissen Vorschuss an Glaubwürdigkeit hervorzurufen“, schreibt Christ.
Bei näherer Betrachtung der Rubriken und des verwendeten Wortlauts lassen sich zudem ganz einfach die von den Forschern der Universität Münster beschriebenen Charakterzüge und Darstellungsformen erkennen. Die Internetseite des Mediums ist des Weiteren gespickt mit unzähligen Kampfparolen wie: „Vereint können die kleinsten Fische im Schwarm große Rivalen vertreiben“, „Stopp den Massenmedien“ oder „Schluss mit Schönreden“.
In der Rubrik „Über uns“ wird die „hochgelobte Medienvielfalt“ als Täuschung bezeichnet. Medien und Politiker würden „die Öffentlichkeit irreführen, wichtige Tatsachen zensieren, verfälschen und unterschlagen“. Dem stellt sich Kla.TV als Retter und Heilbringer mit seiner laut eigenem Wortlaut „unabhängigen Berichterstattung zu freien Meinungsbildung“ entgegen.
Kla.TV führt am Ende der meisten Beiträge eine Liste mit Quellen auf. Doch auch diese sind mit Vorsicht zu genießen. Die Quellenüberprüfung sei für Rezipienten insofern schwierig, als die Quellen „nicht hinter jedem vermeintlich zitierten Satz zu finden sind“, schreibt Christ. Darum wüssten die Leser nicht, welche Inhalte mit welcher Quelle abzugleichen sind und würden es dann auch vermutlich nicht tun.
Das Gesicht hinter Klagemauer TV
Klagemauer TV wurde laut der Webseite von einem Mann namens Ivo Sasek gegründet. Der Gründer ist sich allerdings nicht zu schade, um auch vor die Kamera zu treten und seine Zuschauer mit Beiträgen wie etwa „Der Todescountdown läuft! Topsecret Daten … AN ALLE!“ ins oder wohl eher hinters Licht zu führen. Sasek steckt allerdings nicht nur hinter der allem Anschein nach stark besuchten Schwurbler-Webseite, er ist obendrein Gründer der Sekte „Organische Christus Generation“ (OCG) und der Anti-Zensur-Koalition (AZK).
Kla.TV, OCG und AZK sind sowohl inhaltlich als auch organisatorisch eng miteinander verknüpft, wie aus einem Spiegel-Artikel hervorgeht. Jährlich würden Veranstaltungen der AZK stattfinden. Neben der Familie Sasek treten dort eine Reihe Gastredner auf, darunter Holocaust-Relativierer (Sylvia Stolz), „Impfgegner, Elektrosmogwarner, Klimakrisenleugner, Scientologen, Ufoexperten und Finanz- und Migrationsapokalyptiker“, schreibt die Qualitätszeitung DerStandard.
Die Beiträge des „Nachrichtenkanals“ gleichen jenen der AZK-Redner. Auch die Theorien der Flat Earth Society – einer Gruppe, die trotz wissenschaftlicher Beweise glaubt, die Erde sei eine Scheibe – finden dort ihren Platz. OCG-Mitglieder würden – „ehrenamtlich“ – Sendungen für Kla.TV einsprechen, schreibt der Spiegel.
Eine Webseite der OCG scheint es nicht zu geben (oder sie ist schwer zu finden) – stattdessen gibt es aber mehrere Berichte von ehemaligen Mitgliedern der Sekte: Jörg Mayerhofer, Claudia Müller, Abigail und sogar Simon Sasek, dem ältesten Sohn des Sektengurus. Die Aussteiger berichten von der Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien und rechtsextremen Gedankenguts, die mit Esoterik vermischt werden.
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete im November 2020 zudem, dass die OCG persönliche Daten (Adressen, Telefonnummern und Mitgliedschaften) von mehr als 8.200 Politikern, Journalisten und Beamten aus dem deutschsprachigen Raum gesammelt und daraus Listen erstellt habe. Juristische Folgen soll es allerdings keine gegeben haben. Sasek werde außerdem dafür kritisiert, dass er Gewalt bei der Erziehung von Kindern befürworte, heißt es in der dpa-Mitteilung.
„Gesund ohne Impfung“
Aegis.lu ist eine weitere Internetseite „of concern“, die von luxemburgischen Schwurblern bemüht wird. Die dort angewandte Sprache ist zwar weitaus weniger hetzerisch als jene von Kla.TV, doch auch auf der Seite befinden sich potenziell gefährliche Inhalte und falsche Behauptungen. „Das Konzept der Impfungen beruht auf einer veralteten Sichtweise über das Funktionieren unseres Körpers“, heißt es auf dem Antivax-Portal.
Die Webseite zitiert den österreichischen Impfkritiker Dr. Johann Loibner: „Die Impfbetreiber reden uns ein, dass die Menschen nur durch Impfungen gesund bleiben. Demnach bräuchten wir uns nie mehr um gesunde Ernährung, reichlich Bewegung, Sauberkeit, ausreichend Schlaf, um Bildung und alle Faktoren, die uns vernunftgemäß gesund erhalten, zu kümmern.“
Allein der Gedanke, dass Impfungen ausreichen würden, um gesund zu leben, dass Geimpfte eine gesunde Lebensweise vernachlässigen können, ist völliger Schwachsinn – genauso der Vorwurf „Impfbetreiber“ würden dies behaupten. Wer sollen diese vermeintlichen „Impfbetreiber“ überhaupt sein? Das wird nicht erklärt, sondern einfach mal als Behauptung in den Raum gestellt.
Auch die Einführung der fleischlosen Montage in Luxemburgs Schulkantinen und des Nutri-Score-Systems oder das Verteilen von Obst in den Schulen – um nur einige rezente Beispiele zu nennen – zeigen, dass die Politik eine gesunde Lebensweise fördert und diese nicht allein auf das Impfen reduziert.
Die Seite wirbt außerdem für einen Vortrag, bei dem „eine ständig zunehmende Zahl verhaltensgestörter Kinder“ nicht auf eine falsche Erziehung, sondern auf unverträgliche Nahrungsmittel und vor allem aber Impfungen zurückgeführt wird. Ein bekanntes Narrativ bei Impfgegnern.
Schutz vor Fake News
„Es gibt keine Sicherheit“, antwortet Frank Hofmann, Professor der Philosophie an der Uni.lu. In seinen Studien hat sich Hofmann viel mit Denkmustern und Glaubensbildung auseinandergesetzt. Er kommt zum Schluss, dass die besten Mittel, um sich vor Fake News, Gerüchten oder Vorurteilen zu schützen, in „vernünftigem Hinterfragen, langsamem Lesen, Reflexion und kritischem Nachdenken über Kohärenz“ liegen.
Folgende Fragen sollte man sich laut Hofmann beim Konsumieren von Medien stellen: „Passt das zusammen mit dem, was ich schon gelernt habe? Was ist es genau, was da behauptet wird? Wird hier nur etwas suggeriert? Und wofür werden Belege geliefert und was wird einfach so behauptet?“
Die sozialen Medien würden noch zusätzliche Gefahren in sich bergen: Ihre „rasante Geschwindigkeit“ würde „eine gründliche Verarbeitung und Beurteilung aus angemessener Distanz“ untergraben, sagt Hofmann. Seriöse Quellen zu finden sei allerdings nicht so schwer. Er verweist hierfür auf jene von universitären Einrichtungen, die gründlich geprüft werden und staatliche Stellen (von freiheitlichen westlichen Demokratien).
„Bei Privatpersonen, die etwas ins Internet stellen, ist Vorsicht geboten“, warnt Hofmann. Man müsse sich die Frage stellen, ob die Person überhaupt über Kompetenzen in dem Bereich verfügt, zu dem sie sich äußert. Dies gilt insbesondere für medizinische Äußerungen zu hochkomplexen Detailfragen rund um Impfungen. „Selbst wenn da ein Doktortitel steht, ist zu fragen, ob der nicht zu einem anderen Bereich gehört, sodass die betreffende Person gar nicht als Experte spricht“, sagt Hofmann. Und weiter: „Reißerische Aufmachung, simplizistische Überschriften – wie z.B. ‚Stoppt alle Massenmedien!‘ – und Pauschalisierungen sind gute Indizien für nicht seriöse Inhalte.“ Die Luxemburger Schwurblerseite „Expressis-Verbis“ nutzt z.B. genau diese Mechanismen aus, um die wirren Ansichten von promovierten, aber hochumstrittenen Experten zu verbreiten.
Eine wichtige Unterscheidung sollte zudem mit Blick auf die alternativen Medien getroffen werden. Außerhalb des Pandemiekontexts haben sie eine lange Tradition und sind nicht per se durch Verschwörungen charakterisiert. Sie gehören zur sogenannten öffentlichen Laienkommunikation und können auch eine konstruktive Rolle einnehmen. Die bekanntesten Beispiele stammen aus dem Bereich des sogenannten „Citizen Journalism“ (Bürgerjournalismus). Der Schweizer Forscher Stefan Bosshart konnte allerdings in einer Studie nachweisen, dass die öffentliche Laienkommunikation professionellen Journalismus nicht ersetzt, sondern oft auf dessen Quellen basiert. Es komme zudem nicht zur Verdrängung oder Konkurrenz zwischen klassischen und alternativen Medien, sondern zur Komplementarität. Das kleine Problem: Wenn die komplementären alternativen Medien die oben beschriebenen Hirngespinste verbreiten, statt eine sachlich-kritische Rolle einzunehmen und etablierten Journalismus konstruktiv herauszufordern.
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