/ Am Anschlag, aber nicht auf der Strecke: CFL-Chef Marc Wengler zu den Herausforderungen der Bahn in Luxemburg
Ab dem 1. März 2020 ist der öffentliche Transport in Luxemburg gratis. Der zuständige Minister François Bausch vermittelt dies als soziale Maßnahme. Was aber sagen die unmittelbar Betroffenen, die diese politische Vorgabe umsetzen müssen? Wir sprachen mit CFL-Generaldirektor Marc Wengler, der das größte Investitionsprogramm in die schienengebundene Mobilität mit den Bahnangestellten umsetzen soll – und der parallel mit wachsender Kritik der Kunden konfrontiert ist.
„Kunden“ werden die Fahrgäste intern beim Bahnunternehmen genannt, und als solche sollen sie auch gesehen werden, auch wenn die althergebrachten luxemburgisierten Gewohnheitsbegriffe „Üsajee“ (usager) oder „Wuaiajör“ (voyageur) immer noch ins Gespräch einfließen.
Die Firmenkultur in dem öffentlichen Unternehmen, das in dieser Form erst 1946 gegründet wurde, hat sich offensichtlich verändert. Stärker als die Kultur verändert sich allerdings zurzeit so ziemlich alles, was mit der Luxemburger Bahn zu tun hat.
Ein Ausbau historischen Ausmaßes mit Investitionen in nie gekannter Höhe soll die CFL für die enormen Herausforderungen fit machen, die durch einen enormen Zuwachs an Passagieren und den politisch gewollten, konsequenten Ausbau des öffentlichen Transports entstanden sind.
Von seinem Büro in der obersten Etage des CFL-Verwaltungsgebäudes, direkt am Hauptbahnhof Luxemburg gelegen, hat Generaldirektor Marc Wengler einen guten Blick über den Bahnhof, die „Passerelle“, die das Garer Viertel mit Bonneweg verbindet, hat auch das „Casino syndical“ (Sitz der Eisenbahnergewerkschaft) im Auge und sieht vor allem den Fortgang der Umbauarbeiten aus erster Reihe.
Zwei neue Bahnsteige entstehen hier, neben vielen anderen Projekten – eine der Voraussetzungen, um das sternenförmig von Luxemburg-Stadt ausgehende Netz kapazitätsmäßig ausbauen zu können. Und anhand dieser Arbeiten kann Wengler auch eines der Hauptprobleme des Ausbaus illustrieren.
Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar von Robert Schneider.
Der Hauptbahnhof muss vergrößert werden, die Arbeiten für die zwei neuen „Quais“ können aber nur bei gleichzeitiger Schließung der zwei daneben liegenden Bahnsteige realisiert werden.
Beschränkungen dieser Art gelten für viele der aktuellen Arbeiten, die bei laufendem Betrieb durchgeführt werden, und diese Investitonen in die Infrastruktur haben es in sich …
Wurden zwischen 2008 und 2017 knapp 2,2 Milliarden Euro in die Bahn gesteckt, so werden es zwischen 2018 und 2027 knapp 4 Milliarden Euro sein.
Schweiz und Österreich abgehängt
Bereits 2016 investierte Luxemburg rund 600 Euro pro Einwohner und pro Jahr in die Bahninfrastruktur.
Es waren dies 222 Euro mehr, als die Schweizer für ihre Bahn ausgaben, und dreimal mehr als die Österreicher (vergl. nebenstehende Tabelle). Und die Investitionen in Luxemburg werden weiter steigen.
Im angelaufenen Jahr wird u.a. am zweiten Viadukt in Pulvermühle gebaut, der doppelgleisige Ausbau der Strecke Luxemburg-Sandweiler-Contern wird finalisiert, Arbeiten am Wasserbilliger Bahnhof, an der neuen Trasse Luxemburg-Bettemburg, am Schifflinger und Rodanger Bahnhof, Modernisierungen an den Stationen Mersch und Ettelbrück, der Abbau einer Bahnschranke in Walferdingen.
Die Büchler-Brücke am Hauptstadt-Bahnhof wird daneben von der Straßenbauverwaltung durch ein neues Bauwerk ersetzt, zahlreiche weitere Unterhalts- und Modernisierungsarbeiten am Netz werden durchgeführt.
Im Laufe dieses Jahres soll dann der Bahnsteig Nummer 5 im Zentralbahnhof in Betrieb gehen, was wohl schon eine gewisse Entlastung bedeutet, Ende 2021 werden die beiden neuen „Quais“ fertiggestellt sein.
Und: „Es gibt keinen Meter Schiene auf dem Luxemburger Netz, wo aus Gründen des schlechten Zustandes der Gleise langsamer gefahren werden muss“, unterstreicht Wengler. Im Ausland sei dies längst nicht immer so.
Netz nicht einfach skalierbar
Auf die Frage, ob denn noch kurzfristig zusätzliche Kapazitäten – etwa durch längere Züge oder höheren Takt – frei werden könnten, holt der Direktor etwas aus und verweist auf die starke Zunahme an Arbeitsplätzen in Luxemburg, die sich seit 2006 etwa verdoppelt haben, mit den damit verbundenen Mobilitätsbedürfnissen für Grenzgänger.
Die Möglichkeiten zum Ausbau der Kapazität wurden aufgrund dieser Entwicklung bereits ausgereizt; Züge können nicht länger werden als die Bahnsteige, an denen sie halten, und die Kadenz kann auch nicht unbeschränkt hochgefahren werden.
EXTRA Direktion und Gewerkschaft
In mehreren Mitteilungen sprachen sich die Eisenbahnergewerkschaften gegen den kostenlosen öffentlichen Verkehr aus, ehe die Infrastruktur darauf vorbereitet sei. In dieser Frage muss die CFL wohl die Vorgaben der Politik erfüllen.
Der FNCTTFEL-Landesverband forderte zudem die Einstellung von zusätzlichem Bahnpersonal. In diesem Zusammenhang verweist der Generaldirektor auf die rund 400 Einstellungen pro Jahr. Allerdings sei es schwierig, Personal mit der notwendigen Qualifikation zu finden, weshalb die CFL ein eigenes Ausbildungszentrum, eine Art „Léierbud“, schaffen wolle.
Auch in der Frage des „Contrat de service public“ – jenes Vertrages, der bestimmt, welche Aufgaben die Bahn wie zu erledigen hat –, dessen schnelle Erneuerung der Landesverband verlangt, verweist Marc Wengler darauf, dass dieser ohnehin 2024 auslaufe und erneuert werden müsse. Einer Modernisierung und Anpassung des Vertrags an die veränderten Rahmenbedingungen verschließe er sich nicht.
Somit scheinen die Positionen von Direktion und Gewerkschaft in wesentlichen Fragen nicht allzu weit auseinander zu liegen.
Allein schon die Tatsache, dass Luxemburg kein überschaubares S-Bahn-System, sondern ein Mischnetz mit Transitzügen, mit großem Frachtverkehr, mit vielen grenzüberschreitenden Fahrten hat, verlangt eine große Koordinierungsarbeit: Angesichts des zu bewältigenden Verkehrs leiste man gute Arbeit, so Wengler.
Die Regierung habe die Probleme erkannt und investiere großzügig, wofür die Bahn dankbar sei. Allerdings brauche es jetzt noch etwa fünf Jahre, bis der Großteil der kapazitätserweiternden Arbeiten fertig sei. Für die Zeit danach hat die Bahn bereits konkrete Überlegungen angestellt und Planungen entwickelt, wie der Verkehr organisiert werden soll. Es wird Entflechtungen von Verbindungen geben, die zurzeit die gleichen Strecken nutzen, der Verkehr wird effizienter organisiert und koordiniert werden können.
Bis dahin werden die Bahn und vor allem ihre Kunden aber wohl immer wieder mit Verspätungen und ausgefallenen Zügen leben müssen. Das System ist am Anschlag und hinzu kommen Unwägbarkeiten, die nicht eingeplant werden können.
Menschen auf den Gleisen
Durchschnittlich zweimal pro Woche werden Menschen auf den Gleisen gemeldet. Dies muss dann untersucht werden, der Verkehr wird unterbrochen, erst nach einer Freigabe durch Bahnangestellte kann der Betrieb wieder aufgenommen werden. Auch mit (un)schöner Regelmäßigkeit zerstörte Bahnschranken bedeuten eine nicht planbare Unterbrechung des Verkehrs.
Verspätungen wirken sich aufgrund des engen Fahrplans auf nachfolgende Züge aus, weitere Verspätungen und Ausfälle sind so nicht zu verhindern.
Dass es viele Reklamationen gibt, könne dabei auch positiv gesehen werden: Dies spreche für den wichtigen Platz, den die Eisenbahn im Leben vieler Menschen einnehme: Zufriedene Kunden sind ihm allerdings weitaus lieber, so Wengler. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen er konfrontiert ist (zudem ist der Bahndirektor auch noch zuständig für das wachsende Frachtgeschäft, das 2018 im fünften Jahr in Folge Gewinn abwirft), erscheint die Ankündigung der Regierung, den öffentlichen Verkehr kostenlos gestalten zu wollen, schon fast als Nebenschauplatz. Er verweist auf das Mantra von Bausch und auf eine soziale Maßnahme, die das kostenlose Benutzen der Züge darstelle. Was denn nun im März 2020 (der 1.3. ist das Stichdatum) im Bahnbetrieb geschehen werde.
„Ein Experiment“
Wengler verweist weiter auf die sogar weltweit durch die Maßnahme ausgelöste Aufmerksamkeit. Ob es zu einer mehr oder weniger großen Zunahme an Passagieren kommen werde, wisse er nicht, es sei eben ein Experiment. Er könne sich aber vorstellen, dass durch den Wegfall des Fahrkartenverkaufs die Schwelle zur Nutzung von Bahn und Bussen niedriger werde und besonders außerhalb der Spitzenzeiten manche neue Kunden hinzugewonnen würden – „Clients“ auch bei kostenloser Nutzung; keine „Üsajee“ mehr wie früher …
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Schon erem ken uch an d´Eiseleck!!!!!!