Grenzkontrollen / Ampel demonstriert Einigkeit, die Union geht auf Konfrontationskurs
Bundesregierung und Opposition trennten sich nach ihrem zweiten Migrationstreffen ohne Einigung. Die Ampel ist dennoch zu mehr Zurückweisungen an den Grenzen bereit. Die Union hält die Gespräche dennoch für gescheitert.
Zumindest in einem Punkt waren sich Bundesregierung und Opposition am Dienstagvormittag noch einig: Das gemeinsame Treffen zur Migration fand am Nachmittag statt. Doch damit endeten die Übereinstimmungen dann auch schon. Regierung, Opposition und Vertreter der Bundesländer gingen nach den zweiten Beratungen im Bundesinnenministerium ohne Einigung auseinander. Während die Union kritisierte, dass die von der Regierung vorgelegten Vorschläge den Herausforderungen nicht gerecht würden, zeigte die Ampel-Koalition demonstrative Geschlossenheit und die Bereitschaft zu einer Ausweitung der Zurückweisungen von Geflüchteten an Deutschlands Grenzen im europarechtlichen Rahmen.
Die Bundesregierung schlug ein neues Verfahren an den Grenzen vor, um künftig mehr Flüchtlinge an der Einreise nach Deutschland zu hindern. Danach sollen Asylsuchende, für die ein anderer EU-Mitgliedsstaat zuständig ist, dorthin zurückgewiesen werden. Eine entsprechende Prüfung soll die Bundespolizei nach dem vorgeschlagenen Modell vornehmen. Der Bund will dafür neben der Bundespolizei auch Kapazitäten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bereitstellen. Auch die Länder müssten sich am Aufbau dieses Modells beteiligen.
„Effektive Zurückweisungen“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, dass es der Regierung um „europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen“ gehe. Der Vorschlag der Bundesregierung stehe im Einklang mit europäischem Recht, so die SPD-Politikerin. Dies sei bei der Forderung der CDU nach Zurückweisungen nicht der Fall. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) betonten beinahe wortgleich, dass es nicht beim aktuellen Status quo bleiben dürfe. Dieser bedeute eine „Überforderung“, so Buschmann. Zugleich betonte der FDP-Minister: „Man kann von einer Bundesregierung nicht verlangen, dass sie sich in Widerspruch zu Recht begibt.“ Die Regierungsmitglieder zeigten sich offen dafür, das Gespräch mit der Union weiterzuführen.
Doch diese Bereitschaft wurde am Dienstagabend von Unionsseite nicht erwidert. Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte die Gespräche für gescheitert. Die Koalition sehe sich offensichtlich nicht zu umfassenden Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen in der Lage, sagte der CDU-Vorsitzende in Berlin. „Damit ist der Versuch gescheitert, einen gemeinsamen Weg zu gehen“, so Merz. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte unmittelbar nach dem Treffen, die Regierungsparteien hätten „keinen Vorschlag unterbreitet, der tatsächlich zu Zurückweisungen an der Grenze über das bisher übliche Maß hinaus führt“.
Kriminalität und Terror
Die Union hatte im Vorfeld weitreichende Forderungen an die Bundesregierung gestellt und umfassende Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen verlangt. Nach Freis Worten brauche es nicht nur stationäre Grenzkontrollen, „sondern eben auch die Zurückweisung derer, die aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat kommen und an der Grenze um Asyl bitten“. Ob damit nur sogenannte Dublin-Fälle gemeint sind, also Migranten, die in einem anderen europäischen Staat Asyl beantragt haben, blieb zunächst unklar.
Innenministerin Faeser hatte bereits am Montag einen großen Schritt unternommen: Sie ordnete vorübergehende stationäre Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen an und notifizierte diese bei der EU-Kommission. Diese Binnengrenzkontrollen, die am kommenden Montag beginnen, sollen zunächst für sechs Monate gelten. „Das dient auch dem Schutz vor den Gefahren durch den islamistischen Terror und durch schwere grenzüberschreitende Kriminalität“, sagte Faeser zur Begründung.
Mehr als 30.000 Zurückweisungen
Im BMI gibt es allerdings rechtliche Bedenken, dass sich die Zurückweisung an den Grenzen auf alle Schutzsuchende aus Drittstaaten ausweiten lässt. Das geht aus einer Bewertung des BMI hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Aus Unionskreisen wurde unterdessen Unmut laut, dass noch im Vorfeld des Treffens rechtliche Einschätzungen aus dem BMI gestreut wurden.
Tatsächlich werden bereits jetzt Menschen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen. So hat die Bundespolizei seit dem 16. Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen vollzogen. Diese Zurückweisungen würden unter anderem in Fällen erfolgen, in denen Personen keine gültigen oder gefälschte Dokumente vorlegen oder ohne Visum oder gültigen Aufenthaltstitel einzureisen versuchen, hieß es aus dem Innenministerium.
Hintergrund der jüngsten migrationspolitischen Verschärfungen der Bundesregierung dürfte auch die angespannte Situation in der Ukraine sein. Die Lage des von Russland angegriffenen Landes dürfte sich in der kalten Jahreszeit weiter verschärfen, insbesondere weil mit harten Luftschlägen Russlands gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine zu rechnen ist. Nicht ausgeschlossen ist daher, dass erneut viele Ukrainer flüchten, auch nach Deutschland. Die Schritte der Bundesregierung lassen sich auch als Vorbereitung darauf interpretieren.
Erste Reaktionen aus Polen und Österreich
Polens Regierungschef Donald Tusk hat die deutschen Grenzschutz-Pläne scharf kritisiert. „Ein solches Vorgehen ist aus polnischer Sicht inakzeptabel“, sagte Tusk am Dienstag mit Blick auf Pläne der Bundesregierung, die Kontrollen an den deutschen Grenzen auszuweiten und zu verlängern. Tusk kündigte „dringende Konsultationen“ mit anderen „Nachbarn Deutschlands“ an, die von den Plänen betroffen seien. Polen werde diese Länder „in den kommenden Stunden“ kontaktieren.
Im Vorgehen gegen irreguläre Migration seien nicht Kontrollen an den EU-Binnengrenzen nötig, sondern ein besserer Schutz der Außengrenzen, sagte Tusk. „Polen braucht eine stärkere Beteiligung anderer Länder wie etwa Deutschland an der Kontrolle und Sicherung der EU-Außengrenzen“, betonte er.
Mit seinen Äußerungen stellte sich Tusk auch gegen die Forderungen der CDU, die wie Tusks Partei auf europäischer Ebene der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. CDU-Chef Friedrich Merz hatte erst am Montag angekündigt, das Gespräch mit Tusk und anderen europäischen EVP-Regierungschefs zu suchen, um sie von der Notwendigkeit einer schärferen Sicherung der deutschen Grenzen inklusive der Zurückweisung von Geflüchteten zu überzeugen.
Allerdings hatte Österreich – dessen Kanzler ebenfalls der EVP angehört – den Forderungen der CDU bereits eine Absage erteilt. „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Da gibt es keinen Spielraum.“ Er habe den Chef der österreichischen Bundespolizei angewiesen, „keine Übernahmen durchzuführen“. (AFP)
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