Politische Zauberkünstler / Analyse: Ein Blick zurück auf die Gemeindewahlen und ein Blick nach vorn auf die Parlamentswahlen
Der Urnengang vom vergangenen Wochenende wird als Stimmungstest für den Showdown auf nationaler Ebene betrachtet. Wie die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, birgt allzu viel Siegesgewissheit zwar Gefahren. Doch Trendwenden sind nur schwer zu schaffen.
So schnell kann sich die politische Lage ändern: Die CSV sei für das Superwahljahr denkbar schlecht aufgestellt, schrieb das Online-Magazin Reporter.lu noch vor etwa einem halben Jahr. Die Christsozialen dümpelten zu diesem Zeitpunkt laut Umfragen bei 15 Parlamentssitzen, sechs weniger als bisher, und litten außer an den Langzeitfolgen der sogenannten Freundeskreis-Affäre an einem akuten Mangel an Führungspersonal, wie es hieß. Bis sie ihren einstigen und neuen Hoffnungsträger Luc Frieden aus dem Hut zauberten.
Ein echter Coup – was der jahrzehntelang die Regierungsgeschicke leitenden Partei schon lange nicht mehr gelungen war. Der CSV-Nationalrat ernannte Frieden am 1. Februar zum Spitzenkandidaten. Auf dem Nationalkonvent Ende März wurde der frühere Minister und einstige Kronprinz von Jean-Claude Juncker schließlich offiziell zum Frontrunner seiner Partei gewählt. Frieden vermittelte dort auch verbal den neuen Schwung, als er sagte: „Aus dieser Regierung ist die Luft raus.“ Einen Monat später legte er im RTL-Interview nach: „Diese Regierung mit ihren drei Positionen bringt das Land nicht voran.“ Überhaupt sei eine Zweierkoalition besser für das Land.
Bettels Coup
Zuvor hatte auch Premierminister Xavier Bettel einen Coup gelandet und gezeigt, dass zur Politik mehr gehört als das Bohren dicker Bretter: Seine Ankündigung einer dritten Tripartite innerhalb von zwölf Monaten war schon überraschend gekommen. Kurz darauf stand ein 500-Millionen-Euro-Abkommen der Dreierrunde, auf das sich die Regierung mit den Sozialpartnern in acht Stunden geeinigt hatte. Ein „Geschenk Bettels an sich selbst“, wie das Tageblatt schrieb. In den Reihen der Regierung sollte im Vorausblick wieder Ruhe einkehren.
Damit ist aber das Potenzial der politischen Magie noch längst nicht ausgeschöpft. Diesen Gedanken hatte wohl Sven Clement: Der Abgeordnete der Piratenpartei hatte bereits als Dreikäsehoch Gefallen am Hokuspokus gefunden und sich von seiner Großmutter einen Zauberkasten schenken lassen. Ausgerechnet Vater hatte Gefallen an der Sache gefunden. Der Bankangestellte wurde einst nebenberuflich „Magier aus Leidenschaft“, als den ihn die Revue in einem Porträt vom November 2000 bezeichnete. Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag eroberte der „Magier“ ein Mandat im hauptstädtischen Gemeinderat.
Wie es sich gehörte, enterten Clements Zauberlehrlinge in Freibeutermanier noch andere kommunalen Parlamente: etwa in Differdingen und Esch, Kayl, Monnerich, Remich, Hesperingen und Käerjeng. In Petingen verdoppelten die Piraten sogar die Zahl ihrer Sitze auf vier und brachten es unter der Führung ihres Parlamentsabgeordneten Marc Goergen auf einen Stimmenanteil von fast 19 Prozent. Das Phänomen fügt sich gut in die zunehmende Fragmentierung der Parteienlandschaft ein. Fast schon ein „Megascore“, wie die Partei bei ihrem Landeskongress im Mai angekündigt hatte. Sie wird auch für die Chamber-Wahlen im Oktober gut gehandelt.
Piraten im Trend
Einerseits dürften die Piraten von einem Trend zu politischen Bewegungen profitieren, die sich in vielen Staaten als populistisch zeigen, allerdings in den meisten Ländern im rechten Teil des politischen Spektrums zu finden sind. Die Piraten unterscheiden sich davon jedoch. Hierzulande forderte die Partei zwar in ihrer Plakatkampagne etwa mehr Polizeipräsenz und surfte damit auf der unter anderem vom hauptstädtischen Schöffenrat losgetretenen „Law and order“-Welle. Dass es sich bei den Piraten eher um einen Trend zu einer politischen Beliebigkeit in der Mitte handelt als um Wutbürger am rechten Rand, zeigen ihre Äußerungen mehrfach. Pascal Clement etwa betonte im Wahlkampf ein ums andere Mal seine Distanz zu rechten Tendenzen, dass er einen jungen Flüchtling aus Afghanistan sowie einen Eritreer aufgenommen hatte.
Geschadet hat die Zersplitterung der Parteienlandschaft „déi Lénk“. Dies gilt nicht zuletzt für die Linken in der Hauptstadt und in Esch: In beiden Städten verloren sie einen Sitz. Die Partei schwächelt seit einiger Zeit, obwohl sie immer wieder unter anderem auf die brennenden Probleme wie etwa die Sozial- und Wohnungsbauproblematik hinweist. Auf ihr Mandat im Gemeinderat will sich künftig die linke Hauptstadt-Kandidatin Nathalie Oberweis konzentrieren. Sie will zu 99 Prozent nicht für die Chamber-Wahlen im Oktober kandidieren.
Auch Corinne Cahen (DP) gibt künftig der Lokalpolitik den Vorzug, wie sie dem Tageblatt gegenüber am Montag bestätigte. Die mit 11.328 Stimmen Drittgewählte der Liberalen – hinter Lydie Polfer (15.212 Stimmen) und Patrick Goldschmidt (12.410) – will ihr Mandat im Gemeinderat annehmen, was heißt, dass sie ihren Posten als Ministerin für Familie abgeben wird. Bisher war sie nicht in der kommunalen Politik aktiv. Der kommunale Urnengang ist, im Lichte der baldigen Parlamentswahlen betrachtet, mehr denn je ein Stimmungstest.
Ähnlich verhielt es sich bereits 2017: Damals schien die CSV, vier Jahre nach dem Machtverlust auf nationaler Ebene und zwei Jahre nach dem Dreierreferendum, bei dem die blau-rot-grüne Regierung eine empfindliche Niederlage erlitten hatte, aus ihrem Tief auferstanden, in dem sie sich nicht mit ihrer Oppositionsrolle abgefunden hatte. In den Kommunalwahlen zeigte sie sich wie Phoenix aus der Asche auferstanden. Die Christsozialen hatten die Zahl ihrer kommunalen Mandate seit Anfang des Jahrhunderts kontinuierlich ausgebaut: von 152 (2005) über 170 (2011) auf 209 (2017).
Phönix aus der Asche
Die CSV hatte die Dominanz der LSAP auf kommunaler Ebene also umgekehrt. Doch im Oktober 2018, also im Jahr nach den Gemeindewahlen, scheiterte die Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Claude Wiseler bei den Nationalwahlen. In Erinnerung sind die enttäuschten Gesichter in den hauptstädtischen „Rotondes“, nachdem die Partei erfahren hatte, dass sie eine weitere Legislaturperiode in der Opposition bleiben musste. Im Vorfeld der Wahlen wurde die Partei als sicherer Sieger gehandelt. Doch sie brach auf das historische Tief von 21 Parlamentssitzen ein, nachdem sie 2009 noch 26 Mandate und 2013 immerhin 23 Mandate erlangt hatte.
Bei den diesjährigen Kommunalwahlen kamen die Christsozialen noch auf insgesamt 193 Mandate, was wiederum einen deutlichen Rückschritt bedeutet. Ging die CSV 2017 als Sieger aus den Gemeindewahlen hervor, zählt sie jetzt eher zu den Verlierern. Der Schwung, den sie sich landesweit von Spitzenkandidat Luc Frieden erhofft hat, ist zumindest auf kommunaler Ebene ausgeblieben.
Dabei hatte die CSV gerade hierbei einen langen Aufschwung erlebt. Mehr als symbolisch war bereits 2011 der Einzug der schwarz-grün-blauen Dreierkoalition in den Schöffenrat von Bettemburg, mit dem eine 24 Jahre lange LSAP-Alleinherrschaft beendet wurde. Ausgerechnet die CSV beklagte sich zwei Jahre später über das Zustandekommen der Gambia-Koalition und fühlte sich hintergangen. Jedenfalls wurden spätestens mit dem Putsch von Bettemburg unter Führung von Laurent Zeimet (CSV) mit Josée Lorsché („déi gréng“) und Gusty Graas (DP) die Dreierbündnisse gegen eine stärkste Partei (42,3 Prozent der Stimmen) salonfähig. Nach einem schleichenden Verlust der kommunalen Vorherrschaft hat die LSAP zwar nach wie vor 155 kommunale Mandate inne, hat aber zugleich auch ihre Bastionen etwa im Süden gefestigt (etwa in Düdelingen) oder zurückerobert (zum Beispiel in Differdingen).
Green-Bashing
Vor sechs Jahren hatten die Sozialisten noch gewaltig geschwächelt – ein Trend, der übrigens bis zu den Chamber-Wahlen 2018 anhielt, bei denen die LSAP auf ein historisches Tief von zehn Mandaten zurückfiel. Gerettet wurde Xavier Bettels Regierungskoalition nicht zuletzt von den Grünen, die auf ein Rekordhoch von neuen Parlamentssitzen kamen. Zwei Jahre zuvor hatten „déi gréng“ ihren bisherigen kommunalpolitischen Zenit erreicht: 77 Mandate nach 74 (2011) und 41 (2005). Dieses Mal erlebten die Grünen einen regelrechten Einbruch. Besonders deutlich erlebten sie dies in Differdingen: Nach dem Erdrutschsieg von 2017 stürzten sie nun von 36 auf 14,3 Prozent der Wählerstimmen beziehungsweise von sieben auf drei Prozent der Mandate ab. Die Grünen haben landesweit deutlich eingebüßt, und dies ist nicht nur auf die Welle des Green-Bashings zurückzuführen, die nicht nur in Luxemburg, sondern möglicherweise noch vielmehr in Deutschland vorzufinden ist.
Derweil hat die DP seit 1999, als sie mit der damaligen Außenministerin Lydie Polfer eine Regierungskoalition mit der CSV unter Jean-Claude Juncker bildete, drei Parlamentssitze eingebüßt, aber zugleich eine positive Entwicklung auf kommunaler Ebene erlebt. Die Zahl der liberalen Mandate stieg von 96 im Jahr 2005, 106 (2011), 108 (2017) auf 134 in diesem Jahr. Vor allem die Hauptstadt ist längst ein blaues Bollwerk in einer liberalkonservativen Variante: „Nichts ist langweiliger als die Gemeindewahlen in der Hauptstadt“, schrieb die Woxx im Jahr 2005. Schon damals war die Koalition am Knuedler blau-schwarz. Und dieses Mal ist es sie wieder, damals hieß die Bürgermeisterin, und dieses Mal wieder Lydie Polfer.
Einen Trumpf konnten weder CSV-Schöffe Serge Wilmes noch „déi gréng“-Spitzenkandidat François Benoy aus dem Hut hervorzaubern. Auch der im vergangenen Jahr gegründeten Fokus-Partei des ehemaligen CSV-Parteichefs Frank Engel und des früheren DP-Generalsekretärs Marc Ruppert gelang kein Wunder. Nur Pascal Clement zauberte sich, neben dem ADR-Kandidaten Tom Weidig, in den Gemeinderat. Während beide zu den Gewinnern zählen, herrscht angesichts der Aussagekraft der kommunalen Wahl für den bevorstehenden nationalen Showdown Ungewissheit. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb schon Hermann Hesse in seinem berühmten „Stufen“-Gedicht. Wie der Zauber in ein politisches Erfolgsrezept verwandelt werden kann, ist am besten von Lydie Polfer und ihren Zauberlehrlingen zu erfahren.
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