30 Jahre BIOG / Änder Schanck: Vom Aussteiger zum Unternehmer
Als „ingenieur-technicien“ lernt er die profitorientierte Seite der Wirtschaft kennen, als Trainee bei der CFL die halb-staatliche Seite. Änder Schanck (67) entscheidet sich gegen beides und steigt aus. Er gründet die BIOG-Genossenschaft und danach Oikopolis mit den Naturata-Geschäften. Das Unternehmen beschäftigt heute 400 Mitarbeiter und macht 60 Millionen Euro konsolidierten Umsatz im Jahr.
Tageblatt: Bio steht 30 Jahre nach der Gründung der BIOG so hoch im Kurs wie nie. Wie fühlt sich die Welle der Bestätigung an?
Änder Schanck: Es ist interessant, was sich gerade alles tut. Ich spüre, es ist ein Wunsch von vielen, dass sich etwas ändert. Nicht nur hier, sondern überall auf der Welt. Aber es sind noch lange nicht genug. Und es gibt heftige Reaktionen dagegen.
Ökobashing Richtung Bioszene?
Der „Ökolobby“ wird von konventioneller Seite in schöner Regelmäßigkeit vorgehalten, die Forderungen seien wissenschaftlich nicht belegt, ökonomisch nicht haltbar und Vorstellungen von ein paar Ökofreaks. Und ein Minister muss die beiden Seiten jetzt zusammenbringen. Das ist ganz schön schwierig.
Gerade wurde in Altrier das elfte Naturata-Geschäft eröffnet. Hätten Sie sich das bei der Gründung vor 30 Jahren träumen lassen?
Nein. Wir haben ja auch nie so getickt. Auf Expansion ausgerichtet sind Discounter oder große Bioladenketten. Wir wollten nie Teil dieses Systems sein.
Sondern?
Wir haben in unserer Präambel stehen, dass wir die Biolandwirtschaft weiterbringen wollen. Und wir haben von vornherein auf Kooperationen gesetzt. Klar war aber auch, dass wir ein oder zwei Läden brauchen, um zu zeigen, wie die Alternative praktisch aussieht. Sonst bleibt „öko“ nur Theorie und niemand bewegt sich. Wohin denn dann auch?
Sie haben bereits 1978 den elterlichen Hof auf bio umgestellt. Haben Sie Ihre Kollegen damals nicht für verrückt erklärt?
Doch. „Schwachsinn“ oder „Idiotie“ wurden uns unterstellt, weil wir die Arbeit der Kollegen infrage gestellt haben. Es gab ja damals kaum jemand, der aus der konventionellen Ecke „ausgestiegen“ ist.
Was hat Ihnen geholfen, durchzuhalten?
Die Überzeugung, dass es das Richtige ist, was mein Bruder und ich auf dem Hof tun. Die Einsicht war: So wie vorher kann es nicht weitergehen.
Sie haben schon vor mehr als zehn Jahren gesagt, dass die Gretchenfrage sein wird, wie sich der Biomarkt seine Rohstoffbasis sichert. Das ist heute angesichts gestiegener Nachfrage aktueller denn je …
Mittlerweile steigen Großkonzerne in den Biomarkt ein. Das finde ich auch nicht schlecht. Problematisch wird es, wenn die gleichen Marktmechanismen greifen wie in der industriellen Herstellung von Lebensmitteln. Davor ist auch ein Bio-Unternehmen nicht gefeit.
Sie müssen aber doch viel importieren, um die Nachfrage zu befriedigen …
Luxemburg kann man nicht vergleichen. Das Land ist ein Dorf. Aus eigener Kraft generieren wir vielleicht 30 Milchprodukte. In einem modernen Bioladen stehen aber 400 Milchprodukte und ich kann nicht sagen: Bleibt draußen, es gibt nur unsere. Wir müssen Kompromisse machen, wenn wir in dieser ökonomischen Welt mitreden wollen.
Im Oktober 2019 hat Eurostat eine Studie veröffentlicht, nach der Luxemburg bei der Umstellung auf Bio deutlich hinterherhinkt. Schafft das Land bis 2025 die 20 Prozent?
Das ist ein sehr ambitiöses Ziel. Es wird darauf ankommen, wie die Politik den Rahmen dafür setzt. In Österreich und der Schweiz hat man gesagt, wir wollen nicht den Markt bedienen, sondern wir wollen Landschaft haben und sauberes Wasser.
Die Region um Salzburg hat in der Studie am besten abgeschnitten …
Man braucht gar nicht so weit zu gehen. Rund um St. Vith in Belgien gibt es 30 Prozent Anteil von Bio an der Landwirtschaft, aber nicht, weil es dort einen Markt gibt. Dort hat die Politik entschieden, anders zu subventionieren. Große Flächen, Investitionen, viel Ertrag, darauf wurden die Bauern jahrelang getrimmt. Und viele denken auch so. Aber es kippt an vielen Stellen.
Woran machen Sie das fest?
Wenn konventionelle Bauern mich ansprechen und sagen, „ihr verpackt auch mit Plastik“, denke ich, er überlegt. Er ist auf einem guten Weg. Aber man muss der Sache Zeit lassen.
Wie stehen Sie zu der Entscheidung, dass Bioland-Produkte jetzt auch bei Discountern im Regal stehen?
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Wir kooperieren mit Cactus. Sie sind zwar auch Konkurrenz, aber das Denken muss man aufgeben. Ich erlebe, dass sich in den Köpfen der Einkäufer bei den Discountern gerade etwas ändert. Bei Cactus war es vor 25 Jahren ein Einziger, der offen dafür war. Das war für uns eine Chance, in der Wertschöpfungskette etwas zu ändern.
Sie stehen für „ethisches“ Beschaffungsmanagement. Was heißt das?
Wir wollen wissen, wo die Rohstoffe herkommen. Wir wollen den Lebensmittelmarkt „entanonymisieren“.
Treibt Sie missionarischer Eifer?
Nein. Als ich vor 30 Jahren einen Fahrer eingestellt habe, hat er gesagt: „Ich will nichts mit Bio zu tun haben.“ Für mich war das okay. Er muss die Logistik im Griff haben. Er hat sich nachher sehr für Bio interessiert und selber einen Bio-Obstgarten angelegt, aber nicht, weil ich ihn missioniert habe. Er hat das einfach vom Leben hier im Betrieb mitgenommen. So soll es sein.
Die BIOG: Genossenschaftliche Ideen sind gerade en vogue. Hat sie eine Überlebenschance im Wettbewerb?
Genossenschaften haben eine generelle Schwäche. Wenn man demokratisch über Sachfragen abstimmt, von denen fast keiner etwas versteht, hat man ein riesiges Problem. Unternehmertum und Genossenschaften sind nicht so einfach miteinander zu vereinbaren.
Sie sensibilisieren bei „Oikopolis im Dialog“ und laden immer wieder Experten ein. Verpflichtung oder Selbstverständlichkeit?
Wenn wir als Oikopolis alternative Wege gehen und dabei transparent bleiben wollen, dann sehe ich es als eine konsequente Verpflichtung.
Wie aktuell ist Rudolf Steiner für Sie?
Auf die Frage, ob es eine Freiheit des Menschen gibt, habe ich nur bei ihm eine Antwort gefunden, in seinem Werk „Die Philosophie der Freiheit“. Ich empfehle es jedem, der Sachverhalte zu Ende denken will.
Sie sind für die Geschicke eines großen Unternehmens verantwortlich. Hatten Sie manchmal schlaflose Nächte?
Ja. Das waren Phasen, in denen ich mich hinterfragt habe. Ist es richtig, was ich mache? Das geht an die Substanz. Aber ohne diese schlaflosen Nächte wäre das, was wir hier machen, nicht möglich.
Das Geschäftsmodell Oikopolis S.A.
Die Dachorganisation der Tochterbetriebe Naturata, Biogros, Oikopolis Service und der BIOG-Molkerei heißt eigentlich „Oikopolis Participations S.A.“ und ist eine Kapitalgesellschaft. Die Aktien sind nicht börsennotiert, sondern gehören verschiedenen Gruppen. 20 Prozent gehören den Gründern, Mitarbeitern und Führungskräften, 20 Prozent den Bauern als Produzenten und 60 Prozent den Konsumenten. Nach eigenen Angaben gibt es rund 300 Aktionäre. Oikopolis nutzt zwar die vorhandenen Marktmechanismen, münzt sie aber mittels einer Satzung mit zum Beispiel Einschränkungen für Dividenden um. Im Vordergrund steht immer das Gemeinwohl. Seit kurzem hat sich die Aktionärsgruppe um Gründer, Mitarbeiter und Führungskräfte die Form einer gemeinnützigen Stiftung gegeben. Damit können jegliche Aktivitäten in Richtung Verkauf des Unternehmens verhindert werden.
Rudolf Steiner
Rudolf Joseph Lorenz Steiner (1861-1925) war ein österreichischer Publizist, Esoteriker und Vortragsredner. Er begründete die Anthroposophie. Auf Grundlage dieser Lehre entwickelte er eigene Konzepte für verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, darunter die Anthroposophische Architektur, die Waldorfpädagogik, die anthroposophische Medizin oder die biologisch-dynamische Landwirtschaft.
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