Kritik an Bildungsministerium / „Andere wären an dieser Affäre zerbrochen“: Eine wütende Mail einer Lehrkraft und deren Folgen
Eine voreilig verschickte Mail stürzte Kim in die Krise: Wegen Kritik an Bildungsminister Claude Meisch musste der Lehrer monatelang ohne Gehalt auskommen und wurde der Schule verwiesen.
Kim* ist erschöpft. Die letzten Jahre liegen dem Grundschullehrer und ehemaligen Gewerkschaftler noch schwer im Magen. Sein Leidensweg begann mit einer Mail, gesendet im Juli 2020, mitten in der Corona-Pandemie. „Die Monate vor den Sommerferien waren für alle eine mentale und administrative Herausforderung“, erinnert er sich. „Ich war damals Schulpräsident und Lehrkraft zugleich. Neben dem Unterricht musste ich also auch die Maßnahmen des Bildungsministeriums umsetzen und die Klassenaufteilungen koordinieren.“ Kurz vor den Sommerferien lobte Bildungsminister Claude Meisch (DP) den Einsatz des Lehrpersonals in einer Pressekonferenz. Der Anerkennung schob er jedoch einen für Kim zweideutigen Satz hinterher. „Er meinte sinngemäß: ‚Dieses Jahr hat das Personal die Sommerferien verdient‘“, zitiert er ihn. Eine Aussage, die ihm sauer aufstieß. „Als sei unser Urlaub sonst nicht gerechtfertigt!“
Das Fass lief endgültig über, als wenige Tage später eine Mail des Bildungsministeriums bei den Schulpräsident*innen einging: Das Personal solle Anfang September, also in der Ferienzeit, Nachhilfe anbieten. „Zuerst verspottet der Minister uns, dann fordert er uns dazu auf, unsere Arbeit früher wiederaufzunehmen? Mir ist der Kragen geplatzt“, sagt Kim. Er griff zum Computer, um die Belegschaft in Kenntnis zu setzen; konnte es aber nicht lassen, die Geschehnisse zu kommentieren. Die Wut, die Enttäuschung ging mit ihm durch, als er seinem Frust Luft machte und Claude Meisch in einem Nebensatz beschimpfte. „Ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen jedoch klar kommuniziert: Das ist meine Meinung – ihr macht, was ihr für richtig haltet“, betont er. „Das steht explizit in der besagten Mail.“
Für Kim war das Thema mit dem Absenden der Nachricht gegessen. Nicht so für das Bildungsministerium: Im Oktober 2020 wurde er wegen Fehlverhaltens zum „Commissariat du gouvernement chargé de l’instruction disciplinaire“ der „Fonction publique“ bestellt. Das Kommissariat untersucht potenzielles Fehlverhalten von Staats- und Gemeindebediensteten. Schon bald erfuhr Kim: Seine Mail war in die Hände der Schulleitung geraten, die wiederum ein Disziplinarverfahren gegen ihn in die Wege leitete – ohne Kim darüber zu informieren. „Ich wurde hintergangen“, sagt er. Über die Dauer der Prozeduren hinweg unterrichtete er weiter. Die Schulleitung gab sich bei Zusammentreffen stets kollegial.
Kein Gehalt wegen Beschimpfung?
Vor dem „Commissariat“ musste Kim sich nicht nur wegen der Mail verantworten, sondern auch für kritische Leserbriefe zum Schulsystem aus den frühen 2000-er Jahren. „Sie haben jeden Stein umgedreht, um mir etwas anzuhängen.“ Er zuckt mit den Schultern. „Diese Artikel haben zur Zeit ihrer Publikation niemanden gestört. Die Ministerien führen eine akribische Presseschau durch: Das Argument, die Texte seien bis dahin niemandem aufgefallen, gilt demnach nicht.“ Kim räumt ein, er habe sich in der Mail im Ton vergriffen und bereue dies – trotz seiner anhaltenden Abneigung gegen Claude Meischs Bildungspolitik. „In meinen Leserbriefen bemühte ich mich aber immer um eine neutrale, konstruktive Kritik“, zieht er den Vergleich zur Mail. „Mir ging es um die Kinder und das Personal: Ich wollte einen Denkanstoß geben, um ihre Bedingungen zu verbessern.“ Als Gewerkschaftler sei ihm das nicht gelungen, deswegen habe er die Leserbriefe verfasst.
An meinem Fall wurde ein Exempel dafür statuiert, was passiert, wenn du dich als Lehrkraft gegen den Bildungsminister stellstLehrkraft
Das „Commissariat“ bewertete die Angelegenheit anders und leitete seinen Fall an den „Conseil de discipline“ weiter. Im April 2021 musste er sich dort erneut rechtfertigen. „Ich wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt“, schildert er das Gespräch. Im Juli fiel das Urteil: Mehrere Monate Suspendierung ohne Lohnausgleich, plus die Versetzung in eine andere Gemeinde. Einem anderen Job durfte er in der Zeit nicht nachgehen. Ab wann er der Schule fernbleiben musste, wurde ihm in dem Moment nicht mitgeteilt. Diese Informationen erarbeitete er sich selbst, was das Verfassen etlicher Mails und Telefonate nach sich zog. „Das war kräftezehrend“, sagt er, „zumal ich nicht wusste, wie es jetzt weitergeht.“
Seine Kolleginnen und Kollegen, die die Affäre von Anfang an verfolgten, zeigten sich solidarisch: Sie verfassten einen Brief, in dem sie Kims Kompetenzen als Lehrkraft und Schulpräsident hervorhoben. Ein wichtiger Rückhalt für ihn, der sich von den Autoritäten unverhältnismäßig hart bestraft sah. „Ich weiß von Lehrpersonal, das wegen schlimmerer Vergehen milder bestraft wurde“, sagt er. „Das lässt für mich nur einen Schluss zu: An meinem Fall wurde ein Exempel dafür statuiert, was passiert, wenn du dich als Lehrkraft gegen den Bildungsminister stellst.“ Andernfalls hätte die Schulleitung ihn zuerst zum Gespräch laden und ihn ermahnen müssen. Seinen Rücktritt als Schulpräsidenten einzufordern, wäre für Kim ebenfalls legitim gewesen – aus Einsicht traf er diese Entscheidung ohnehin aus freien Stücken. „Mich stattdessen so vorzuführen, war ein Ausdruck von Macht. Als Lehrkraft wirst du mundtot gemacht.“
Von Vergleichen und Doppelmoral
Die Verantwortlichen des Disziplinarverfahrens hielten ihn hingegen für einen Glückspilz und vermittelten ihm: Im Privatsektor wäre er wegen der Beleidigung eines Vorgesetzten fristlos entlassen worden. „Mein Anwalt ist wortgewandt und konterte: ‚Im Privatsektor wäre ein CEO mit solch schlechten Ergebnissen aber auch schon längst zurückgetreten‘“, erzählt er. Doch Spaß beiseite: Ist Kritik an Politiker*innen, die im Dienste der Allgemeinheit stehen, tatsächlich mit der Missbilligung einer Firmenleitung gleichzusetzen? Und was sagt es über staatliche Organe aus, wenn sie ihr Verhalten mit der prekären Situation von Arbeitnehmenden im Privatsektor schönreden? Im Gespräch mit Kim kommt in dem Zusammenhang auch die Doppelmoral von Politikern zur Sprache, die trotz Skandalen und Verbrechen im Amt bleiben.
Niemand braucht sich vor dem Bildungsministerium zu fürchten und den Umgang mit dem Personal still zu akzeptierenLehrkraft
Kim focht das Urteil gegen seine Person jedenfalls an und zog gegen das Bildungsministerium vor das Verwaltungsgericht. Der Prozess begann 2022, Anfang dieses Jahres bekam er teilweise recht: Das Bildungsministerium musste ihm mehrere Gehälter zurückzahlen, die Wegweisung aus der Gemeinde wurde aufgehoben. Er feiert diesen Erfolg, doch hebt hervor: „Andere Menschen wären an dieser Affäre zerbrochen. Zum Glück bin ich hart im Nehmen.“ Kim erwähnt neben der psychischen Belastung auch die Anwaltskosten, die zwischen 13.000 und 14.000 Euro lagen. Als Mitglied einer Gewerkschaft stand ihm ein Anwalt zur Verfügung, somit entfielen die Gebühren. Das ausbleibende Gehalt glich er durch Ersparnisse aus. „Doch nicht alle verfügen über diese Mittel und können sich solch einen Prozess leisten“, unterstreicht er.
Theoretisch könnte Kim weiter gegen das Bildungsministerium vorgehen und Schadensersatz wegen Teilaspekten seines Falls einfordern. Für weitere juristische Schritte fehlt ihm jedoch die Kraft: „Ich habe keinen Bock mehr.“ Trotzdem liegt es ihm am Herzen, seinen Erfolg vor Gericht mit anderen Lehrkräften und jetzt mit der Öffentlichkeit zu teilen: „Niemand braucht sich vor dem Bildungsministerium zu fürchten und den Umgang mit dem Personal still zu akzeptieren.“
*Name von der Redaktion geändert
Stellungnahme des Bildungsministeriums
Das Tageblatt bat das Bildungsministerium um Statistiken zu den Disziplinarverfahren gegen Lehrkräfte – nach Angaben der Pressestelle liegen solche Daten derzeit jedoch nicht vor. Auf Fragen nach der Bestrafung von Lehrkräften und dem Umgang mit Gewerkschaftler*innen antwortete das Ministerium Folgendes:
„Dem Bildungsministerium sind keine Fälle bekannt, in denen Lehrpersonal unverhältnismäßig hart bestraft worden wäre. Letzteres ist, wie alle anderen Beamten auch, per Gesetz zur Zurückhaltung verpflichtet. Das Ziel davon ist nicht, sachgemäße Berichte in der Öffentlichkeit zu verbieten, sondern eine konstruktive Lösungsfindung innerhalb der Schule oder der nationalen Bildung zu suchen. Das Ministerium und die Schulleitungen bemühen sich stark um den Austausch mit den Schulen und den Lehrkräften. Im Rahmen des Prozesses ‚Bildung und Dialog’ pflegt das Ministerium zudem regelmäßig einen wichtigen, konstruktiven Dialog mit den Gewerkschaften. Dabei geht es nicht nur darum, ihre Meinung zu wichtigen Themen und Projekten einzuholen, sondern auch darum, sich ein konkretes Bild davon zu machen, wie sich unterschiedliche Maßnahmen auf den Arbeitsalltag auswirken, und dem Personal zuzuhören.“
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