Outdoorscience.lu / Andrea Fiedler: „Kinder von heute haben eine andere Lebensrealität, als wir sie hatten“
Kinder sind kleine Entdecker und wollen alles selbst erforschen. Die Natur bietet dafür die besten Lernräume, findet Andrea Fiedler. Sie ist Erziehungswissenschaftlerin und entwickelt mit ihrem Unternehmen „outdoorscience.lu“ Konzepte für Ministerien, Schulen und Gemeinden bei der Gestaltung von Aktivitäten für junge Abenteurer an der frischen Luft. Das Tageblatt hat nachgefragt, warum Outdoor Education den Kindern zugutekommt und warum junge Menschen heute neue Bildungskonzepte brauchen.
Tageblatt: Warum haben Sie den Weg der Bildungswissenschaften eingeschlagen?
Dr. Andrea Fiedler: Als Kind bin ich nicht gerne in die Schule gegangen, denn es war nicht gerne gesehen, wenn unbequeme Fragen gestellt wurden. Dabei verbringt man dort eine Menge Lebenszeit. Kinder vertrauen darauf, dass wir Erwachsene wissen, wo wir in der Schule „mit ihnen hinwollen“. Wir müssen unser Bestes geben, um diesem Vertrauen gerecht zu werden. Als Bildungswissenschaftler arbeiten wir an neuen Konzepten und Möglichkeiten, damit die jungen Menschen ihr Potenzial entfalten können. In allen Schulen vertrauen Kinder darauf, dass wir unseren Job gut machen. Da muss man sich doch bewegen, oder?
Wie sind sie auf Outdoor Education gekommen?
Bei meiner Arbeit mit Lehrpersonen und mit den Schülern habe ich festgestellt, dass draußen ein besseres und entspannteres Arbeitsklima herrscht. So habe ich nach und nach alles an die frische Luft verlagert. Hinzu kommen meine eigene Begeisterung für Outdoor-Sportarten und die eigenen Erfahrungen aus der Kinderzeit. Kindern fehlen heute häufig die wundervollen, unabhängigen Erlebnisse draußen, wie wir sie noch genießen durften.
Worin besteht die Herausforderung beim Lernen außerhalb des Klassenzimmers?
Outdoor Education braucht eine eigene Didaktik: Welche Inhalte unterrichte ich draußen, mit welcher Methodik, welchen Medien? Den Lernort einfach nur nach draußen zu verlagern, ist keine Lösung für alles. Im schlimmsten Fall hältst du auch draußen nur Frontalunterricht und dann machst du alles falsch. Die Potenziale, die draußen geboten werden, müssen erkannt und genutzt werden. In den letzten 20 Jahren hat sich unendlich viel in der Hirnforschung getan. Man weiß sehr viel mehr über Lernen von Kindern. Lehrpersonen muss dieses Wissen weitergegeben werden.
Ein Beispiel: Lernprozesse brauchen Orientierung. Im Klassenraum geben die Wände, die Stühle oder auch die Tische die Struktur vor. Draußen gibt es das nicht. Dort sind die Kinder in Bewegung, die Sinneseindrücke laufen über alle Kanäle. Viele Informationen müssen gleichzeitig verarbeitet werden. Draußen sind die Kinder erst einmal furchtbar aufgeregt, wenn sie es nicht gewohnt sind. Dieses Erkunden gehört jedoch zum Lernen dazu. Als Lehrperson muss ich das wissen und zudem Strategien haben, wie ich draußen Orientierung geben kann, zum Beispiel durch Arbeitsaufträge, Raumorganisation, Gruppenaufteilung usw.
Nach welchem pädagogischen Konzept arbeiten Sie?
Ich arbeite stets bedarfsorientiert. Es gibt nicht „das eine“ pädagogische Konzept. Das ist abhängig vom Auftraggeber und seine Zielen. Der rote Faden bei meiner Arbeit ist, vom Kind aus, vom Menschen aus zu denken. Zu schauen, dass diese Personen ein schönes Lernerlebnis haben, mit einer guten Umgebung, in der sie sich entwickeln können.
Seit wann gibt es Outdoorscience.lu?
In Luxemburg biete ich seit zehn Jahren Weiterbildungen in Outdoor Education an. Jeder kann mich über das IFEN („Institut de formation de l’éducation nationale“) finden. Mit der Zeit sind immer mehr Angebote hinzugekommen, die über die klassischen Weiterbildungsformate hinausgehen. Dazu gehört eine Zusammenarbeit mit dem saarländischen Umweltministerium für Workshops in Bildung für nachhaltige Entwicklung oder mit dem Script („Service de coordination de la recherche et de ́l’innovation pédagogiques et technologiques“) zur Entwicklung von Outdoor Education. Vor anderthalb Jahren habe ich die Outdoor Science Sàrl gegründet.
Sie sind auch in der „Robbesscheier“ in Clerf aktiv.
Für das Naturerlebniszentrum „Robbesscheier“ entwickle ich zusammen mit dem Team das pädagogische Programm für Schulklassen. Die Geländeplanung ist hinzugekommen: Was passiert im Sommer und was im Winter? Wie kann die Orientierung auf dem Gelände verbessert werden? Dazu habe ich mit meinem Team passende Mini-Kinderbücher gestaltet.
Sie arbeiten auch seit langem mit der Gemeinde Niederanven zusammen.
Die Gemeinde hat viel Engagement in außerschulischen Lernorten. Sie haben einen Schulgarten, ein Bienenhaus und auch ein tolles Waldchalet, das wir mit Schulklassen nutzen können. Ich bin seit zehn Jahren dort an der Schule und unterstütze die Lehrpersonen, dass diese Lernorte genutzt werden. Wir versuchen ganzjährig, mit den Kindern draußen zu sein. Es gibt einen Unterstand im Schulgarten, aber sonst gibt es keine Infrastruktur. Deswegen ist die Idee entstanden, ein Outdoor-Education-Gelände und -Gebäude zu erschaffen, das von der Schule, „Maison relais“ und dem Jugendhaus genutzt wird. Die Gemeinde hat mich mit der pädagogischen Begleitung des Entwicklungsteams beauftragt. Es wird ein Gebäude geplant, das allen Aspekten der Nachhaltigkeit entspricht. Die Herausforderung ist, dass es für mehrere Zielgruppen mit verschiedenen Ausrichtungen geeignet sein soll.
Fuerschen dobaussen
„FuDo – Fuerschen dobaussen“ wurde als Pilotprojekt des Script („Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“) von der Schuldirektion 10, Grevenmacher und Dr. Andrea Fiedler entwickelt. Kinder haben einen angeborenen Forschergeist. Diesen zu erkennen und ihm im Unterricht draußen Raum zur Entwicklung zu geben, ist ausgewiesenes Ziel von FuDo. Kinder schlüpfen dabei in die Rolle von Wissenschaftlern. Lehrpersonen sollen durch das Projekt unterstützt werden, ihren Unterricht wissenschaftsorientiert, fächerübergreifend und kompetenzorientiert zu gestalten. Das Konzept wird derzeit auf fünf weitere Schuldirektionen übertragen, sodass möglichst viele Kinder die Möglichkeit bekommen, draußen zu forschen. Auch die Eltern werden in Zukunft über die Plattform fudo.lu Wanderwege zum Forschen einsehen und mit ihren Kindern entdecken können.
Kinder haben heute einen ganz anderen Alltag als früher. Wie wirkt sich das auf ihr Lernverhalten aus?
Kinder haben weniger Naturerfahrung als früher, d.h. weniger unstrukturierte Räume, die sie einladen, selbst zu gestalten. Auf unseren Spielplätzen ist die Schaukel nur zum Schaukeln da und die Rutsche nur zum Rutschen. Kreativität, Eigeninitiative und Ideen entwickeln sich aber nicht in vorgefertigten Strukturen.
Für ihre Entwicklung benötigen Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen. Sie müssen lernen, sich zu organisieren. Das braucht Zeit und Ruhe. Die Tagesabläufe der Kinder aber sind dazu zu eng getaktet. Eine Grundvoraussetzung für Lernprozesse ist Bindung, sich aufgehoben fühlen. Diese können Kinder nur schwer aufbauen, wenn die Bezugspersonen im Tagesverlauf ständig wechseln und eine Atmosphäre mit Leistungsdruck herrscht.
Für ihr Lernverhalten bedeutet das, dass sie einfach mehr Hürden und schwierigere Bedingungen haben. Es ist nicht alles schlecht, was heute ist, doch Kinder von heute haben eine andere Lebensrealität, als wir sie hatten. Daran müssen wir unsere Bildungskonzepte anpassen und so aufbauen, dass sich junge Menschen trotzdem gut entwickeln können. Vor allem aber müssen alle Bildungsbeteiligten, Lehrpersonen, Erzieher, Eltern, Gemeinden einbezogen werden, ihren Teil beizutragen. Wir halten zu sehr an den alten Sachen fest, da wir noch keine neuen Konzepte haben. Doch uns läuft die Zeit ein bisschen davon.
Zur Person
Andrea Fiedler ist Bildungswissenschaftlerin mit Fachgebiet Didaktik. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Didaktik zum Draußenunterrichten entwickelt werden soll. Dazu hat sie einen Diplom-Abschluss mit Schwerpunkt Medien- und Betriebspädagogik. Außerdem hat Andrea Fiedler Wirtschaftswissenschaften studiert und war als selbstständige Beraterin zu digitalen Lernkonzepten tätig. Heute berät sie neben den bereits erwähnten Institutionen auch die ESA (European Space Agency) zum Projekt Esero.lu bei der Gestaltung des pädagogischen Programms. Mit den Lehrpersonen der EIMAB (Ecole Internationale Mersch Anne Beffort) arbeitet das Team von outdoorscience.lu ein Curriculum- basiertes Programm für den Lernbereich Natur und neue Medien aus. Parallel dazu wird dort ein ganzheitliches Konzept mit Outdoor-Klassenzimmer entwickelt. Fiedler gibt ihre Erfahrungen im Bereich der Bildung im Freien durch Weiterbildungen und Team-Trainings weiter.
Frühere Generationen haben im Wald Buden gebaut,sind auf Bäume geklettert und Winnetou war noch nicht tabu.Dafür hatten wir kein Smartphone und wenigstens ein Elternteil war immer ansprechbar.Kinder waren weniger aggressiv weil sie sich nicht mit stupiden „PC-Games“ die Birne versiegeln konnten.Lehrer waren noch Respektspersonen denen nicht mit dem Anwalt gedroht wurde wenn er die Göre kritisiert hat.Gekocht wurde zuhause am Herd und es gab keinen Mikrowellen-Fraß. Alle Eltern wollen Genies aus ihren Kindern machen egal was es kostet.Dafür haben wir heute mehr Psychotherapeuten und Kinder mit Depressionen. Gut dass wir Spezialist-/Innen haben.