Prozess / Anwalt wird schuldig gesprochen: Es geht um Einschüchterung und Beleidigung
Es ist kein alltäglicher Prozess. Anwalt André Lutgen wurde beschuldigt, einen Untersuchungsrichter erstens eingeschüchtert und zweitens beleidigt zu haben. Wegen letzterem ist Me Lutgen in erster Instanz verurteilt worden. Er legt Berufung ein. Es geht um nicht weniger als um die Unabhängigkeit eines Berufsstandes und die Beziehungen zur Magistratur.
Es war eine klare Ansage. Er sei sich nicht der geringsten Schuld bewusst und werde deshalb bei der kleinsten Verurteilung in Berufung gehen. So hat es Me André Lutgen unmissverständlich Ende November angekündigt. So wird es nun auch kommen.
Am Donnerstagmorgen ist der bekannte und erfahrene Anwalt sowie ehemalige Untersuchungsrichter nämlich in erster Instanz schuldig gesprochen und wegen Beleidigung von Untersuchungsrichter Felipe Rodrigues („Outrage à magistrat“) zu 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Rodriguez, der auch als Nebenkläger aufgetreten ist, bekam zudem den symbolischen Euro und eine Verfahrensentschädigung von 750 Euro zugesprochen.
Keine Einschüchterung
Vom schweren Vorwurf der Beeinflussung oder Einschüchterung eines Richters ist Me Lutgen allerdings freigesprochen worden. „Dies ist eine wichtige Entscheidung“, so Me François Prüm, der Rechtsanwalt von Me Lutgen, am Donnerstagmorgen nach der Urteilsverkündung.
Seit Prozessbeginn ist der Vorwurf der Einschüchterung von vielen Anwälten sowie der Anwaltskammer als Unrecht und Angriff auf den Anwaltsstand gewertet worden. Für Me Prüm ist klar, dass eine Verurteilung auf dem Punkt die im Prinzip freie Wahl der Mittel bei der Berufsausübung in Frage gestellt hätte: „Dann könnten wir nicht mehr frei im Dienste unserer Mandanten arbeiten.“
Die Erleichterung, dass der Vorwurf der Einschüchterung jetzt in erster Instanz nicht zurückbehalten wurde, wird allerdings getrübt durch die Verurteilung wegen Beleidigung. „Wir werden jetzt die Begründung des Urteils genau lesen, um zu verstehen, wo das Gericht den Tatbestand der Beleidigung auszumachen glaubt – wir sehen ihn jedenfalls nicht“, so Me Prüm im Tageblatt-Gespräch. Akzeptieren könne man den Vorwurf jedenfalls nicht, deshalb der Weg in die Berufung.
Kurz zum Hintergrund dieses Prozesses. Es geht um einen Arbeitsunfall mit Todesfolge vor zwei Jahren bei ArcelorMittal. Anwalt Lutgen vertritt den Stahlproduzenten und versucht sehr beharrlich, einen millionenteuren Produktionsausfall und Kurzzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Untersuchungsrichter Rodriguez leitet die Ermittlung und sperrt dafür eine für die Produktion wichtige Stromleitung. Er arbeitet schnell, laut vorsitzendem Richter sogar sehr schnell. Dass es zum Clash zwischen Anwalt und Untersuchungsrichter kommt, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Chemie zwischen beiden nicht stimmt, was wiederum auf diverse Vorgeschichten zurückzuführen sein könnte. Vor Gericht haben beide angegeben, jeweils nur ihre Arbeit gemacht zu haben.
„Kein Fehlverhalten“
Um die Art und Weise hervorzuheben, wie ein Anwalt arbeiten darf, hat „Bâtonnière“ Valérie Dupong, also die Vorsitzende der Anwaltskammer, am ersten Sitzungstag des Prozesses das Wort ergriffen. „Wir wollen einem Berufskollegen beistehen, der, obwohl er nur seine Arbeit gemacht hat, sich nun vor Gericht verantworten muss.“ Das sei schlimm und deshalb seien die Anwälte in Sorge, sagte Me Dupong. Sie wies in dem Kontext auch darauf hin, dass der „Conseil de l’orde des avocats“ sich eingehend mit den an André Lutgen gerichteten Vorwürfen beschäftigt, aber kein Fehlverhalten, keinen Verstoß gegen die Deontologie habe feststellen können.
Auf das Berufungsverfahren darf man gespannt sein. Ein Datum ist noch nicht festgelegt.
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