Großregion / Arlon bekommt ein Lifting – auch dank Hilfe aus Luxemburg
In der Taverne „Les Arcades“ am place Léopold im belgischen Arlon schauen die Gäste anstatt auf parkende Autos auf ein Loch mit Bauzaun. Während der imposante, ehemalige Justizpalast am Ende des Platzes mit zeitgenössischer Kunst punktet, verweisen zwei Stadttürme auf die Geschichte Arlons seit der Römerzeit. Gerade wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Baustelle ist die größte in der jüngsten Geschichte der 30.000-Einwohnerstadt in der Wallonie und Luxemburg spielt eine Rolle dabei.
„Wir wollen die Autos vom Platz haben, um ihn anders zu nutzen“, sagt Vincent Magnus (64) im Brustton der Überzeugung. So fest, wie er als Bürgermeister von Arlon immer wieder seine politischen Überzeugungen vertritt, so fest ist das Schicksal des zentralen Platzes besiegelt. Städtepartnerschaften mit Front-national-regierten Städten hat er immer wieder rundweg „mangels gleicher politischer Werte“ abgelehnt. Und der „Léopold“ bekommt eine andere Nutzung.
Die Plakate am Bauzaun geben Ideen, wo die Reise hingehen soll. „Platz der Entspannung“, „Platz der Verliebten“ oder „Platz der Musik“ steht darauf. Das Rathaus ist am Ende der Fußgängerzone. Im Büro des Chefs hängt nicht das großherzogliche Paar, wie in vielen Bürgermeisterbüros in Luxemburg, sondern das belgische Königspaar Philippe und Mathilde. Aber die Verbindungen zum Nachbarland spielen eine große Rolle. Das gilt auch für das größte Bauprojekt in der neueren Geschichte der Stadt.
Autos parken zukünftig unterirdisch, 200 Plätze auf zwei Etagen. Die erste Etage allerdings bleibt offen, um bei Festen überdachten Platz dafür zu bieten. Das letzte hat Arlon gerade hinter sich. In vielen Schaufenstern stehen noch die Faschingsdekorationen mit Masken und Kostümen. Zu frisch noch ist das nach Covid-19-Pause langersehnte Ereignis. Und zu weit weg das nächste, für das Arlon bekannt ist, der Maitrank.
16 à 17-Millionen-Projekt
Die Stadt und ihre Politiker sind dennoch längst zum Alltag zurückgekehrt. Zwischen 16 und 17 Millionen soll der Umbau des „Léopold“ zum „Open Space“ kosten. Teile davon kommen aus Luxemburg. Rund 8,7 Millionen Euro fließen jährlich aus dem Großherzogtum an die Stadt. Sie stammen aus dem „Fonds de compensation des travailleurs frontaliers“. Die binationale Besonderheit, die erheblichen Neid bei Magnus’ Kollegen auf französischer und deutscher Seite erregt, gibt es seit 2001. „Die Zuwendung ist fundamental für uns“, sagt Magnus.
Das würde jeder andere Bürgermeister der Stadt auch sagen. Industrie und viele Arbeitsplätze hat Arlon nämlich nicht zu bieten. Nach wie vor liefert die Produktion von Kinderüberraschungseiern und Kokos-Mandel-Kugeln bei Ferrero die größte und wahrscheinlich einzige ernstzunehmende Gewerbesteuer und rund 700 Arbeitsplätze. Die meiste Arbeit liegt hinter der Grenze. 60 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der Stadt, das sind 8.110 „Arlonais“, arbeiten in Luxemburg.
Aus der Umgebung von Arlon kommen noch mal 17.510 „Transfrontaliers“ hinzu. Sie alle wohnen in Belgien, schulen ihre Kinder am Wohnort ein, frequentieren die Krankenhäuser, befahren die Straßen. Sie nutzen die öffentlichen Infrastrukturen am Wohnort, die in Schuss gehalten werden müssen, Steuern zahlen sie aber in Luxemburg. In der umgekehrten Richtung funktioniert die Anziehungskraft weniger gut.
Fonds weckt Begehrlichkeiten
Nur gerade mal 508 Luxemburger wohnen in Arlon, Stand 31. Dezember 2021. Und das, obwohl Bauland im Vergleich zu Luxemburg noch erschwinglich ist, für Einheimische hingegen kaum zu bezahlen. „Sehr hoch“, antwortet Magnus knapp auf die Frage nach Preisen. Der Stadt fehlen Einnahmen. Der „Fonds“ hat mehrere Aufstockungen hinter sich, die letzte gilt seit diesem Jahr. Es gibt rund eine Million Euro mehr aus Luxemburg. Das weckt Begehrlichkeiten auf der anderen Seiten der Grenzen.
Vor allem die lothringischen Gemeinden wettern schon länger mehr oder weniger laut, ohne Gehör zu finden. Auf Fragen danach reagiert der erfahrene Rathauschef diplomatisch. „Das ist ein Problem meiner französischen Kollegen und Luxemburgs, dazu äußere ich mich nicht“, sagt er und verweist lieber auf die engen Verbindungen zu Luxemburg. Sie sind historisch gewachsen und werden gepflegt. „Wir sind hier in der Province du Luxembourg“, sagt der Politiker mit Betonung auf „Luxembourg“.
In vielen Familien, das gilt vor allem für die Älteren, werde Luxemburgisch gesprochen, erzählt er. Auch bei Magnus’ Vorgänger im Rathaus sei dies der Fall gewesen; Luxemburg sei keinesfalls Ausland. „Wir sind so etwas wie Cousins“, malt der Rathauschef das Bild weiter aus. Die Nähe ist lebendig. Gerade erst hat er mit Kollegen aus Steinfort zusammengesessen, um Mobilitätsfragen zu diskutieren und zu lösen. Eine gemeinsame Kläranlage ist im Bau.
Enge Beziehungen
Und am 9. Mai 2020, dem Europatag, hat er auf der „Gaichel“ mit dem Steinforter Kollegen gegen die Schließung der Grenzen protestiert. In dem naturnahen, abgeschiedenen Gebiet wurde schon vieles zwischen Belgien und Luxemburg besprochen und geklärt. Es ist der traditionelle Treffpunkt für die „Sommets“ zwischen beiden Ländern. Ansonsten hat Magnus mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die auch seine luxemburgischen Kollegen in vergleichbar großen Kommunen derzeit umtreiben.
Wohnraum bei steigenden Preisen für Land und steigende Kosten, sind die beiden größten. Platz zum Bauen gibt es in und um Arlon genug. Nur sieben Prozent des Stadtgebietes sind bebaut. „Wir haben aber keine Lust, dass es bei einer wachsenden Bevölkerung mal 25 Prozent werden“, sagt der Bürgermeister. „Wir wollen hier die Lebensqualität erhalten.“ Die liefert zu 93 Prozent die grüne Natur ringsherum. Den Trend, dass das frei stehende Einfamilienhaus mit Garten für viele auch auf der belgischen Seite der Grenze zukünftig ein Traum bleibt, kann er indes nicht aufhalten.
In Luxemburg ist das schon länger von der Befürchtung zur Gewissheit geworden. Außerdem steigen die Kosten. „Schweinepest, Covid-19, und jetzt die Ukrainekrise“, schlägt Magnus den Bogen. Rund um Arlon wurden viele Wildschweine getötet, um die Krankheit auszurotten. Dem „Léopold“ aber steht eine goldene Zukunft bevor. Begrünt, neu gepflastert und für Fußgänger freigegeben, dürfte er ab Sommer 2024 eigene, positive Auswirkungen auf die Geschäfts- und Gastronomieszene haben.
Maitrank
Der Maitrank ist nach dem Karneval das zweite große Fest in Arlon. Die Zutaten für diese Art Bowle sind die Blüten des Waldmeisters, Weißwein, ein bisschen Cognac – je nach Geschmack. Die genaue Rezeptur ist geheim. Das Fest findet an jedem 4. Wochenende im Mai statt.
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