Musik / Assange, Snowden und ein Klavier: David André veröffentlicht die erste EP seines Soloprojekts Gregario
David André ist kein Unbekannter in der lokalen Musikszene. Nachdem er Bass, Gitarre und Synthies in unterschiedlichen Bands gespielt und Erfahrungen im Post- (Balboa), Indie- (Metro) und Math-Rock (Mount Stealth) gesammelt hat, veröffentlicht er unter dem Namen Gregario mit „Whistleblowers“ eine erste gelungene Soloarbeit, die das Klavier ins Zentrum stellt. Wer GoGo Penguin und Nils Frahm mag, wird Gefallen an Andrés Songsammlung finden.
„Vielleicht war es eine Antwort, eine Reaktion auf die Musik, die wir mit Mount Stealth schrieben und bei der es die Tendenz gab, die Dinge zu maximieren.“ In der Tat ist David Andrés Soloprojekt Gregario der minimalistische Gegenpart zum tanzbaren, vor Ideen überbordenden Math-Rock von Mount Stealth – und trotzdem teilt Gregario mit Andrés Vorgängerband ein Gespür für dichte Atmosphären und verspielte Loops, auf die sich einprägsame Melodien schichten. So zum Beispiel auf der Vorabsingle „EauTomate“, das eine am Piano gespielte Bassmelodie loopt und dann verträumte Klavier- und Synthiemelodien über das elegant schleppende Schlagzeug von Paul Fox legt. Das erinnert nicht zuletzt wegen der leicht jazzigen Perkussion an Radiohead ohne Thom Yorke und an die ruhigeren Momente von GoGo Penguin, die im kommenden Oktober im Atelier auftreten sollten – und für die Gregario eigentlich ein optimaler Support Act wäre.
Aber eins nach dem anderen. 2018 nimmt Mount Stealth gerade seine dritte und (momentan) letzte Platte, „EP3“ auf. „Mir war bewusst, dass wir danach eine Pause machen würden. Obwohl ich noch einige der Bandmitglieder sehe und mit ihnen Musik mache, steuern wir nicht auf ein neues Album hin. Ein erstes Stück schrieb ich, als meine Tochter zur Welt kam. Danach hatte ich einen guten Lauf und schrieb in sehr kurzer Zeit eine ganze Reihe an Stücken. Diese bestanden meistens gänzlich aus neuen Ideen, teilweise verarbeitete ich aber auch bereits existierende, elektrolastige Songskizzen, die ich dann neu arrangierte.“
Monate später folgte der erste Auftritt im Rahmen eines Showcase in den Rotondes. Für David André, der unter Lampenfieber litt – der Musiker war allein auf der Bühne, konnte sich nicht hinter einem krachenden Kollektiv verstecken –, war es wegen der Aufregung eine unzufriedenstellende Erfahrung. Trotzdem arbeitet der Musiker an neuen Stücken, denkt fortan aber darüber nach, eine rhythmische Begleitung mit an Bord zu nehmen und wird nach einiger Zeit fündig: Schlagzeuger Paul Fox wird auch beim Auftritt am 21. August im Rahmen des „Congés annulés“-Festivals das Schlagzeug übernehmen und eventuell auch für spätere Konzerte mit dabei sein.
Mit der Ausnahme von „SongforSasha“ haben nun alle Songs der in Tom Gattis Studio aufgenommenen EP auch Schlagzeugparts – so entfernt sich Andrés Musik auf Tracks wie dem tollen Opener „SinisterCanister“ etwas von den Miniaturen eines Nils Frahm, wie man diese von dessen rezenter Pandemie-Veröffentlichung „Empty“ kennt, und erinnert vielmehr, nicht zuletzt wegen der Hall-getränkten Produktion, die dem Klavier eine melancholische Schwerelosigkeit verleiht, an „A Humdrum Star“, die letzte Platte von GoGo Penguin.
Kreativer Despot?
„Im Laufe der zehn Jahre kam bei Mount Stealth teilweise ein gewisser Automatismus auf – den habe ich versucht, mit Gregario abzuschütteln.“ Wer allein musiziert, muss ohne das Sicherheitsnetz der anderen Bandmitglieder auskommen, die einem die nötige Distanz zu eigenen Ideen geben oder auch, wenn man mal vor einer musikalischen Page blanche steht, aus der Inspirationspanne helfen. „Wenn du allein schreibst, bist du ein Despot“, meint André lachend. „Du entscheidest selbst, in welche Richtung sich ein Track entwickelt. Das hat durchaus seine Vorteile – wenn du gerade, wie es mir damals erging, einen guten Lauf hast und sehr inspiriert bist, musst du nicht auf die restlichen Bandmitglieder warten. Aber es sagt dir halt auch niemand, wenn das, was du machst, nichts taugt.“
Dass die sechs Songs auf „Whistleblowers“ dann doch allesamt, um es euphemistisch auszudrücken, etwas taugen, liegt an der dichten Atmosphäre, die sich im Laufe der sechs Kompositionen langsam aufbaut, den melancholisch-verspielten Klavierparts, der präzisen Produktion, dem raffiniert eingesetzten Schlagzeug, das die Songs immer dann auffängt, wenn sie am Punkt sind, sich zu sehr in ihren Loops zu verlieren, der progressiven Songstruktur, die André von Mount Stealth neben den teils humorvollen Songtiteln übernommen hat und dem letztlich facettenreichen Minimalismus, der die Songs vor der Redundanz rettet.
Laut André verbirgt sich in so manchem der verspielten Songtitel ein Hinweis auf die Atmosphäre, die sich im Song entfaltet – ganz so unheimlich wie der Titel ist „SinisterCanister“ dann doch nicht, „EnnuiMinuit“ entwickelt aber effektiv eine nächtlich-melancholische Stimmung, die auf „SongforSasha“ weitergeführt wird. „Lee Ralentando“ mag auf Lee Ranaldo (Sonic Youth) oder auf den entschleunigten Rhythmus der gedämpften Komposition anspielen, klingen tut der Song auf jeden Fall wie der Soundtrack zum Pastiche eines Agentenfilms – Jean Echenoz würde das gefallen.
Der Titel der EP spielt unverkennbar auf Figuren wie Edward Snowden oder Julian Assange an – Menschen, die, wie André es formuliert, im Namen der Wahrheit ihr Leben aufs Spiel setzten und die oftmals trotz aussagekräftiger Nachrichten kaum wahrgenommen werden. „Einerseits handelt es sich um einen Kommentar über den im digitalen Zeitalter immer wichtiger werdenden und mithilfe der Überschneidung der verschiedenen Aussagen durchführbaren Faktencheck, andererseits spiele ich darauf an, dass es, genauso wie es ‚Whistleblowers‘ gibt, auf die niemand hört, auch Musiker gibt, die sich was trauen und denen kaum jemand Aufmerksamkeit schenkt.“
Spannend bleibt „Whistleblowers“ in seinen 25 Minuten stets – und hat, wie viele gute instrumentale Platten, durchaus Soundtrack-Potenzial. Ob Andrés Klavierminiaturen auf Albumlänge nicht etwa redundant werden, bleibt abzuwarten. Der letzte, titelgebende Track erweitert Gregarios Klangpalette jedoch um den gelungenen Einsatz einer an Caribou erinnernden Marimba und klingt ein bisschen so, wie man sich eine Soloplatte des maybeshewill-Keyboarders Matthew Daly vorstellt.
André stand lange nicht mehr auf der Bühne: Seine dritte Platte tourte Mount Stealth nicht. Nach dem Showcase vor zwei Jahren steht nun Gregarios erster „richtiger“ Auftritt als Support Act für Mutiny on the Bounty auf dem Programm. „Natürlich habe ich auch schon für die Aufnahmen mit Paul Fox geprobt – aber es wird trotzdem unser erster gemeinsamer Auftritt sein, weswegen die Vorfreude, aber auch, angesichts der Reihe an unbekannten Faktoren, die einen stets vor einem solchen Auftritt erwarten, die Abgespanntheit groß ist. Dass die Zuschauer Tische reservieren und während der Konzerte sitzen bleiben müssen, ist natürlich bizarr. Aber so werden sie immerhin weniger schnell wegrennen.“
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