Nach erfülltem Arbeitsleben / Assistenzhund Idem geht in Rente, Sony übernimmt: Das ist ihre Geschichte
Der Kampf für die Renten ist eines der bedeutendsten Kapitel in der Sozialgeschichte. Dies ist eine andere soziale Geschichte; eine ganz ohne gewerkschaftliche Kämpfe und ohne Sozialpolitiker auf Stimmenfang. Es ist die Geschichte von Idem, treuer Begleiter von Jean-Marie Theis, der durch eine genetische Erkrankung das Augenlicht verlor.
Jean-Marie, ausgebildeter Mechaniker und später Busfahrer beim TICE, musste diesen Job aufgeben, als eine genetische Erkrankung ihn nach und nach schlechter sehen ließ. Nachdem er noch eine Zeit lang in der Verwaltung arbeiten konnte, musste er schließlich den Job ganz aufgeben und sich in einer komplett neuen Lebenssituation zurechtfinden. Und das tat er dann auch. Über seine Augenärztin kam er in Kontakt mit der Vereinigung „Chiens guides de l’Est“, die seit über 30 Jahren eine Hundeschule in Woippy bei Metz betreibt.
Hier werden die „chiens guides“, also die Führungshunde, ausgebildet. Auf der Webseite der Vereinigung wird genau beschrieben, wie die Erziehung der Welpen abläuft. Ab dem zehnten Tag nach der Geburt wird ihnen das Vertrauen zu Menschen beigebracht, sie werden auf vielfache Weise mit Gerüchen, Berührungen, olfaktorischen und visuellen Eindrücken stimuliert und werden dann im Alter von acht bis zehn Wochen in einer der Familien aufgenommen, die sich gemeinsam mit Trainern um die weitere Ausbildung kümmern.
Neben den Basics, zu denen Stubenreinheit ebenso gehört wie die unterdrückte Zerstörungswut für Haushaltsartikel und Kleidungsstücke jeglicher Art, werden die jungen Tiere hier mit dem Terrain vertraut gemacht, auf dem sie sich später zurechtfinden müssen, etwa Einkaufszentren, Märkte, öffentlicher Transport, Innenstädte …
Ab dem 14. Monat ist der Hund bereit für seine Ausbildung und besucht, ähnlich wie die Menschenkinder, tagsüber die Schule. Meistens werden Labradore, Golden Retriever oder auch Mischungen aus beiden Rassen eingesetzt. Ihre Verfressenheit, so erklärt Jean-Marie, kann leicht als pädagogisches Mittel eingesetzt werden: für ein „Leckerli“ tun die familienfreundlichen Tiere fast alles …
In der Hundeschule bringen ihnen die Trainer dann neben Gehorsam bei, wie sie Hindernissen auszuweichen haben, wie sie an Bürgersteigen Halt machen und Zebrastreifen erkennen müssen, wie sie sich vor Türen oder Treppen verhalten müssen. Nach einem Jahr intensiver Vorbereitung, während der die Tiere sich an den Wochenenden vom Schulstress erholen dürfen, sind sie dann mit etwa zwei Jahren bereit für ihr neues „Frauchen“ oder „Herrchen“.
Nicht alle Hunde schaffen die Ausbildung und eignen sich zum Profi. Reichen die Kapazitäten, dann werden sie von der Vereinigung „Chiens médiateurs et d’utilité de l’Est“ weitervermittelt.
Erster Kontakt in Woippy
Dies war denn auch der Werdegang von Idem, einem Labrador, den Jean-Marie – so sehen es die Regeln der Vereinigung vor – eine Woche lang in dessen bekanntem Umfeld in Woippy kennenlernte. Nach einer weiteren Woche in Esch, während der die Hundetrainer täglich vor Ort waren, begann die gut achtjährige Zusammenarbeit der beiden.
Die Pflegeversicherung finanziert die Blindenhunde, für ihr Fressen kommt der neue Besitzer allerdings selbst auf. Etwa 200 Euro pro Monat kostet ein solches Tier, eine Summe, die Jean-Marie gerne zahlt, auch jetzt, da Idem in Rente darf. Mit elf Jahren gehört ein Labrador zu den Senioren, das Risiko, dass seine Konzentration nachlässt, steigt, ein Nachfolger wird gesucht …
Dies bedeutet allerdings nicht, dass Idem nun abgeschoben wird. Er lebt nun gemeinsam mit seinem Herrchen und seinem beruflichen Nachfolger Sony, einer zweijährigen Mischung aus Labrador und Retriever, in einer Wohnung und darf bei den gemeinsamen Ausgängen, die regelmäßig ins Escher Kafé oder zum Einkauf führen oder einfach nur Stadtbummel sind, dabei sein. Eifersucht zwischen beiden Tieren gebe es praktisch nicht, so Jean-Marie. Nur das Geschirr des Profis trägt jetzt Idems Nachfolger und manchmal versucht dieser noch die Nase in die Leinenkonstruktion mit der Aufschrift „Chien d’aveugle“ zu stecken.
Privilegien und Herausforderungen
Dies bedeutet auch, dass Idem nun auf einige Privilegien verzichten muss, die ein Assistenzhund legal hat. Er darf überall dort hin, wo ein Mensch auch hin darf, sei es ins Restaurant, in die Apotheke, ins Krankenhaus. Beim Bäcker seines Vertrauens spielten die Verkäuferinnen allerdings nicht mit, so Jean-Marie. Als er Pensionär Idem ein erstes Mal vor der Tür des Ladens anleinen wollte, protestierte das Verkaufspersonal und verlangte kompromisslos nach dem gut erzogenen und freundlichen Labrador.
Allerdings kam es auch schon mal zu anderen Situationen. So rief eine Pflegekraft im Escher Spital erst den Hygienebeauftragten des Krankenhauses, ehe sie dem Begleittier Einlass gewähren wollte. Dieser klärte den Fall schnell und Idem durfte mit ins Krankenhaus. Quasi als Schattenseite dieses privilegierten Daseins musste der Labrador öfters sein Hundewesen verneinen. Ein Begleithund darf keine anderen Tiere anbellen, mit ihnen streiten oder versuchen, sie zu verführen. Und so genügte es, dass Jean-Marie seinem Begleiter den Befehl „pas chien“ gab, damit Idem nur Zentimeter an einem Hundekollegen vorbeiging, ohne diesen zu beachten. Auch Schnuppern an interessanten Büschen, Essensresten, Mülleimern und ähnlichem ist den Begleithunden untersagt.
Hat das Tier allerdings sein Profigeschirr aus, darf es sich einige Freiheiten nehmen. Idem sieht dies eher locker und benimmt sich auch weiterhin in Gegenwart Jean-Maries seiner Berufsethik entsprechend. Und hat ein wachsames Auge auf seinen jungen Nachfolger Sony, der schon viel gelernt hat, aber noch jeden Tag dazulernt. Wie im richtigen Berufsleben eben.
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Ein grosses Dankeschön an die Ausbilder der Blindenhunde und an die Hunde, welche diese schwierige Aufgabe souverän meistern. Sie sind das Auge und ewig treue Partner🫶